Untersuchung des NHM Wien
Letzter Alligator Mitteleuropas stammt aus Wien-Hernals

| Larissa Bilovits 
| 17.03.2025

Im Zuge einer neuerlichen Untersuchung einer Panzerplatte im Naturhistorischen Museum Wien, die ursprünglich einer Schildkröte zugeordnet war, stellten Wissenschaftler:innen fest, dass es sich hierbei um einen Alligator handeln muss. Damit warf der Knochenfund aus dem 17. Bezirk zahlreiche Fragen auf. 

In den Sammlungen des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien finden sich zahlreiche spektakuläre Archive der Natur - allein die Geologisch-Paläontologische Abteilung zählt mehr als 5,6 Millionen Objekte. Einige von ihnen offenbaren deren wahre Bedeutung erst Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung, beispielsweise weil sie aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts im Zuge von Revisionen neu bewertet werden können. Auch kürzlich ist dieser Fall wieder eingetreten, und ein Knochenfund aus dem 19. Jahrhundert entpuppte sich nach einer neuerlichen Untersuchung als Sensation.

Hernals als früheres Küstengebiet

Konkret handelt es sich in diesem Fall um einen wertvollen Sammlungskomplex, bestehend aus Knochen und Zähnen fossiler Wirbeltiere, der aus den ehemaligen Tongruben von Hernals im 17. Wiener Gemeindebezirk stammt. Wo sich heute der Postsportverein in der Roggendorfgasse befindet, prägten bis ins frühe 20. Jahrhundert die Ziegelgruben das Wiener Stadtbild. Lange bevor Wien entstand, genauer gesagt vor 12,2 Millionen Jahren, lag das Gebiet nahe der Küste eines warmen, fischreichen Flachmeers voller Robben und Delphine. Deren Knochen bildeten schließlich in den Tongruben eine dünne Schicht, die im 19. Jahrhundert intensiv besammelt wurden. Hunderte dieser ansonst sehr seltenen Fossilien liegen in den Laden des NHM Wien und werden bis heute von Forschenden aus der ganzen Welt studiert. Ebenfalls fanden sich in dieser Schicht zahlreiche Panzerteile und Knochen von Weichschildkröten, die damals allerdings nicht ganz so interessant für die Forschenden waren und daher seltener bearbeitet wurden.

KartePaläogeographie des Wiener Beckens vor 12,2 Millionen Jahren © NHM Wien

Vergleich mit steirischen Krokodilen

Ursula Göhlich, die Wirbeltier-Paläontologin des NHM Wien, unterzog diese Reste nun einer neuerlichen Untersuchung - und stellte dabei fest, dass eine der Platten falsch zugeordnet war. Der rechteckige Umriss und die durch tiefe Gruben strukturierte Oberfläche passten nämlich überhaupt nicht zu Panzerplatten von Schildkröten, wie ursprünglich angenommen. "Da war klar, dass es sich um eine Hautplatte eines Alligators handeln muss", so die Wissenschaftlerin.

Um ihren Verdacht zu bestätigen, wandte sie sich an Martin Gross vom Universalmuseum Joanneum Graz, der das Wiener Fossil mit der umfangreichen Sammlung fossiler Krokodile der Steiermark verglich. "Die steirischen Alligatoren sind fast vier Millionen Jahre älter als das Wiener Reptil und gehörten zu einer anderen Art. Die Hautschuppen zeigen aber, dass beide eng miteinander verwandt sind", erklärt der Forscher.

Knochen

Hautplatte des Alligators aus Hernals © NHM Wien, Alice Schumacher

Das letzte Krokodil Mitteleuropas

Der Fund warf einige Fragen auf: Alligatoren lebten über Millionen von Jahren in Europa, wobei ihre Blütezeit allmählich vor 13,6 Millionen Jahren endete. Als Grund dafür wird die globale Abkühlung vermutet, die beispielsweise auch für das Absterben der Korallenriffe rund um das Leithagebirge sorgte. Bisher war man davon ausgegangen, dass die letzten Alligatoren etwa eine Million Jahre früher aus Mitteleuropa verschwanden, als das Hernalser Fossil, das von einem kleinen Alligator der Gattung Diplocynodon stammt, belegt.

Diese Tiere waren etwa zwei Meter lang und waren in den Sümpfen und Flusslandschaften im Hinterland des Meeres beheimatet. Forschende gehen davon aus, dass - ebenso wie bei ihren modernen Verwandten - vermutlich Fische, Vögel, Schildkröten und kleinere Säugetiere auf dem Speiseplan standen. Dass Kadaver dieser Süßwassertiere durch Flüsse ins Meer gelangten, war durchaus selten. 

Deswegen könnte der Hernalser Alligator ausgestorben sein

Der aktuelle Fund legt jedenfalls nahe, dass der Hernalser Alligator das letzte bekannte Krokodil in Mitteleuropa war. Vor rund sechs Millionen Jahren erreichten zwar auch echte Krokodile aus Afrika kommend Süditalien, starben allerdings bald wieder aus, noch bevor sie sich potenziell weiter nach Norden hätten ausbreiten können.

Aber wie ist der Hernalser Alligator ausgestorben? Die Arbeitsgruppe rund um den Studienleiter Mathias Harzhauser stellte hierfür die Hypothese auf, dass es weniger die Abkühlung gewesen sei, die die Alligatoren vertrieb -immerhin kann der moderne Mississippi Alligator sogar in gefrorenen Tümpeln überleben. Vielmehr vermuten die Wissenschaftler als Ursache eine Phase ungewöhnlicher Trockenheit vor etwa zwölf Millionen Jahren, die die Lebensräume der Alligatoren bedroht haben könnte.

Die gesamte Studie können Sie hier nachlesen.

www.nhm-wien.ac.at

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