KI-Kolumne von Jürgen Bogner
Wenn ChatGPT die Macht will – und die ETH das Vertrauen

| Redaktion 
| 09.09.2025

Im Rahmen unserer KI-Serie, bei der KI-Profi Jürgen Bogner (CEO & Gründer von biteme.digital) regelmäßig einen Beitrag rund um das Thema Künstliche Intelligenz verfasst, erfahren LEADERSNET-Leser:innen dieses Mal alles über "Apertus", ein neues, transparentes Open-Source-Modell der ETH Zürich, und warum es neue Maßstäbe für eine souveräne europäische KI-Zukunft setzt.  

Stell dir vor, du sitzt im Management-Meeting. Thema: KI-Strategie. Jemand sagt: "Wir könnten ja ChatGPT integrieren." Ein anderer: "Aber was ist mit Datenschutz?" Und dann kommt der Satz, den ich in letzter Zeit immer öfter höre: "Wir wissen ja gar nicht, was da wirklich drinsteckt."

Ganz ehrlich? Genau da liegt das Problem.

Die Blackbox, die dein Business frisst

Die meisten Sprachmodelle, mit denen wir heute arbeiten – ob von OpenAI, Anthropic oder Google – funktionieren wie eine verschlossene Kommandobrücke. Du gibst etwas ein, bekommst Output, aber du hast keinen blassen Schimmer, wie der Output zustande kam. Welche Trainingsdaten? Welche Gewichtungen? Welche Schwächen?

Diese Intransparenz ist nicht nur ein ethisches Thema – sie ist ein unternehmerisches Risiko. Wer seine Prozesse, Kommunikation oder gar Produktentwicklung auf eine Blackbox stützt, spielt Roulette. Und zwar mit Reputationsverlust, Datenschutzklagen und strategischer Abhängigkeit.

Die ETH Zürich liefert den Vertrauensbeweis – in Codeform

Und dann kommt die ETH Zürich um die Ecke – ganz ohne Silicon-Valley-Gestus, dafür mit Schweizer Präzision – und veröffentlicht Apertus:

Ein vollständig transparentes, Open-Source-Sprachmodell, das nicht nur leistungsfähig, sondern auch nachvollziehbar, datenschutzkonform und ethisch abgesichert ist.

Klingt zu schön, um wahr zu sein? Ist es nicht. Sondern Realität. Hier und jetzt. Und genau das ist der eigentliche Skandal.

Denn was die ETH gezeigt hat, ist nicht nur technologisch brillant. Es ist ein stilles Meisterwerk strategischer Weitsicht. Kein Marketing-Gimmick. Kein "Wir sind auch dabei"-Pilot. Sondern ein echtes Fundament für eine souveräne, europäische KI-Zukunft.

Der stille Vorwurf: Europa hätte das längst tun können

Lassen Sie mich eines klarstellen: Ich bin stolz auf unsere Nachbarn in Zürich. Wirklich. Aber gleichzeitig frage ich mich: Warum braucht es die Schweiz, um zu zeigen, was in Europa möglich wäre?

Wo sind die deutschen, österreichischen, französischen Apertus-Momente? Warum finanzieren wir Kommissionen, aber keine Kodexzeilen? Warum exportieren wir Ethik – und importieren Blackboxes?

Apertus zeigt: Man muss nicht warten, man muss machen.

Was Entscheider jetzt daraus ableiten müssen

Für Unternehmer:innen, CIOs und Innovationsverantwortliche ergeben sich drei glasklare Handlungsfelder:

  1. Governance durch Verstehen statt Vertrauen: Schluss mit "wird schon passen". Transparente Modelle ermöglichen Audits, Kontrolle und Sicherheit – ein massiver Vorteil für regulierte Branchen.
  2. Unabhängigkeit statt Vendor-Lock-in: Wer sich heute von OpenAI & Co. abhängig macht, zahlt morgen mit Integrität, Budgets und Innovationskraft. Open Source bedeutet: volle Kontrolle. Volle Skalierbarkeit.
  3. Wettbewerbsvorsprung durch Anpassungsfähigkeit: Ein Modell, das du verstehst, kannst du trainieren. Optimieren. Feinjustieren. Und dadurch echte Differenzierung schaffen, statt nur Prompting zu betreiben.

Die Moral von der Geschichte? Vertrauen ist das neue Kapital.

Die nächste Generation von KI wird nicht nur an Leistung gemessen, sondern an Erklärbarkeit, Integrität und Souveränität. Und ja: an Haltung.

Apertus ist ein Beweis dafür, dass Europa nicht nur mitreden, sondern vorangehen kann – wenn wir denn wollen.

Jetzt liegt es an uns: Wollen wir KI verstehen – oder nur benutzen? Wollen wir gestalten – oder konsumieren? Wollen wir vertrauen – oder hoffen?

Die ETH hat geliefert. Jetzt sind wir dran.

Mehr über Apertus lesen Sie hier.

www.ahoi.biteme.digital


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