Alexander Steinhart: Aufgrund der in Unternehmen häufig gestellten Frage: "Wie lange können wir noch weiterproduzieren?", war das Thema Supply Chain in den letzten Jahren im Tagesgeschäft sehr präsent. Hat sich Ihrer Erfahrung nach, die Sicht des C-Levels auf Supply Chain Management dadurch verändert?
Beatrix Praeceptor: In den letzten Jahren haben viele Unternehmen gelernt, dass etwas, das immer gegeben war - nämlich eine funktionierende Lieferkette - plötzlich eben nicht mehr selbstverständlich war. Für mich ist einer der Gründe, warum es so wenige Chief Supply Chain Officer gibt, dass das Thema Supply Chain meist als sehr operativ wahrgenommen wird. In der Supply Chain arbeiten Menschen, die Probleme lösen, und somit funktioniert sie auch immer. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das Thema Supply Chain strategisch positioniert und bearbeitet werden muss. Denn strategische Versäumnisse können in einer Krise nicht aufgeholt werden.
Steinhart: Da ist Troubleshooting gefragt.
Praeceptor: Genau, da geht es dann um Troubleshooting. Aber wenn man ständig im Hamsterrad des Troubleshootings ist, muss man sich irgendwann herausnehmen, um das Ganze einmal von etwas weiter weg zu betrachten und sich zu fragen: Wie können wir uns strategisch so aufstellen, dass unsere Kund:innen das bekommen, was sie brauchen, wenn sie es brauchen? Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das von guter strategischer Arbeit mit Lieferant:innen und am gesamten Supplier-Management abhängt. Dabei geht es sowohl um strukturelle Themen als auch um menschliche Beziehungen.
Steinhart: Um gute Zahlen zu erwirtschaften, braucht es auf jeden Fall eine funktionierende Supply Chain, es braucht funktionierende Partnerschaften mit Kund:innen und klarerweise auch mit Lieferanten. Das alles rückt die Supply Chain und den Einkauf etwas näher zum C-Level. Vor allem ist es unserer Erfahrung nach wichtig strategisch am System zu arbeiten und nicht nur im System gut zu sein. Wo muss man hier Ihrer Meinung nach ansetzen?
Praeceptor: Ich arbeite nun fast 30 Jahre in unterschiedlichen Bereichen in der Supply Chain und weiß, dass sobald man etwas strukturell oder strategisch in der Supply Chain ändern will, sehr rasch die Frage gestellt wird, ob und wie sich das rechnet. Auf den zweiten Blick wird meist ersichtlich, dass man die internen Supply-Chain-Kosten gar nicht kennt. Das ist sicher eines der Dinge, die sich verändern werden oder sich meiner Ansicht nach bereits ein wenig verändert haben. Man konzentriert sich nicht nur darauf, ob sich etwas – nach den Kriterien, die wir heute kennen – rechnet, sondern man fragt: Ist das auch das Richtige, ist es das, was wir tun müssen? Auch wenn es sich vielleicht erst in zehn Jahren rechnet? Das heißt konkret: Wir haben die Verantwortung als Unternehmen, nicht nur heuer Profite zu machen. Natürlich müssen wir die machen, denn sonst gibt es uns nicht mehr, aber wir tragen darüber hinaus auch die Verantwortung, dass es in zehn oder dreißig Jahren noch eine Welt gibt, in der wir arbeiten oder leben können.
Steinhart: Neben Aspekten der Nachhaltigkeit geht es da zu einem großen Teil auch um Risikomanagement. Und das wird in einer Welt, die so dynamisch ist, wie sie sich aktuell entwickelt, immer wichtiger. Nach wie vor haben sich gewisse Bottlenecks in den Lieferketten nicht aufgelöst, geopolitische Spannungen nehmen eher zu als ab und die Inflationsentwicklung der letzten Jahre schlägt sich bereits in einer geringeren Nachfrage nieder. Bleibt es also für die Supply Chain auch weiterhin so herausfordernd?
Praeceptor: Ich glaube, dass die Volatilität das neue Normal ist. Unberechenbarkeit ist das neue Normal. Es existieren im Moment überall auf der Welt zahlreiche fragile Elemente, die alle miteinander zusammenhängen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass zu irgendeinem Zeitpunkt irgendwo wieder etwas passiert, was die Lieferketten unterbricht. Aber wie wir während der Corona-Pandemie gesehen haben, sind Menschen unglaublich lernfähig und können sich schnell auf Krisen einstellen. Das Risikomanagement hat stark an Bedeutung gewonnen, das Denken in Szenarien und das Krisenmanagement wird Teil der Planung und der Businessprozesse werden. Um im Fall des Falles – ähnlich wie bei einer Versicherung -vorbereitet zu sein.
Steinhart: Du warst im Hause der Mondi Group als Chief Procurement Officer eine bekannte Größe und bist im Mai 2023 als CEO der Packaging Division zur Greiner Group gewechselt. Wie kam es dazu?
Praeceptor: Ich habe zu dem Zeitpunkt schon seit elf Jahren bei Mondi gearbeitet und bin von Natur aus jemand, der gern gestaltet und Themen vorantreibt. Dieser Mehrwert ist bei Mondi für mich immer weiter in den Hintergrund gerückt. Nach einer gewissen Zeit ist es schwer, außerhalb seiner Box zu denken und der Energieaufwand, neue Themen und Veränderung voranzutreiben, wird immer größer. Wahrscheinlich ist er auch gar nicht so notwendig, denn es läuft ja alles gut. In diesem Spannungsfeld hat sich für mich die Frage gestellt: Will ich diesen schönen, ruhigen Fluss noch die letzten zehn Jahre meiner Karriere haben? Auf der anderen Seite habe ich noch viel Energie und möchte weiterlernen. Ich wollte auch immer in die erste Reihe. Mein Traum war stets, Dinge so zu gestalten, wie ich sie mir vorstelle, und nicht nur aus der zweiten Reihe zu sagen, was die anderen falsch machen. Ich bin lieber Teil der Lösung, als Probleme zu beklagen. Mitten in diesen Überlegungen kam das Angebot von Greiner.
Steinhart: Soweit ich weiß, hattest du in Ihrer Karriere zumeist gute Chefs bzw. Mentoren, jedoch waren diese immer männlich. Ist es da als Frau nicht schwierig, einen eigenen Weg zu finden, wenn einem ausschließlich männliche Role models vorgelebt werden?
Praeceptor: Ja, und das hat natürlich auch etwas mit mir gemacht. Das war interessant in der Vorbereitung auf meine neue Rolle: Das Bild, das ich von einem CEO hatte, ist tatsächlich ein männlicher CEO. Ich bin dann in eine Phase gekommen, in der ich mir überlegt habe, wie ich diese Rolle ausfüllen möchte und gleichzeitig ich selbst bleibe. Ich habe mir die Frage gestellt, wie das der allgemeinen Erwartung gerecht wird, wenn ein CEO kein Mann ist?
Selbst bei einer weiblichen CEO hat man oftmals gefühlt männlichen Attribute vor Augen. Meinen Platz und meine Rolle zu finden und mein intrinsisches Bild eines CEO zu verändern, das empfinde ich immer noch als einen sehr spannenden Prozess. Auf der anderen Seite habe ich wirklich die Ambition, dass man in zehn Jahren darüber gar nicht mehr diskutiert, weil es einfach egal ist.
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