Pharmaindustrie ist "teuer und ineffizient"

| 28.02.2019

A.T. Kearney-Studie verortet eine "Komplexitätsfalle". Pharmig sieht darin kein exklusives Problem der Pharmabranche.

18.000 Mitarbeiter, 9.6 Milliarden Euro Wertschöpfung – mit einem Anteil von 2,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (Quelle: Pharmig) leisten die 150 heimischen Pharmaunternehmen einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftsleistung Österreichs. Zudem wagte sich mit der Marinomed Biotech AG Anfang Februar auch ein neuer Player aufs Wiener Börsenparkett. Doch die Zeiten seien schon einmal besser gewesen, so die internationale Managementberatung A.T. Kearney: "Unter anderem knabbern verschärfte Auflagen am Gewinn der Branche."

"Kein exklusives Problem der Pharmaindustrie"

Die Pharmaindustrie stehe unter "massivem Druck", gibt A.T. Kearney-Partner Markus Stricker zu bedenken. "Aufgrund steigender Komplexität verliert sie durchschnittlich jährlich drei bis acht Prozentpunkte ihres Gewinns vor Steuern. Gründe hierfür sind sich verändernde Marktbedingungen, neue regulatorische Anforderungen und technologische Entwicklungen. Höhere Komplexität geht jedoch eindeutig zu Lasten profitablen Wachstums."

Alexander Herzog, Generalsekretär des Pharma-Verbandes Pharmig, sieht im Gespräch mit LEADERSNET den Punkt Komplexität nicht als exklusives Problem der Pharmaindustrie: "Es lässt sich allgemein festhalten, dass die Strukturen komplex sind, aber das ist kein Spezifikum der pharmazeutischen Industrie. Die Strukturen und Abläufe sind in anderen international aufgestellten bzw. operierenden Industrien ebenfalls komplex. Nicht außer Acht gelassen darf natürlich auch, dass die Pharmabranche eine hoch regulierte Branche ist, was die Komplexität weiter erhöht."

© Pharmig

Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog © Pharmig

Zudem sei die Pharmabranche auch sehr international aufgestellt und operierend. Unternehmensvertretungen in kleineren Märkten und Ländern würden dabei oft nicht an das europäische Top Level, sondern an eine dazwischen geschaltete Ebene berichten. "Doch auch dies ist kein Spezifikum der Pharmaindustrie", merkt Herzog an. "Trotz der Überschaubarkeit des österreichischen Marktes sind die Fülle der zu bewältigenden Aufgaben und die Komplexität der Anforderungen einheitlich hoch. In diesen Fällen muss oftmals die Niederlassung die Anforderungen, die an sie gestellt werden, mit oft unverhältnismäßig geringeren Ressourcen bewältigen." Ungeachtet dessen sei der Abstimmungsbedarf zweifelsohne hoch. Ein Grund dafür sei der Umstand, dass Entscheidungen für Österreich einen direkten Impact auf andere, größere Märkte nach sich ziehen können, gibt der Pharmig-Generalsekretär zu bedenken.

Nur wenige Produkte und Märkte stärken das Wachstum

Die Pharmaexperten von A.T. Kearney haben in der Studie "Complexity: The Big Challenge for Today's Top Pharma" errechnet, dass das Wachstumspotential eines durchschnittlichen Pharmaunternehmens sich aus weniger als zehn Produkten in maximal zehn Märkten schöpft. Im Schnitt verkauft ein Branchenvertreter jedoch mehr als 150 Produkte in Märkten, die sich über die ganze Welt verteilen.

Viele Unternehmen scheitern laut Studie daran, ihre Komplexität zu managen, weil sie deren Ursachen und Implikationen nicht ausreichend kennen. Besonders Firmen mit siloartiger Organisation und Kultur fehlt es an einer transparenten, funktionsübergreifenden Perspektive auf die Komplexitäts-Herausforderung.

Neben externen Faktoren spielen interne Entscheidungen wie die Anzahl der Produkte und Märkte, in denen die Unternehmen agieren, eine maßgebliche Rolle. So arbeiten Unternehmen mit spezialisierten Markenportfolien mit nur einem Zehntel der Medikamente von Vollsortimentsanbieter, was wiederum zu 95 Prozent weniger Bestandseinheiten führt. Sich mit der Anzahl an Verabreichungsformen und Verpackungen zu beschäftigen, sei laut Stricker ein guter Ausgangspunkt, um aus der Komplexitätsfalle auszusteigen. Wenn nur ein Arzneimittel eliminiert werde, könne die Komplexität schon signifikant reduziert werden, rechnen die Autoren vor.

Diesen Kritikpunkt kann Alexander Herzog nicht nachvollziehen: "Die Frage nach der 'richtigen' Anzahl der Produkte bestimmt stets der Markt. Im Falle der Pharmaindustrie sind das der jeweils bestehende Patientenbedarf sowie die aus Sicht der behandelnden Ärzte bestehenden medizinischen Notwendigkeiten. Kein Unternehmen wird unnötigerweise mehr Stock Keeping Units als sinnvoll vorhalten, da diese ja auch mit substanziellem finanziellen Aufwand verbunden sind."

Gefangen in der Matrix

Ein wichtiger Faktor sei auch die Organisationstruktur: Pharmaunternehmen hätten oft komplexe, mehrdimensionale Matrixorganisationen, die nur dann effektiv seien, wenn ihre Größe stimme und ihr organisatorisches Setup mit Key Performance Indikatoren evaluiert werde. Insbesondere durch die systematische Identifizierung und Streichung redundanter Aufgaben und die Zusammenlegung kleinerer Einheiten in den Kernfunktionen wie Vertrieb, Marketing und Operations würden sich positive Effekte erzielen lassen.

Dies lasse sich auf die gesamte Wertschöpfungskette überführen und erschließe neue Gewinnpotenziale, ist man bei A.T. Kearney überzeugt. Voraussetzung dafür seien eine klare Strategie und Kostentransparenz. "Ein hohes Komplexitätsniveau bringt nicht nur Mehrkosten mit sich, sondern schwächt auch Serviceniveau und Agilität des Unternehmens", betont Stricker. (as)

www.atkearney.at

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