LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das nachhaltige Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in all ihren Facetten von Environment über Social bis Governance, von Innovationen über Generationendiskurs bis zu Nachfolgethemen.
Nachdem es beim vergangenen Mal um Afterwork auf dem Bauernhof gegangen war, erfahren die Leser:innen dieses Mal alles über wertvolle Bohnen. Denn Kaffee und Kakao stehen auf der Liste gefährdeter Lebensmittel. Wetterextreme erschweren den Anbau, treiben die Bohnenpreise nach oben und zwingen die Branche zum Umdenken. Der Weg in Richtung Nachhaltigkeit ist steinig – aber machbar. Ein optimistischer aehre-Blick in die Zukunft.
Text: Sonja Planeta
Cordelia Cupp, die exzentrische Ermittlerin und leidenschaftliche Vogelbeobachterin aus der Netflix-Krimi-Serie "The Residence", hätte auf den Bird-Friendly-Kaffee- und Kakaofarmen dieser Welt ihre wahre Freude. Nicht, weil es Mordfälle aufzuklären gibt, sondern weil sich dort farbenprächtige Singvögel wie der Scharlachkardinal, der Magnolienwaldsänger oder das Weidengelbkehlchen tummeln.
Anstatt auf gerodeten Regenwaldflächen in Monokulturen wachsen die Kaffee- und Kakaopflanzen unter dem natürlichen Blätterdach großer Bäume, das Vögeln, aber auch Insekten und Wildtieren Nahrung und Lebensraum bietet. Gleichzeitig wird durch den Schattenanbau in Agroforstsystemen die Biodiversität gefördert und die Erträge gesteigert. Und das wiederum klingt in Zeiten des Klimawandels, der Kaffee- und Kakaobäuer:innen mit Wetterkapriolen und Ernteeinbußen zu schaffen macht, nach einer vielversprechenden und nachhaltigen Form der Landwirtschaft. Ist also Bird Friendly, eine von der amerikanischen Smithsonian Institution eingeführte Zertifizierung, oder Agroforst die Lösung allen Übels für die derzeit schwer angeschlagene Kaffee- und Kakaobranche? Jein.
Hoffnung. Kaffee- und Kakaofarmer:innen gehen in eine unsichere Zukunft © Original Beans, Toak
Spürbarer Wandel
Die Kaffee- und Kakaopreise befinden sich auf einem historischen Höchststand. Grund dafür sind Ernteausfälle aufgrund von Extremwetterereignissen und Pflanzenkrankheiten: Brasilien, weltweit wichtigstes Kaffee-Produktionsland, kämpft gegen anhaltende Dürre und Waldbrände, Côte d’Ivoire, größter Kakaoproduzent der Welt, abwechselnd gegen Starkregen und lange Trockenphasen sowie vermehrten Schädlingsbefall. Internationale Rohstoffmärkte sind in Aufruhr, Kaffeeröster und Schokoladenhersteller reagieren mit ersten Preisanpassungen.
Am stärksten werde man diese bei dunklen Schokoladen merken, prognostiziert Carina Trafoier, die als "Tafelkuratorin" einen Onlineversand für Bean-to-bar-Schokoladen betreibt. "100%-Tafeln werden mit Sicherheit besonders teuer oder kleiner, aber auch weiße Schokolade verändert sich. Kakaobutter ist so exorbitant teuer und rar geworden, dass einige Hersteller:innen von Bean-to-bar-Schokolade derzeit keine weißen Tafeln produzieren können und sie aus dem Sortiment genommen haben." Große Marken versuchen hingegen durch "Shrinkflation" kompetitiv zu bleiben, "etwa durch den Einsatz von mehr Zucker, Fetten und anderen Füllstoffen wie Nüsse und Fruchtpulver."
Denn trotz Preisexplosion sind Kaffee und Kakao immer noch zu billig. Die Bäuerinnen und Bauern in den Anbauländern profitieren von den steigenden Preisen nur bedingt bis gar nicht; Millionen von ihnen leben nach wie vor in Armut. Es ist also ein Kampf an mehreren Fronten, der sich grob in ökologische und soziale Herausforderungen unterteilen lässt.
Einkommen. Zum Überleben braucht es eine faire Entlohnung © Original Beans, Toak
Regenerativer Anbau
Was den Umweltaspekt betrifft, stehen regenerative Ansätze hoch im Kurs. Durch die jahrzehntelange Abholzung von Wäldern, den Anbau in Monokultur-Plantagen und den maßlosen Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln wurden die biologische Vielfalt und natürlichen Ressourcen stark dezimiert.
Um die Biodiversität und Klimaresilienz wieder herzustellen, greift man auf traditionelle, agroforstwirtschaftliche Anbausysteme zurück: Schattengewächse wie Kaffee und Kakao gedeihen am besten in ursprünglichen Bergwäldern, wo durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Pflanzen das Mikroklima verbessert und die Lebensgrundlage der Kaffee- und Kakaofarmer:innen durch höhere Erträge und Zusatzeinkommen durch den Verkauf von Sekundärprodukten wie Früchte und Holz gesichert wird. Initiiert und vorangetrieben werden entsprechende Projekte von internationalen und lokalen Organisationen, Behörden und Kooperativen. Unterstützung kommt außerdem von Kaffee- und Kakaounternehmen, die ihre Bohnen ausschließlich aus regenerativer Landwirtschaft beziehen, darunter Original Beans, Silva Cacao, Zoto Cacao, To’ak Chocolate, Slow Forest Coffee, Birds & Beans Coffee oder die österreichische Kaffeemarke Bieder & Maier.
