LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das Nachhaltigkeits-Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in all ihren Facetten von Environment über Social bis Governance.
Nachdem es beim vergangenen Mal ums Arbeiten trotz Krebsdiagnose gegangen war, spricht aehre dieses Mal mit einer Expertin für Biodiversität. Denn die Natur ist stärker als der Mensch. Allein, die meisten wissen das einfach nicht. Genau das will die Biologin und Buchautorin Jasmin Schreiber ändern. Wir brauchen Narrative, um uns mit der Umwelt zu verbinden. Insekten spielen auf der Welt eine wichtige Rolle. Ein Gespräch über Ekel, nützliche Lebewesen und Aufklärung.
Text: Karin Pollack
Jasmin Schreiber macht richtig viele Sachen. Zum einen ist sie Biologin an der Universität, sie schreibt aber auch Romane, kann ausgesprochen gut zeichnen und gestaltet zusammen mit ihrem Mann unter dem Titel "Bugtales.fm – die Abenteuer der Campbell-Ritter" einen Podcast. Was all diese Aktivitäten verbindet, ist ihre Faszination für Insekten. Seit Kindesalter faszinieren sie Krabbeltiere. Deshalb forscht sie zur Biodiversität von Käfern. Für das Gespräch mit aehre kommt sie gerade vom Institut.
aehre: Was hält Ihr produktives Leben inhaltlich eigentlich zusammen?
Jasmin Schreiber: Definitiv die Natur. Alles, was ich erschaffe, hängt damit zusammen. Ich beackere das Thema einfach auf sehr vielen Kanälen.
aehre: Was genau interessiert Sie daran?
Schreiber: Ich habe keinen verklärten oder romantischen Blick auf die Natur, das verlernt man in einem Biologiestudium sehr schnell. Ich bin realistisch und sehe mich oder uns Menschen als Teil davon. Wir sind nicht über die Natur erhaben, sondern im Gegenteil abhängig von ihr. Wie wenig wir gegen Naturkatastrophen ausrichten können, sieht man bei jeder Überschwemmung, bei jeder Dürre, bei jedem Sturm. Der Mensch kann nichts machen. Die Natur ist stärker, wir können sie nicht kontrollieren.
»Käfer nicht mehr automatisch plattmachen, sondern nach draußen tragen.« Jasmin Schreiber
aehre: Merken das die Leute auf dem Land nicht eher als die in der Stadt?
Schreiber: Würde ich nicht so pauschal sagen. Land ist ja nicht immer automatisch Natur, da gibt es auch viel Landwirtschaft. Und wenn man die überdüngten, mit Pestiziden verseuchten Monokulturen auf dem Land sieht, dann ist das nicht gerade ein Zeichen dafür, dass die Leute, die diese Felder bewirtschaften, sich um die Natur kümmern. Die Biodiversität ist in einem Stadtpark sicher größer. Es geht für jeden von uns darum, sensibler für Naturschutzthemen zu werden.
aehre: Und genau das wollen Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?
Schreiber: Irgendwie schon. Ich denke, es fehlen die Narrative, um uns mit der Natur verbinden zu können. Über größere Tiere weiß man eher Bescheid, aber über Insekten wissen viele einfach nichts. Wissen nicht, wofür sie gut sind, wie sie leben, was sie brauchen. Genau hier setze ich an, ich gebe den Leuten sozusagen einen Schubser. An den Rückmeldungen sehe ich, dass das wirkt. Viele schreiben mir dann, dass sie Käfer jetzt nicht mehr automatisch plattmachen und Spinnen nicht mehr killen, sondern nach draußen tragen.
aehre: Warum ekeln sich Menschen vor Insekten?
Schreiber: Weil wir die Eigenschaft haben, alles in Gut und Schlecht beziehungsweise in Nützlich oder Nichtnützlich einzuteilen. Klar verbinden wir mit einer Stechmücke keinen uns förderlichen unmittelbaren Nutzen und denken dabei gar nicht daran, dass Stechmücken möglicherweise für andere Lebewesen wichtig sind, und – zu Ende gedacht – in Folge auch für den Menschen hilfreich sind.
