SAP Österreich-Chefin im Interview
"Bis 2027 fehlen Europa im Technologieumfeld bis zu 3,9 Millionen Arbeitskräfte"

| Bernhard Führer 
| 07.03.2024

Christina Wilfinger, Geschäftsführerin von SAP Österreich, spricht im LEADERSNET-Interview u.a. über ihren Werdegang, die immens rasante Entwicklung von KI-Technologien und den Fachkräftemangel im IT-Sektor.  Zudem erklärt sie, wie es der Konzern seit 1972 schafft, laufend technische Innovationen zu entwickeln. 

Christina Wilfinger ist seit Jänner 2021 Geschäftsführerin von SAP Österreich - in dieser Position die erste Frau an der Spitze des Technologieunternehmens seit Gründung vor 38 Jahren. In ihrer aktuellen Funktion möchte Wilfinger die Digitalisierung in Österreich weiter vorantreiben und die Innovationsfähigkeit österreichischer Unternehmen gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten stärken. Gemeinsam mit ihrem Team legt Wilfinger einen besonderen Schwerpunkt auf die Digitalisierung der mittelständischen Betriebe.

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Wilfinger, erzählen Sie Ihren Hintergrund. Wie haben Ihre Kindheit und Ihr Aufwachsen Ihren Weg als erste Frau an der Spitze von SAP Österreich beeinflusst?

Christina Wilfinger: Ich habe meine Kindheit als unglaublich liebevoll in Erinnerung. Meine Eltern haben meinen Geschwistern und mir viel ermöglicht - sie haben uns ermutigt und gestärkt, viele Dinge auszuprobieren. Als jüngstes von drei Geschwistern habe ich auch gelernt oder lernen müssen, wie ich mich durchsetzen kann. Und sicherlich hat mich die Bühnenerfahrung, die ich im Zuge meiner musikalischen Ausbildung machen durfte, ebenso geprägt und gestärkt – diese Erfahrungen waren sicher sehr hilfreich in Hinblick auf meinen Werdegang und meiner Führungsqualitäten.

LEADERSNET: Eine massive einschneide Veränderung, welche wir derzeit beobachten, ist das Thema der Künstliche Intelligenz (KI). Erleben wir gerade eine ähnliche technologische Revolution wie einst beim Buchdruck?

Wilfinger: Ich denke, wir stehen inmitten einer neuen Ära. Denken Sie nur an die rasante Verbreitung des Smartphones, die vor mehr als einem Jahrzehnt begonnen hat. Ähnlich ist es mit KI – der Wandel ist sicher noch größer und die Geschwindigkeit, mit der diese Technologie weiterentwickelt wird und zum Einsatz kommt, ist enorm. Immer mehr Unternehmen erkennen die Stärken und Wettbewerbsvorteile, die KI-Lösungen für ihre Prozesse bieten. Einige Bereiche, wie das Gesundheitswesen und das Bankwesen, arbeiten mit besonders großen und sensiblen Datensätzen. Für sie war der Nutzen von KI schon von Anfang an offensichtlich. Banken und Finanzinstitute haben höhere Anforderungen an Sicherheit, Compliance und Transaktionsgeschwindigkeit. In dieser Branche wurden KI-Technologien daher auch als erstes eingesetzt. Funktionen wie KI-Bots, digitale Zahlungsberater und biometrische Erkennungsmechanismen von Betrug tragen dazu bei, die Effizienz und den Kundenservice im Bankwesen zu verbessern sowie Risiken und Betrug zu reduzieren.

Heutzutage bietet moderne KI-Technologie mit ihrer Reichweite und Zugänglichkeit relevante Anwendungen für fast alle Geschäftsmodelle. Bei SAP entwickeln wir businesstaugliche KI-Lösungen, die in unsere Geschäftsanwendungen integriert sind. Erst letztes Jahr haben wir JOULE, unseren KI-Assistenten, auf den Markt gebracht. Anwender:innen können damit u.a. Geschäftszahlen heraussuchen, Stellenanzeigen vorformulieren oder Genehmigungen erteilen, ohne einzelne Menüs aufrufen zu müssen. Im Hintergrund kommt generative KI zum Einsatz, die natürliche Sprache verarbeiten kann.

