"Der Schaden ist meines Erachtens noch gar nicht abzusehen – er ist riesig"

Sacher-Geschäftsführer Matthias Winkler im exklusiven Interview zu aktuellen Problemstellungen der Hotellerie, Mitarbeiterloyalität in Krisensituationen, warum er als einer der ersten auf Kurzarbeit gesetzt hat, und wie es mit Sacher und Co. jetzt weitergeht.

Sachertorte und Hotel Sacher gelten als Paradebeispiele für eine starke österreichische Marke. Als Familienunternehmen zählt bei den Betrieben des Hotel Sacher jeder einzelne Mitarbeiter. Matthias Winkler, Geschäftsführer der Sacher-Hotels, erzählt im ausführlichen LEADERSNET-Interview von der Abreise der letzten Gäste, dass einige auf ihren gewohnten Kaffeehausbesuch lange nicht verzichten wollten, wie man mit den Mitarbeitern durch diese Krise geht und im Team, als Familie, in guten wie in schlechten Zeiten zusammenhält, neue Hygienemaßnahmen, wie lange es dauern wird, bis Normalität einkehrt, welche Spuren die Krise hinterlassen wird und warum er schon begonnen hat, sich mit dem Tag 1 nach Corona zu beschäftigen.

LEADERSNET: Die Corona Krise führte auch zur Schließung aller Top-Betriebe, das Hotel Sacher in Wien hatte bis zuletzt geöffnet und muss nun auch schließen, ein schwerer Moment?

Winkler: Die Sicherheit und die Gesundheit unserer Gäste und unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind das Wichtigste. Wir wollten unter Einhaltung aller Vorschriften und sinnvollen Maßnahmen auch in schwierigen Zeiten für unsere Gäste da sein, es war für uns eine Frage des Selbstverständnisses. Nun werden wir auf behördliche Anordnung hin schließen.

LEADERSNET: Wie ist es den letzten Gästen ergangen, woher kamen sie und wann sind sie abgereist?

Winkler: Die letzten Gäste im Sacher Wien kamen aus Australien, wir hatten diese noch unterstützt einen früheren Rückflug zu bekommen. Sie versprachen wieder zu kommen, wenn sich die Situation weltweit beruhigt habe. Im Sacher Salzburg reisten die letzten Gäste zurück nach San Francisco, auch diese wollten wiederkommen, vielleicht nächstes Jahr.

LEADERSNET: Sie haben sich als eines der ersten Unternehmen für Kurzarbeit statt Arbeitslosigkeit entschieden. War es schwierig, diesen Entschluss zu fassen?

Winkler: Wir haben uns dafür entschieden, noch bevor die Rahmenbedingungen klar waren. Für uns war es selbstverständlich, dass wir mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch diese Krise gehen werden, im Team, als Familie, in guten wie in schlechten Zeiten. Das ist nicht nur unsere Verantwortung, sondern das sagt uns auch unser Bauchgefühl: jetzt ist es Zeit das Richtige zu tun und solidarisch zu sein. Der Rechenstift oder die Kalkulationstabelle alleine sind keine guten Ratgeber, natürlich gehören sie aber zur Betrachtung dazu.

LEADERSNET: Gelten als Familienbetrieb andere Spielregeln in solchen Ausnahmesituationen?

Winkler: Ja, Familienbetriebe agieren anders, wir haben langfristige, generationenübergreifende Interessen. Wir sind sparsam und wirtschaften nachhaltig. Das macht sich in Krisenzeiten bezahlt. Außerdem sind wir mit unseren Mitarbeitern eng verbunden, mit manchen seit 40 Jahren, mit anderen erst seit 40 Tagen. Alle gehören zu Sacher dazu und verdienen unseren grössten Respekt. Jetzt haben wir die Möglichkeit, das auch zu beweisen. Das tun wir und die Rückmeldungen sind überwältigend.

LEADERSNET:  Wie sind Sie in den ersten Tagen nach Bekanntwerden der Maßnahmen mit den Problemstellungen umgegangen?

Winkler: Wir haben uns zuerst mal um die Gesundheit aller gekümmert, jene der Gäste und jene der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Danach haben wir sofort alles getan um die Arbeitsplätze zu erhalten. Einige Mitarbeiter haben wirklich Tag und Nacht und Wochenende gearbeitet, alles händisch ausgerechnet und aufbereitet. Seit letzter Woche sind wir mit allen bürokratischen Arbeiten fertig und jeder einzelne Mitarbeiter ist individuell informiert worden. Jetzt beginnen wir, uns mit dem Tag 1 nach Corona zu beschäftigen.

So eine Situation hat noch niemand von uns erlebt, aber die Solidarität unserer Mitarbeiter ist unglaublich. Natürlich haben viele Angst vor dem was kommen wird aber es gibt noch mehr Hoffnung und Optimismus, auch wenn es im Tourismus Jahre dauern wird, bis wir wieder dort sind, wo wir waren.

