"Wir wollen mit dieser Aktion niemandem auf die Füße treten"

Nikolaus Huemer, Country Manager DACH bei Tony's Chocolonely, im Interview über den Markteintritt in Österreich, die großangelegte Guerilla-Kampagne, die "Schokoladenmarken im Design und Geschmack nachmacht", und was unter sklavenfreier Schoko eigentlich zu verstehen ist.

Tony's Chocolonely ist ein Fairtrade-zertifiziertes, sozial verantwortliches B-Corp-Unternehmen, dessen Ziel es ist, Schokolade 100 Prozent sklavenfrei zu machen und das sogar über die Fairtrade Zertifizierung hinaus. Und zwar nicht nur die eigene, sondern jede Schokolade weltweit. LEADERSNET hat Nikolaus Huemer, Country Manager DACH bei Tony's Chocolonely, zum Interview gebeten.

LEADERSNET: Wie kam es dazu, dass drei Journalisten eine Schokoladen-Marke gegründet haben?

Huemer: Tony's Chocolonely wurde 2005 von drei Journalisten der niederländischen Fernsehsendung "Keuringsdienst van Waarde" gegründet, nachdem sie aufgedeckt hatten, dass die größten Schokoladenhersteller der Welt Kakao von Plantagen in Westafrika kaufen, auf denen illegale Kinderarbeit und moderne Sklaverei noch immer an der Tagesordnung stehen. Sie wollten beweisen, dass Schokolade auch ohne bitteren Beigeschmack produziert werden kann und Bewusstsein für die Missstände und Ungleichheit in der Schokoladenindustrie schaffen. Gleichzeitig wollten sie ein Umdenken in der Branche anstoßen.

LEADERSNET: Was war die Vision?

Huemer: Damals wollte Tony's Chocolonely beweisen, dass es möglich ist, Schokolade frei von illegaler Kinderarbeit und moderner Sklaverei herzustellen. Heute ist unsere Vision deutlich größer: 100 Prozent sklavenfrei produzierte Schokolade soll die Norm werden – nicht nur unsere, sondern jede Schokolade weltweit.

LEADERSNET: Welches Resümee kann das Unternehmen jetzt, rund 15 Jahre nach der Gründung, ziehen? Was waren die größten Meilensteine?

Huemer: Wir sind auf dem richtigen Weg und davon überzeugt, dass die Entwicklung unserer "5 Sourcing Prinzipien" einer der wichtigsten Meilensteine war, um eine gerechtere und transparentere Kakao-Lieferkette zu schaffen und die Ursache moderner Sklaverei und illegaler Kinderarbeit, nämlich "Armut", zu bekämpfen: Kakaobohnen, deren Ursprung zu 100 Prozent zurückverfolgt werden können, die Zahlung höherer Preise an die Kakaobauern, die Stärkung von Kooperativen, langfristige und direkte Handelspartnerschaften die Unterstützung der Kakaobauern, die Qualität und Produktivität ihrer Ernten zu verbessern.

Auch wenn wir international wachsen, zuletzt mit der Markteinführung in Österreich, reicht es nicht, wenn diese fünf Prinzipien nur von uns umgesetzt werden. Daher haben wir die "Tony's Open Chain" entwickelt, eine Initiative, die es allen Schokoladenherstellern ermöglicht, ihren Kakao auf die gleiche Weise zu beschaffen. Denn nur gemeinsam können wir jede Schokolade 100 Prozent sklavenfrei machen.

LEADERSNET: Was macht Tony's Chocolonely alles, um das Bewusstsein für die Ungleichheit in der Schokoladenindustrie zu schärfen?

Huemer: Die Lieferkette beginnt bei Millionen von Bauern, die Kakao produzieren, und endet bei Milliarden von Konsumenten, die Schokolade genießen. Dazwischen sitzen und dominieren gerade mal eine Handvoll kakaoverarbeitender Betriebe und Schokoladenhersteller, die ungefähr 70 Prozent des Weltkakaomarktes kontrollieren.
Um Veränderungen herbeizuführen und die Industrie von innen heraus zu verändern, muss sich jeder Stakeholder bewusst sein, worin die Probleme bestehen und welche Rolle jeder Einzelne dabei spielen kann, um Teil der Lösung zu sein. Angefangen bei den Kakaobauern, über Regierungen, dem Einzelhandel und natürlich bis zu den Konsumenten, die mit ihrer bewussten Kaufentscheidung bestimmte Schokoladenhersteller bzw. Geschäftspraktiken unterstützen können. Die größte Rolle spielen allerdings die Schokoladenhersteller, die wir als Hauptakteure sehen.