Ursprung. Kaffee und Kakao wachsen am besten in Bergwäldern © Original Beans, Toak
Entscheidend dabei ist, die Kaffee- und Kakaobäuer:innen davon zu überzeugen, keine weiteren Wälder zu roden, um neue Anbauflächen zu schaffen; was für viele Farmer:innen oft der einzige Ausweg ist, wenn bestehende Plantagen aufgrund von Klimawandel und veraltetem Baumbestand kaum noch Erträge bringen. Die EU hat bereits reagiert und die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) in Kraft gesetzt. Demnach dürfen Rohstoffe wie Kaffee und Kakao sowie daraus hergestellte Erzeugnisse zukünftig nur noch dann in die EU importiert werden, wenn sie auf entwaldungs- und waldschädigungsfreien Flächen produziert wurden.
Neue alte Sorten
Ein weiterer Ansatz, um für den Klimawandel gewappnet zu sein, ist der Anbau widerstandsfähiger Kaffee- und Kakaosorten. Arabica-Kaffee ist grundsätzlich schattenverträglich und für Agroforstsysteme geeignet, Züchtungen der letzten Jahrzehnte wurden jedoch für die Intensivlandwirtschaft und den Anbau in voller Sonne entwickelt.
Forschungen haben ergeben, dass das zu einem Produktivitätsverlust von 15 bis 40 Prozent führt. Das EU-finanzierte Projekt Breedcafs experimentierte daraufhin mit unterschiedlichen Genotypen, die besonders gut an schattige Lebensräume angepasst sind, und sprach sich schlussendlich für die Verwendung des F1-Hybrids Starmaya aus. Auch die Sorte Catimor, eine Kreuzung aus einer Arabica- und einer Robustasorte, gilt als vielversprechend, außerdem Wildkaffeearten wie Senophylla, die jedoch auf der Roten Liste der bedrohten Arten steht.
»Die Kakaokrise ist bereits bei den Konsument:innen angekommen.«
Carina Trafoier, Tafelkuratorin
Die letzten Bestände wollen Wissenschafter:innen nun rasch sichern und vermehren. In den USA, der Schweiz (Food Brewer) und Israel (Kokomodo) sind derweil Start-up-Unternehmen drauf und dran, Kakao(pulver) aus dem Bioreaktor auf den Markt zu bringen. Den Bäuerinnen und Bauern in den Kakao-Anbauländern hilft das jedoch reichlich wenig. Existenz- und einkommenssichernder sind Initiativen wie das Schokolade-Start-up Cocoaïan.
Umdenken. Langfristig braucht es mehr Verantwortung im Konsumverhalten © Toak
Um die Kakao-Wertschöpfung in Côte d’Ivoire zu erhöhen (die Elfenbeinküste ist zwar der größte Kakaoproduzent der Welt, produziert vor Ort aber kaum selbst Schokolade), haben sich der ehemalige afrikanische Diplomat Alain Porquet und der Ex-Chef einer europäischen Handelsfirma, Julien Marboeuf, zusammengetan, Kakaobäuer:innen eine spezielle Fermentationsmethode beigebracht, die auf der "Anima"-Methode des niederländischen Kakaoforschers Albertus Eskes basiert, und produzieren nun ihre eigene Schokolade. Original Beans verfolgt mit seiner Growers’ Chocolate, die vollständig in Peru hergestellt wird, das gleiche Ziel.
Einkommenssicherheit
Doch jetzt kommt das große Aber: Denn der Fokus auf höhere Erträge allein reicht nicht aus, wenn die Einkünfte der Bäuer:innen so gering bleiben, dass sie ihre Grundbedürfnisse nicht decken können. Zu den ökologischen Herausforderungen gesellen sich soziale Missstände wie Kinderarbeit. Abgesehen von besseren Ernteerträgen braucht es also eine Einkommenssicherheit, basierend auf höheren Rohstoffpreisen, fairer Entlohnung und einer Diversifizierung des Einkommens.
Tafelkuratorin. Carina Trafoier ist Expertin für Bean-to-bar-Schokolade. Sie prognostiziert weitere Preisanstiege © Carina Trafoier (Fotografin: Magdalena Pichler)
Auch der Zugang zu Finanzdienstleistungen ist essenziell, weil ohne finanzielle Mittel weder in hochwertigere Kaffee- und Kakaopflanzen noch in landwirtschaftliche Methoden oder Aus- und Weiterbildung investiert werden kann. Die Europäische Lieferkettenrichtlinie Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) verpflichtet Unternehmen bereits darauf zu achten, dass in ihrer gesamten Wertschöpfungskette die Menschenrechte gewahrt und mit der Umwelt sorgsam umgegangen wird. Auf Nachfrage des Historikers Dr. Michael Ehis Odijie vom University College London für eine Publikation im Fachjournal der Welthungerhilfe kreiden Bäuerinnen und Bauern jedoch an, dass die Unternehmen nur zögerlich dazu bereit sind, für nachhaltig produzierten Kaffee und Kakao auch entsprechend höhere Preise zu bezahlen.
Was es schlussendlich also noch braucht, sind ein höheres Bewusstsein und mehr Verantwortung im Konsumverhalten. Damit nicht nur Birder wie Serienfigur Cordelia Cupp etwas davon haben, sondern die Zukunft von Kaffee- und Kakaoproduzent:innen sowie der Naturschutz langfristig gesichert sind. –
Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im nachhaltigen Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der neuen Ausgabe, die am Kiosk oder auch online erhältlich ist.
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