Hitzewellen, Dürren und unterbrochene Lieferwege zeigen, wie verwundbar globale Lieferketten sind. Eines ist klar, Unternehmen müssen auf diese Umstände reagieren und handeln. Denn Betriebe, die ihre Strukturen nicht strategisch absichern, verlieren in Krisenzeiten an Reaktionsfähigkeit, so Vergabeexperte Martin Schiefer. Für ihn sei das keine Frage der Bürokratie, sondern der Weitsicht. Im Speziellen die öffentliche Hand könnte durch gezielte Vergaben zur wirtschaftlichen Resilienz beitragen, wenn Beschaffung als strategisches Steuerungsinstrument verstanden wird.
Die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie steht für viele für realitätsferne Bürokratie aus Brüssel. Für Schiefer greift jedoch eine solche Sichtweise zu kurz. "Die genaue Kenntnis der eigenen Lieferant:innen ist für Unternehmen die größte wirtschaftliche Chance der nächsten Jahre. Wer seine Lieferkette versteht, kann Risiken erkennen, strategisch steuern und sich in Krisenzeiten Handlungsspielräume sichern."
Ausgeweitete Sorgfaltspflicht für Unternehmen
In der heutigen Zeit bestehen Lieferketten aus Datenflüssen, digitalen Schnittstellen und Cloud-Infrastrukturen und verlaufen nicht über Straßen, Häfen oder Flugrouten. Das macht sie komplex und schwer kontrollierbar. "Gerade einmal 20 Prozent der Unternehmen kennen ihre direkten und indirekten Zulieferer:innen. Nur sechs Prozent geben an, den vollen Überblick über alle Zulieferer:innen zu haben", warnt Komplexitätsforscher Peter Klimek.
Vor diesem Hintergrund reagiert die EU auf diese Herausforderungen mit dem neuen Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Dabei sollen Unternehmen vor allem stärker für menschenrechtliche und ökologische Risiken entlang ihrer Lieferketten in die Verantwortung genommen werden. Das hat entsprechende Auswirkungen auf Compliance, Einkauf und Risikomanagement. Die Unternehmen müssten sich im Klaren sein, dass zwar das Inkrafttreten der Regeln um ein weiteres Jahr auf 2028 verschoben und Anforderungen abgeschwächt wurden, der Handlungsbedarf aber weiter hoch bleibt.
Öffentliche Beschaffung als strategischer Hebel
Strukturelle Probleme lassen sich nicht allein durch Gesetze beheben, umso bedeutender sei die Rolle der öffentlichen Auftraggeber. Bund, Länder und Gemeinden gehören zu den größten Einkäufern Österreichs. Mit einem jährlichen Auftragsvolumen von rund 70 Milliarden Euro besitzt die öffentliche Hand damit einen enormen Hebel, um durch gezielte Vergaben die wirtschaftliche Resilienz zu fördern. Gleichzeitig stellt das rechtliche Umfeld eine Herausforderung dar, da das EU-Vergaberecht keine Bevorzugung nationaler Anbieter erlaubt.
"Aus juristischer Sicht ist 'Made in Europe' möglich. Über die verbindliche Anwendung von ESG-Kriterien lassen sich Lieferketten strategisch beeinflussen. Kurze Wege, regionale Wertschöpfung und Arbeitsplätze als Kriterien für die Vergabe von Aufträgen wären ein wirkungsvolles Mittel, um Lieferketten strategisch neu aufzustellen und Europas Resilienz zu stärken", sieht Schiefer dennoch Handlungsspielraum.
Unternehmen in der Pflicht
Eines sei laut dem Experten aber klar: Staatliche Maßnahmen allein würden nicht ausreichen, um das Problem zu lösen. Unternehmen seien nun auch gefordert, ihre Lieferketten strategisch abzusichern und das nicht nur aus regulatorischen Gründen, sondern als Investitionen in ihre eigene Zukunftsfähigkeit. Denn resiliente Lieferketten würden wirtschaftliche Stabilität und verkürzte Reaktionszeiten bieten und in Krisen entscheidende Vorteile verschaffen.
Ein entscheidendes Instrument seien hierbei präzise gestaltete Vertragswerke mit Informationspflichten, Audit-Klauseln und nachvollziehbaren Prozessen. Sie würden Transparenz schaffen und es ermöglichen, Risiken wie instabile Sub-Auftragsketten oder unklare Preisgestaltung frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern.
"Die Frage sollte nicht sein, ob wir ein Gesetz erfüllen müssen. Entscheidend ist viel mehr, wie wir wirtschaftlich klug handeln. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die eigenen Lieferbeziehungen strategisch neu zu denken – nicht erst, wenn regulatorischer Druck es verlangt", fordert Martin Schiefer abschließend.
www.schiefer.at
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