Unser Ansatz, um Aufmerksamkeit zu generieren und das Bewusstsein zu schärfen, ist klar: Aufklärungsarbeit, immer partnerschaftlich und oftmals gemeinsam mit anderen Interessensvertretern wie NGOs und wissenschaftlichen Organisationen – ein Beispiel hierfür ist unsere Forderung eines umfassenden Lieferkettengesetzes, wie es aktuell im EU-Parlament diskutiert wird, um Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zur Verantwortung zu ziehen.

LEADERSNET: Das Thema wird momentan aktuell in der EU auch auf politischer und wirtschaftlicher Ebene diskutiert. So wird zum Beispiel ein transparentes Lieferkettengesetz gefordert. Wofür setzen Sie sich besonders ein?

Huemer: Alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Größe oder Industrie, sollen zu 100 Prozent Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen. Die Komplexität mancher Wertschöpfungsketten oder die Größe von Unternehmen darf keine Ausrede sein.

Auch heute sind noch immer über 1,56 Millionen Kinder und mindestens 30.000 Opfer moderner Sklaverei gezwungen, auf Kakaoplantagen zu arbeiten. Freiwillige Maßnahmen und Nachhaltigkeitsinitiativen der Industrie reichen eindeutig nicht aus. Da sich viele Unternehmen trotz zahlreicher Versprechen nicht freiwillig an Menschenrechte halten und gegen Umweltstandards verstoßen, brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen. Speziell in Produktionsländern gibt es keine Alternative: Verantwortungsbewusstsein muss gesetzlich verankert sein.

LEADERSNET: Wie wollen Sie die gesamte Branche dazu inspirieren, 100 Prozent sklavenfrei produzierte Schokolade zur Norm zu machen?

Huemer: Indem wir zeigen, dass es möglich ist, wirtschaftlich und nachhaltig zu arbeiten und erfolgreich zu sein – gesellschaftlicher Mehrwert, ökologische Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Erfolg sollten sich nicht ausschließen, sondern bedingen.

LEADERSNET: Was können Unternehmen tun, um faire Kakaopreise zu zahlen, Kinderarbeit zu bekämpfen und Regenwaldzerstörung zu verhindern?

Huemer: Um einen nachhaltigen und langfristigen Wandel in den Kakao-Communities zu erreichen, müssen wir uns von dem Wohltätigkeitsansatz und den freiwilligen Nachhaltigkeitsprogrammen der großen Schokoladenhersteller verabschieden und uns einem auf Menschenrechten basierenden Ansatz zuwenden.

Wir sind davon überzeugt, dass unsere fünf  Sourcing Prinzipien eine gerechtere Kakao-Lieferkette ermöglichen können. Sie wurden designt, um die Ursache moderner Sklaverei und illegaler Kinderarbeit, nämlich "Armut", zu beheben. Um etwas nachhaltig zu bewegen und langfristigen Fortchritt zu ermöglichen, müssen aber alle fünf Sourcing Prinzipien zusammen angewendet werden – und zwar von der gesamten Schokoladenindustrie; keine Ausnahmen, kein Rosinenpicken.

LEADERSNET: In Deutschland gibt es bereits erste Schokoladenproduzenten, die mit der Open Chain Lieferkette von Tonys produzieren. Wie läuft das ab? Was ist hierzulande geplant?

Huemer: Tony's Open Chain ist eine Initiative, die wir 2019 gelauncht haben – gemeinsam mit unserem ersten ‚Mission Ally' Albert Heijn, die führende Supermarktkette in den Niederlanden, dessen Eigenmarke Delicata nach unseren 5 Sourcing Prinzipien hergestellt wird. Mittlerweile haben wir auch die ersten Partner in Deutschland, die von unserem Ansatz überzeugt sind und unsere Mission unterstützen. Grundsätzlich ist Tony's Open Chain eine Einladung an alle Schokoladenhersteller weltweit – natürlich auch an alle Hersteller hier in Österreich. Innerhalb weniger Monate können wir ein Onboarding und die Kakaobeschaffung zur jeweils folgenden Kakaosaison nach unserem Modell ermöglichen. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Open Chain Partnern, denn nur gemeinsam können wir illegale Kinderarbeit, moderne Sklaverei, Abholzung und Armut ein für alle Mal beenden.

