Viele meiner geneigten Leser:innen wissen: Ich bin ein überzeugter Verfechter einer Wehr- bzw. Dienstpflicht in Deutschland und Österreich – und zwar für alle Geschlechter. Ein Jahr mindestens, verpflichtend. Für jede und jeden.
Ausdruck aktiver Bürgerschaft und kollektiver Verantwortung
Die Wehr- und Dienstpflicht ist ein Konzept, das seit Jahrhunderten tief in der Geschichte vieler Länder verankert ist. Gewiss war sie in früheren Zeiten oft ein autoritärer Zwang. Doch gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandelte sich ihr Charakter – zumindest im demokratischen Europa – zu einem Ausdruck aktiver Bürgerschaft und kollektiver Verantwortung. Das von mir sehr gern bemühte Zitat von John F. Kennedy bringt es auf den Punkt: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst."
Mit dem Ende des Kalten Kriegs und dem Fall des Eisernen Vorhangs ging in vielen westlichen Ländern nicht nur die militärische Bedrohung zurück – es schwand auch die gesellschaftliche Akzeptanz für den Dienst an der Allgemeinheit. In Deutschland wurde die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt – für mich einer der folgenschwersten politischen Fehler der letzten Jahrzehnte. Denn die Argumente für eine allgemeine Dienstpflicht sind heute so gültig wie damals, wenn nicht sogar noch dringlicher.
Akt gelebter Solidarität
Freiheit ohne Sicherheit ist und bleibt eine Illusion. Frieden ohne Verteidigungsfähigkeit ist ein fragiles Konstrukt. Es gibt kein "Wandel durch Handel", wie man lange gehofft hatte – es gibt nur die Kraft bewusster Abschreckung, um Freiheit zu bewahren. Oder, wie es der ehemalige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz formulierte: "Frieden ohne Freiheit heißt Unterdrückung, und Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktatur."
Doch über die sicherheitspolitische Dimension hinaus ist eine allgemeine Dienstpflicht – sei sie militärisch oder zivil – auch ein Akt gelebter Solidarität. Sie ist Ausdruck gesellschaftlicher Verantwortung. Wer einen Dienst leistet, zeigt, dass er oder sie bereit ist, etwas an jene Gesellschaft zurückzugeben, die uns Sicherheit, Bildung, soziale Absicherung und Teilhabe ermöglicht.
Disziplin, Empathie und soziale Kompetenz
Darüber hinaus fördert ein solcher Dienst Integration und Bildung. Menschen unterschiedlichster Herkunft, sozialer Milieus und Lebenswelten kommen zusammen. Sie arbeiten miteinander, leben für eine gewisse Zeit unter denselben Bedingungen und lernen, sich aufeinander zu verlassen. Das fördert Disziplin, Empathie und soziale Kompetenz – Werte, die unsere Gesellschaft dringend braucht.
Als ich nach dem Abitur (Matura) meinen etwa zweijährigen Dienst antrat, wurde mir zum ersten Mal wirklich bewusst, unter welch geschützter Käseglocke ich mich bis dahin bewegt hatte. Das Zusammentreffen mit den vielen Kameraden mit völlig anderen Biografien, unterschiedlichen familiären Hintergründen und vielfältigen Perspektiven empfinde ich noch heute als bereichernd, horizonterweiternd und in vielerlei Hinsicht prägend.
Respekt, Durchhaltevermögen und Verantwortung
Ein solcher Dienst kann auch zur Selbstfindung beitragen. Junge Menschen stoßen an persönliche, physische und emotionale Grenzen – und lernen, damit umzugehen. Sie lernen Respekt, Durchhaltevermögen und Verantwortung – für sich selbst, für andere und für das Gemeinwohl.
Natürlich ist eine verpflichtende Dienstzeit eine Form von staatlich verordnetem Zwang. Aber wer in einer funktionierenden Demokratie lebt und von deren Errungenschaften profitiert, sollte bereit sein, auch etwas beizutragen. Wer nur nimmt und nie gibt, bewegt sich – überspitzt gesagt – in einer asozialen Einbahnstraße.
Völlig unverständlich ist mir daher die Haltung, eine Dienstpflicht dürfe nur für Männer gelten. Wenn wir Gleichberechtigung ernst nehmen, dann gehört dazu auch die Gleichverpflichtung – zur Verteidigung, zur Hilfeleistung, zur gesellschaftlichen Mitverantwortung. Alles andere wäre ein Rückschritt in überholte Rollenmuster.
"Il dolce far niente"
Nun mögen manche einwenden, meine Haltung sei zu rigide, zu staatsgläubig, zu wenig hedonistisch. Dabei bin ich bekennender Anhänger des Genusses – und ebenso ein großer Fan von "Il dolce far niente", dem süßen Nichtstun. Nicht umsonst zählt der Film "Eat, Pray, Love" zu meinen Favoriten.
Ist das ein Widerspruch? Ich denke nicht. Im Gegenteil: Wer Verantwortung übernimmt, weiß die Pause zu schätzen. Wer Pflichten kennt, weiß, wie wichtig Erholung ist. Wer gedient hat, weiß um den Wert des Rückzugs. Wer etwas für andere getan hat, versteht besser, was es heißt, ganz bei sich selbst zu sein.
Gerade dieser Kontrast – zwischen Pflichtbewusstsein und bewusstem Müßiggang – macht für mich das Wesen eines mündigen Menschen aus. Nur wer beides kennt, kann beides sinnvoll leben. In diesem Sinne wünsche ich allen Leser:innen einen schönen, erholsamen Sommer – vielleicht auch mit einer stillen Minute des Nachdenkens darüber, was wir unserer Gemeinschaft schuldig sind.
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