FMVÖ-Studie: Finanzbranche befindet sich in einer "Selbstfindungsphase"

Führungskräfte von Banken und Versicherungen haben ihre Einschätzung über die Veränderungen durch die COVID-Krise gegeben.

Im Rahmen einer qualitativen Studie wurden vom Finanz-Marketing Verband Österreich (FMVÖ) in Zusammenarbeit mit Telemark Marketing und EFS Consulting Experten-Interviews mit Vorständen sowie Bereichs- und Filialleitern von 17 Banken und 13 Versicherungen geführt.

Im Zentrum stand die Frage, wie Banken und Versicherungen COVID-19 für Veränderungen genutzt haben. Die Ergebnisse der ersten marktabdeckenden Untersuchung dieser Art wurden am Mittwoch  im Rahmen eines Online-Pressegesprächs präsentiert.

Banken setzen auf Digitalisierung

"Den eingeschlagenen Weg der digitalen Transformation von Prozessen und Produkten konnten die befragten Banken auch während oder gerade wegen der COVID-19 Pandemie weiter ausbauen", erläutert Werner Schediwy, FMVÖ-Vorstand und Geschäftsführer von Denkconsult, bei der Studienpräsentation.

Wie die Befragung im Rahmen der Experten-Interviews mit 17 österreichischen Banken ergab, wurden rasch Rahmenbedingungen geschaffen, um bestehende Video-Tools und gesicherte Mailbox-Verbindungen intensiver für die Kundenkommunikation anbieten zu können. Für einen Teil der Befragten sei dabei die plötzliche Entschlossenheit interner Abteilungen zur Vereinfachung von bis dato unabänderlichen Abwicklungsprozessen besonders erfreulich gewesen.

Wenig Kundenakzeptanz für Onlineprodukte

"Aber so selbstverständlich der Einsatz von Videotools bei internen Meetings geworden ist, so überraschend gering ist die Akzeptanz bei Kunden, wenn es um Bankprodukte und Beratung geht. Selbst bei Jüngeren werden reine Onlineprodukte, Chats oder Robo-Advisor noch wenig nachgefragt", betont Schediwy.

Werden indes interne Experten zu Gesprächen in der Filiale per Videocall dazu geschaltet, begrüßen das Kunden und Filialberater gleichermaßen. Video-Ident-Verfahren und elektronische Signaturen werden hier jedoch in naher Zukunft die Abschlussmöglichkeiten bei Neukunden weiter verbessern. Wie einer der befragten Experten erklärte, gibt es derzeit aber noch "Spielraum für Verbesserungen im täglichen Betrieb".

Persönlicher Kundenbetreuer bleibt

Trotz aller Digitalisierungsschritte werden die Kundenbetreuer laut einer Mehrheit der Befragten auch in Zukunft eine zentrale Rolle in der Beratung spielen, wie es einer auf den Punkt bringt: "Durch die ständige Nabelschau des Prozessmanagements wird die 'Net-Client-facing-Time' mittelfristig verdoppelt."

Oder anders gesagt: Der Kundenbetreuer wird zum Finanzmanager, der durch digitalisierte und automatisierte Abwicklungen mehr Zeit für Kunden bekommt. Daneben werden gerade mit Hochdruck nahezu alle Produkte onlinefähig gemacht.

Boom zu Online-Versicherung bleibt aus

Noch stärker als bei den Banken setzen die Versicherungen auf den persönlichen Kontakt. Nachdem der persönliche Kontakt der Außendienst-Mitarbeiter, Makler und Agenten zu ihren Kunden nur eingeschränkt – vor allem über Telefon in Kombination mit E-Mail und nur zu einem geringen Prozentsatz über Videotools – möglich war und ist, erwarten die Experten eine noch offensivere persönliche Kundenbetreuung nach Ende der Kontaktbeschränkungen.

Online-Abschlüsse bei Versicherungen sind im Gegensatz zu anderen Branchen während der Covid-19 Krise nur in geringem Ausmaß angestiegen. "Wenn Online-Versicherungen in Zeiten von Lockdowns nicht boomen, dann ist dies auch in der 'neuen Normalität' nicht zu erwarten", resümiert Robert Sobotka, FMVÖ-Vorstand und Geschäftsführer von Telemark Marketing, die Erkenntnis aus seinen Interviews mit den Versicherungsvorständen.

© Telemarketing/Thomas Zuber
FMVÖ-Vorstand Robert Sobotka © Telemark Marketing/Thomas Zuber

Zu einem deutlichen Entwicklungsschub kam es in nahezu allen Instituten bei der Digitalisierung von Prozessen im Kundenkontakt. So wurden in den meisten Unternehmen (weitere) Schritte zu einer Online-Schadenseinreichung und ‑bearbeitung gesetzt. Nach Ansicht der Experten liegt in diesem Bereich nach wie vor großes Optimierungspotenzial für die Versicherungen. Die Pandemie hat die Entwicklungen in vielen Fällen beschleunigt.