LEADERSNET: Das Unternehmen hat sich zur größten Schokoladenmarke in den Niederlanden entwickelt und verkauft seine Produkte heute fast weltweit. Welche Marktposition hat Tony's Chocolonely in Österreich?

Huemer: Wir sind ein Start-Up in Österreich, uns gibt es erst seit Oktober 2020. Dementsprechend sind wir gerade erst dabei uns eine relevante Marktposition im riesigen Schokolademarkt zu erarbeiten. Was wir aber sagen können, ist, dass der Start sehr vielversprechend verläuft und an den Konsumentenreaktionen erkennen wir, dass eine Impact Marke, die klar Stellung bezieht und die Mission Sklavenfreie Schokolade verfolgt, auch in Österreich sehr erfolgreich werden wird.

LEADERSNET: Welche Sorten gibt es und wo werden diese vertrieben?

Huemer: Im Moment haben wir hierzulande sieben Sorten, die alle bei Interspar erhältlich sind. In den Supermärkten und Eurospars sind zwischen zwei und sechs erhältlich. Desweiteren sind wir außerdem in einigen Cafes, Tankstellen etc vertreten. Wir sind im Aufbau, stehen aber mit einigen vielversprechenden Kanälen in Kontakt.

LEADERSNET: Mit welchen Marken matchen Sie sich um Kunden?

Huemer: Wir vertreiben Schokolade, also matchen wir uns um Schokoladekonsumenten. Dank unserer Mission, unserer Marke und nicht zuletzt unseres Produkts haben wir aber mehr und interessanteres zu bieten, als viele Mitbewerber- wir wollen die Welt verbessern.

LEADERSNET: Sie steuern die Geschäfte von Salzburg aus. Wo liegen die Vorteile dieses Standortes?

Huemer: Wir sind für die DACH Region verantwortlich. Salzburg liegt hierfür sehr gut. Während man zentral in Österreich sitzt, liegt es direkt an der Grenze zu Deutschland und alle größeren Städte der Region sind verkehrstechnisch gut erreichbar. Man findet gute Leute und man kann in Salzburg sehr gut leben.

LEADERSNET: Sie haben eine große Guerilla Marketing Aktion angekündigt. Was können Sie darüber bereits verraten?

Huemer: Bei dieser Aktion handelt es sich unsere Sweet Solution Kampagne: Für einen kurzen Zeitraum bringen wir limitierte Schokoladentafeln auf den Österreichischen Markt, die sehr berühmten Schokoladenmarken im Design und Geschmack ähneln, die aber ganz anders hergestellt werden als die Originale, nämlich nach unseren - oben bereits genannten - 5 Sourcing Prinzipien. Wir wollen mit dieser Aktion niemandem auf die Füße treten oder belehren, sondern an ein Versprechen erinnern, dass sich die größten Schokoladenhersteller der Welt in Form des Harkin-Engel-Protokolls gegeben haben und in dem sie sich verpflichtet haben, illegale Kinderarbeit und moderne Sklaverei innerhalb der Lieferketten abzuschaffen. Und natürlich wollen wir mit gutem Beispiel vorangehen, um anderen Schokoladenherstellern zu zeigen, dass es auch anders geht und sie zu inspirieren, es uns gleich zu tun.

LEADERSNET: Was haben Sie marketingtechnisch noch alles vor?

Huemer: Viel. Wir haben ja gerade erst angefangen. Aber im Kern unserer Aktivitäten wird es uns immer darum gehen, Aufklärungsarbeit für die Missstände im Kakaoanbau zu leisten und Lösungen aufzuzeigen, denn nur gemeinsam können wir 100 Prozent sklavenfrei produzierte Schokolade zur Norm machen. (jw)

tonyschocolonely.com

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