Eigenverantwortung oder Vorschriften? Wie man die Probleme unserer Zeit lösen könnte

| Redaktion 
| 21.09.2022

Der Verhaltensökonom Ernst Fehr ging auf Einladung der Zürcher Kantonalbank Österreich AG der Frage nach dem richtigen Weg zur Problemlösung nach.

Verschiedenste Herausforderungen wie die Bekämpfung der Klimaerwärmung, die Durchsetzung von Entscheidungen in Unternehmen oder die Umsetzung von Anti-Corona-Maßnahmen erfordern Kooperationsbereitschaft der Menschen. Während die einen für mehr Selbstverantwortung plädieren, sehen die anderen das Allheilmittel in (staatlichen) Vorschriften. Ernst Fehr ging der Frage nach dem richtigen Weg nach.

"Liberale Illusion" und "linker Irrtum"

Einer der Grundpfeiler menschlichen Zusammenlebens sei, Menschen zu kooperativen Entscheidungen zu bewegen, meint Fehr. Die eine These laute, dass dazu kein Eingriff oder Anreiz von außen notwendig sei, weil Menschen eigenverantwortlich agieren – das bezeichnet Fehr als "liberale Illusion". Die andere ginge hingegen davon aus, dass Menschen nur durch Vorschriften motiviert werden könnten und Eigenverantwortung keine oder nur eine geringe Rolle spielen würden – laut Fehr handelt es sich dabei wiederrum "linken Irrtum".

Nicht Egoisten, sondern Kooperationsbereite umstimmen

"Gesellschaften sind meistens heterogen. In sogenannten Anreizsituationen gibt es bedingt kooperative Individuen, die etwa 50 Prozent ausmachen, und 30 Prozent Egoist:innen. Gäbe es nur Egoist:innen, dann würde Eigenverantwortung keine Rolle spielen und man bräuchte sehr starke staatliche Anreize, um ein Verhalten zu verändern. Da dem nicht so ist, liegt der Fokus auf den bedingt kooperativen Individuen, die es im Interesse der Gesamtgesellschaft zu mobilisieren gilt", erklärte Fehr.

Gesichtsmasken als Beispiel

Als Beispiel brachte Fehr das Tragen von Gesichtsmasken in der Corona-Pandemie. Vor Einführung der Maskenpflicht in der Schweiz befürwortete eine Mehrheit die Maskenpflicht, fast alle Befürworter:innen trugen jedoch paradoxerweise selbst keine Maske. Als die Maskenpflicht beschlossen, aber noch nicht in Kraft getreten war, trug bereits knapp ein Drittel und nach Inkrafttreten die Mehrheit Maske. Innerhalb einer Woche war also die Unterstützung von quasi null auf 100 Prozent gestiegen. Fehr erklärt dieses Verhalten so, dass die bedingt kooperativen Menschen zunächst pessimistisch waren und nicht erwarteten, dass die Mehrheit Maske tragen würde. Zudem wollte nicht jeder selbst ein so starkes Statement setzen. Als die Pflicht beschlossene Sache war, wandte sich demnach das Blatt, weil sich die Erwartungshaltung und damit auch die Anreizsituation änderte. Dadurch trugen viele Menschen schon vor Inkrafttreten eine Maske. Spätestens damit war der Meinungsumschwung besiegelt.

Vier Schritte gegen mangelnde Kooperationsbereitschaft

"Dieses Prinzip ist auf jedes Kooperationsmodell anwendbar, ob es sich um die Klimaerwärmung, die Unterstützung von Vorhaben in Unternehmen durch die Belegschaft oder die Anti-Corona-Maßnahmen handelt", führte Fehr aus. Ein Kooperationsproblem ließe sich durch vier Schritte lösen: Erstens müsse definiert werden, was sozial richtig ist und darauf basierend muss das wünschenswerte Verhalten klar definiert werden. Zweitens sei ein vorbildliches Verhalten von Führungspersonen entscheidend; dies trage dazu bei, dass die Erwartungen aller über die Kooperationsbereitschaft erhöht werden. Drittens sei die Sanktionierung von Trittbrettfahrern, welche die Maßnahmen nicht unterstützen, wichtig. In Unternehmen komme noch ein vierter Punkt hinzu – hier sei diese gegenüber Staaten im Vorteil: Die Selektion der richtigen Mitarbeiter:innen optimiert insgesamt die Kooperationsbereitschaft im Haus.

Selbstversuch bei Sanktionen

Beim Thema Sanktionen berief sich Fehr auf einen Versuch: Die Teilnehmer:innen erhielten demnach Geld, das sie entweder behalten oder in öffentliche Güter investieren können. In einer speziellen Versuchsanordnung konnten sie die anderen Teilnehmer:innen durch eine Zahlung sanktionieren, wenn diese in ihren Augen die falsche Entscheidung getroffen haben. Die Folge war eine enorme Zahlungsbereitschaft und ein Anstieg der Kooperationsbereitschaft in Richtung hundert Prozent. Mit Sanktionen müsse nicht unbedingt eine Strafe, sondern kann auch das Vorenthalten von Lob oder anderes Feedback gemeint sein. 

www.zkb-oe.at

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