LEADERSNET: Was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten Fehler, die Unternehmen und der Mittelstand im Hinblick auf Cloud/Innovation und KI begehen?

Wilfinger: Digitale Technologien wie Cloudlösungen zählen zu einem integralen Bestandteil des modernen Geschäftslebens. Hier gilt es die Möglichkeiten für das Business auszuloten und effektiv einzusetzen, denn sonst entstehen schnell nachteilige Auswirkungen, gerade in unser wettbewerbsgetriebenen, globalisierten Wirtschaft. Augen verschließen und abwarten, das geht nicht mehr!

Durch die Pandemie, aber auch die multiplen, globalen Krisen/Herausforderungen hat Österreichs Wirtschaft sicher rasanter die Chancen der Digitalisierung entdeckt bzw. entdecken müssen. Es ist mir ein besonderes Anliegen, KMUs in Österreich zu unterstützen und digital zukunftsfit zu machen. Darauf setzen wir dieses Jahr verstärkt unseren Fokus und bieten unterschiedliche Beratungsmöglichkeiten an.

LEADERSNET: Erst kürzlich kam es zu einem Vorstandsumbau, der Teil einer größeren Umstrukturierung ist. SAP schaffte ein neues Vorstandsressort für die Cloud. Ist das der zukünftige Fokus des Unternehmens?

Wilfinger: SAP hat in den vergangenen Jahren bereits die Transformation hin zu einem der führenden Business Cloudanbieter vorangetrieben. Das starke Cloud-Wachstum von SAP in den letzten drei Jahren, zusammen mit der Entwicklung einer branchenweit führenden, hochmodularen Cloud-Suite, schafft nun die Voraussetzungen für die nächste Stufe an Innovationen und Relevanz. Mit April 2024 wird ein neuer Vorstandsbereich "Customer Services &Delivery" geschaffen, um das weitere Wachstum und die Einführung von Cloud-Lösungen bei Kunden zu gewährleisten. Dieser Vorstandsbereich, geleitet von Thomas Saueressig, soll sicherstellen, dass Kunden kontinuierliche Innovationen in der Cloud schneller übernehmen und wertschöpfend nutzen. SAP wird verstärkt Investitionen in strategischen Wachstumsbereichen tätigen, in erster Linie in KI. Damit werden wir auch zukünftig wegweisende Innovationen entwickeln und gleichzeitig die Effizienz unserer Geschäftsprozesse verbessern.

LEADERSNET: Welche Schlüsselstrategien verfolgt SAP, um seine Wettbewerbsfähigkeit in einem sich schnell entwickelnden Markt zu stärken?

Wilfinger: SAP hat seit seiner Gründung 1972 gezeigt, wie Innovation über Jahrzehnte funktioniert. Mit unserem Portfolio an Softwarelösungen für 26 Branchen haben wir eine Benchmark gesetzt. Durch die stetige Weiterentwicklung, gemeinsam mit unserem Partnernetzwerk und Kunden, wie auch der Fokussierung auf zukünftige Technologien - wie gerade jetzt KI - gelingt es uns, am Markt weiterhin profitabel zu wachsen.

LEADERSNET: Wie sehen Sie das Potenzial weiblicher Arbeitskräfte im Bereich der Technologie in den nächsten Jahren? Welche Fähigkeiten und Stärken bringen Frauen mit, die für die Zukunft der Technologiebranche relevant sind? Wie können wir sicherstellen, dass dieses Potenzial voll ausgeschöpft wird?