»In der Wirtschaft sind die großen Hebel, bei denen man ansetzen könnte, zu sehen.« Jasmin Schreiber
aehre: Vielleicht hat es historische Gründe: Läuse haben die Pest übertragen …
Schreiber: Über die Hälfte aller Lebewesen sind Parasiten. Sie sind also die Norm. Wenn wir etwas nicht kennen, gilt das schnell mal als eklig. Ich setze im Bereich der sogenannten Ekeltiere deshalb auch auf Aufklärung. Wenn man weiß, wozu etwas gut ist, kann man es schätzen. Und was man schätzt, das schützt man.
aehre: Bräuchte es nicht mehr politische Arbeit in Sachen Umweltschutz?
Schreiber: Klar, aber es ist schwierig. Wenn jemand ohnehin schon Geldsorgen hat, dann will er nicht auch noch ständig über die Klimakatastrophe nachdenken. Ich habe auch gar nicht den Anspruch, Leute zu bekehren. Meine Bücher werden sicher die, die gerne mit 250 Sachen über die Autobahn brettern, nicht davon abhalten. Denen ist es egal, dass Autobahnen
Lebensräume für Millionen von wichtigen Lebewesen zerstören. Aber es gibt andere, die durch meine Bücher eine Empathie für Insekten entwickeln.
Unterirdisch. Alles, was unter der Erde ist, sehen die Menschen nicht. Jasmin Schreiber holt ihre Geschichten aus der Erde und beweist, wie wichtig Käfer sind. © Ronja Schmidt
aehre: Sie forschen zur Biodiversität. Was machen Sie da genau?
Schreiber: Um ehrlich zu sein: Wir verwalten das Artensterben, indem wir das Verschwinden von Lebewesen kartografieren und die entsprechenden Zahlen ermitteln. Das ist sehr frustrierend. Die Wissenschaft warnt seit mehr als 20 Jahren. Aber es passiert nichts. Ich habe Kolleg:innen, die sagen: „Wir kriegen die Kurve nicht mehr.“ Aber so pessimistisch will ich nicht sein. Wir brauchen einen breiten politischen Willen. In der Wirtschaft sind die großen Hebel, bei denen man ansetzen könnte.
aehre: Sind viele Menschen zu bequem für Veränderungen?
Schreiber: Ich weiß es nicht. Warum brauchen wir noch mehr Autobahnen? Warum ist ein Tempolimit so schwierig zu realisieren? Unsere Ökosysteme sind krank. Wir können ihnen beim Sterben zusehen. Es gibt so viel zu tun. In der Industrie, in der Landwirtschaft, aber auch jeder Einzelne kann hier seinen Beitrag leisten. Wir müssten jetzt bloß ins Tun kommen.
Naturarium, Eichborn Verlag, € 27,50 © Eichborn Verlag
aehre: Und wenn nicht?
Schreiber: Die Erde braucht uns Menschen nicht. Wir glauben immer, dass wir als Spezies nicht aussterben können, aber das Gegenteil ist der Fall. Wenn es auf der Erde zwei, drei oder vier Grad wärmer wird, verlieren wir unsere Lebensgrundlage. Der Tyrannosaurus Rex zum Beispiel: Haben Sie davon mal Bilder gesehen? Ein riesiges Viech, und selbst der ist ausgestorben. Die Erde dreht sich auch ohne uns weiter. Die Frage ist, ob wir als Gattung noch dabei sein wollen. Eine unserer großen Stärken ist, dass wir soziale Lebewesen sind. Gemeinsam können wir das schaffen. –
Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im Nachhaltigkeits-Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der neuen Ausgabe, die sowohl am Kiosk erhältlich als auch am 26. Juni 2025 dem "Der Standard" beigelegt ist.
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