Verantwortungsvolles Handeln wird wichtiger

Der nachhaltige Einsatz von eigenen Ressourcen der Institute und die verantwortungsvolle Veranlagung von Kundengeldern gewinnt weiter an Bedeutung – trotz oder gerade wegen COVID-19. Wie die Experten unisono erklärten, war die Kundennachfrage noch nie so groß.

Gerade in schwierigen Zeiten scheinen Werte wie Vertrauen und Verantwortung besonders zu zählen. Nahezu alle Bank- und Versicherungsinstitute bilden daher ihre Nachhaltigkeitsbemühungen in ihrer Organisation ab oder verstärken sie gerade – von eigens Beauftragten über ausgelagerte Gesellschaften bis hin zu einer zentralen Visionsarbeit, die sich letztendlich bei allen Handlungen und Maßnahmen wiederfindet.

Hohes Potenzial für Informationstechnologien

"Lange hat man sich bei Banken und Versicherungen gegen Remote-Arbeit mit Händen und Füßen gewehrt. Zu groß war das Misstrauen in die eigene Belegschaft, dass die Leistung außerhalb des Büros beibehalten wird", fasst Jürgen Leitner, Partner EFS Consulting, die Kernergebnisse hinsichtlich der Innensicht und Unternehmenskultur zusammen.

© FMVÖ
EFS-Consulting-Partner Jürgen Leitner © FMVÖ

So haben die Umstände aus 2020 Handlungsdruck erzeugt und es wurde in kürzester Zeit das geschafft, was in vielen Digitalisierungsinitiativen zuvor nicht erreicht wurde. Moderne Informationstechnologien haben es erlaubt, Prozesse dezentral ablaufen zu lassen. Allerdings wird punkto Kultur und Führungsstil von den Befragten selbst noch hohes Potenzial gesehen. "Für die nächsten Schritte wird es notwendig sein, die eigenen Verhaltensmuster und das Büro an die digitalen Rahmenbedingungen anzupassen", skizziert Leitner.

Unternehmenskultur als Wettbewerbsvorteil

Eine entscheidende Rolle sehen die befragten Bank- und Versicherungsexperten in den Führungspersonen ihrer Institute. Deren Verantwortungsumfang habe sich erweitert, daher brauche es ausgewogene und zeitgemäße Führungsstile, die verbinden müssen. Sie sollten mit gutem Beispiel vorangehen und gegenüber Veränderung offen sein. Es bedürfe mehr Empathie, Flexibilität, Offenheit, Reflexion, Vertrauen und Mut zur Lücke. Die daraus resultierende Unternehmenskultur würde einen Wettbewerbsvorteil darstellen, der auch durch die breite Masse der Mitarbeitenden getragen wird.

Hand in Hand damit gehe die starke Veränderung des Arbeitsumfelds: Büroflächen können sich sowohl zu einem Hub für Innovation und Kreativität entwickeln, Raum für ruhiges und konzentriertes Arbeiten bieten als auch eine willkommene Abwechslung zu Remote-Work sein.

"Viele Finanzunternehmen haben bereits in der Vergangenheit einen regen Wechsel von zentraler zu dezentraler Organisation und wieder zurück erlebt. Erfolgsgeschichten wurden dort geschrieben, wo Remote-Work nicht nur Marketinggag und Einsparpotenzial war, sondern wo eine diesbezüglich authentische Unternehmenskultur etabliert wurde", bringt Leitner die Erkenntnisse hinsichtlich Unternehmenskultur auf den Punkt.

Die Zukunft kann kommen

"Alle befragten Experten der Bankinstitute sehen sich selbst für die Zukunft gut aufgestellt. Neue Arbeitsmodelle, eine durchgreifende Digitalisierung zur Kostensenkung bei gleichzeitiger Intensivierung des Kundenkontaktes und ein vielfältigeres Angebot an nachhaltigen Produkten bringen sie zu dieser positiven Einschätzung, während sie für die gesamte Branche weniger rosige Zeiten attestieren", so die Conclusio von Schediwy.

"Auch die Versicherungsbranche ist aufgrund von langfristigen Verträgen bislang gut durch die Krise gekommen. Die bestehenden Geschäftsmodelle und Vertriebskanäle haben sind bewährt. Es ist weder eine Marktbereinigung noch ein zunehmender Druck durch neue Mitbewerber – wie InsureTechs – zu erwarten. Die Branche vertraut auf ihre Stabilität und blickt optimistisch in eine Zukunft nach Corona", fasst Sobotka die Prognosen der Experten zusammen. (red)

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