Wilfinger: Es ist schade, dass der Frauenanteil in MINT Studienfächern seit Jahren stagniert – nur 38 Prozent der MINT-Absolvent:innen in Europa sind Frauen. Es fehlen jetzt schon gut ausgebildete Fachkräfte in Europa im Technologieumfeld - bis 2027 zwischen 1,4 bis 3,9 Millionen Arbeitskräfte. Um die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft zu steigern, sehe ich großes Potenzial in einem verstärkten Frauenanteil. Wir müssen in der Ausbildung bereits im Kindergarten ansetzen, Mädchen und Frauen Chancen ermöglichen und vor allem ermutigen – nur so können wir in diesem Bereich den Frauenanteil erhöhen und die Stärken der Frauen gleichermaßen einsetzen. Ein wesentlicher Aspekt ist natürlich auch die deutlich bessere Bezahlung in MINT-Berufen als in anderen Branchen.

LEADERSNET: Die IT-Branche wird seit Jahren von eklatantem Fachkräftemangel geplagt. In Österreich fehlen derzeit zwischen 20.000 und 30.000 IT-nahe Fachkräfte. Welche Perspektiven sehen Sie hier? Kommt SAP an geeignetes Personal?

Wilfinger: Weltweit stehen Unternehmen heute vor wachsenden Herausforderungen, ob es sich um den Fachkräftemangel in der IT oder anderen Bereichen handelt, da sie die Lücke zwischen den aktuellen Kompetenzen ihrer Belegschaft und den Kompetenzen, die sie für die Zukunft benötigen, schließen müssen. Diese Kluft zu überwinden bedeutet, die Art und Weise zu optimieren, wie sie auf dem heutigen wettbewerbsintensiven Arbeitsmarkt neues Personal gewinnen und einstellen, und wie sie Lern- und Entwicklungsprogramme bereitstellen, um Mitarbeitenden bei ihrer beruflichen Weiterentwicklung zu helfen. Als SAP punkten wir natürlich einerseits durch unsere internationale Ausrichtung, andererseits sehen wir durch den Einsatz KI-getriebener Lösungen und Cloud Technologien viel Potenzial, dem Mangel zu begegnen.

LEADERSNET: Wenn Sie Ihr Unternehmen nicht leiten und nicht die Mutter einer Tochter sind, was machen Sie sonst da draußen?

Wilfinger: Als Ausgleich zum Beruf verbringe ich meine Zeit gerne in der Natur und mit Bewegung, vorzugsweise in meiner Wochenend-Heimat in der schönen Steiermark. Ich genieße es sehr, die Vielfältigkeit des kulturellen Angebots im Stadtleben mit der Natur des Landlebens zu kombinieren.

www.sap.com/austria

Zur Person

Christine Wilfinger hat einen abwechslungsreichen Karriereweg hinter sich – zuerst verschrieb sie sich der Musik, bevor sie dann eine technische Ausbildung einschlug und die Fachrichtung EDV und Organisationan der HTL Pinkafeld absolvierte. Anschließend studierte sie Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Wien.

Sie startete ihre Karriere in der IT Branche, hatte verschiedene leitende Positionen bei SAP inne, u.a. als Director Solution Sales. Dann wechselte sie für den nächsten Karriereschritt zu Microsoft Österreich und fungierte als Mitglied des Managementteams, bevor sie als Geschäftsführerin zu SAP Österreich zurückkehrte.

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Christine Wilfinger hat einen abwechslungsreichen Karriereweg hinter sich – zuerst verschrieb sie sich der Musik, bevor sie dann eine technische Ausbildung einschlug und die Fachrichtung EDV und Organisationan der HTL Pinkafeld absolvierte. Anschließend studierte sie Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Wien.

Sie startete ihre Karriere in der IT Branche, hatte verschiedene leitende Positionen bei SAP inne, u.a. als Director Solution Sales. Dann wechselte sie für den nächsten Karriereschritt zu Microsoft Österreich und fungierte als Mitglied des Managementteams, bevor sie als Geschäftsführerin zu SAP Österreich zurückkehrte.

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