LEADERSNET: Wie war das Echo bei den Touristen und den Beschäftigten?

Winkler: Beide verhalten sich unglaublich solidarisch, Gäste senden uns Emails und rufen an , unterstützen uns und wünschen uns alles Gute. Unsere Mitarbeiter sind mit uns in Kontakt über zahlreiche Whatsapp Gruppen, und vorallem über hotelkit, unserem internen Kommunikationstool, bei dem fast jeder einen Account hat. Wenn die Krise etwas Gutes haben soll, dann diese Reaktionen. Das ist mitunter berührend und macht uns stolz. Und es macht uns sicher, dass es im Team leichter ist.

LEADERSNET: Welche Rolle spielt die Mitarbeiterloyalität in solchen Situationen?

Winkler: Die Hotels, die Restaurants, die Cafes, die Original Sacher-Torte sind ja unverändert, dennoch ist derzeit alles anders. Ein Rundgang durch`s leere Haus, durch leere Cafes, durch die leere Küche führt eindrucksstark vor Augen, was unsere Sacher Häuser wirklich ausmacht: es sind die Menschen - und die fehlen derzeit. Digitalisierung hilft dennoch Kontakt zu halten und das tun wir mit fast allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Deren Zuspruch und deren Unterstützung, deren Hilfe auch untereinander macht die Stärke der Marke Sacher aus. In guten wie in schlechten Zeiten!

LEADERSNET: Gibt es eigentlich noch Personen, die Krise hin Krise her, gerne auf einen Kaffee einkehren wollen?

Winkler: Derzeit sind die Straßen leer, dennoch gibt’s überraschend viele Stammgäste, die gerne kommen würden. Sie haben aber alle Verständnis, dass alle Lokale geschlossen bleiben müssen.

LEADERSNET: Gibt es bereits Maßnahmen im Hygiene-Management, die Sie einsetzen wollen, sobald Sie wieder aufsperren?

Winkler: Wir haben immer schon auf höchste Sauberkeit geachtet. Wir recherchieren gerade verschiedenste Möglichkeiten, wie unsere Branche das noch besser machen kann, inclusive Technologie, die uns vielleicht unterstützen kann. Wir sehen uns an, wie das Spitäler machen, da können wir bestimmt noch etwas lernen.

LEADERSNET: Wann wird das Leben "nach Corona" beginnen?

Winkler: Es hat im Kleinen schon begonnen, wir arbeiten am Tag 1 nach Corona.
Die Hoffnung und dieser Optimismus sind enorm wichtig. Wann wir diesen Tag 1 im Kalender vermerken dürfen, wissen wir noch nicht. Zuerst muss die Gesundheit aller gewährleistet sein – aber der Tag 1 kommt und dann wird es zwar langsam gehen, aber die Richtung wird stimmen, dann geht`s wieder bergauf.

LEADERSNET:  Werden die Betriebe dann eher stufenweise nach oben gefahren?

Winkler: Wir gehen davon aus, dass die Maßnahmen der Bundesregierung gestaffelt und langsam wieder zurückgenommen werden, dasselbe gilt für uns dann auch, wir werden stufenweise wieder nach oben fahren.

LEADERSNET: Jänner und Februar waren überdurchschnittlich gut gebucht, ab wann schätzen Sie ist die Buchungslage bei Ihnen wieder auf Normalkurs?

Winkler: Der März war de facto ohne Umsätze, der April und der Mai sehen genauso verheerend aus. Wir hoffen in den Hotels auf erste Buchungen im Juni und Juli, ebenso, dass wir unsere Lokale dann wieder aufsperren dürfen, wenn unsere Gäste und Mitarbeiter wieder sicher sind. Bis zur Normalität wird es bei uns 3-4 Jahre dauern, bis die ganze Welt wieder reist.

LEADERSNET: Ist es realistisch, dass die finanzielle Lücke durch fehlende Umsätze, nach der Krise wieder gefüllt werden kann? Welche Maßnahmen werden hierfür benötigt? Die Fachgruppe Hotellerie Wien fordert aktuell Entschädigungen für alle Wiener Hotels, unabhängig davon, ob diese behördlich geschlossen wurden.

Winkler: Die Maßnahmen treffen viele besonders hart, auch wir im Tourismus sind getroffen. Wir sind mitten in der Krise, wissen noch gar nicht, wann wir wieder aufsperren dürfen. Was wir jetzt brauchen, ist Liquidität, so wie viele anderen Branchen auch, um durch die Krise durchzukommen. Da gibt es schon Garantien und andere Maßnahmen, die helfen. Viele brauchen dennoch Cash um die nächsten Wochen durchzustehen.
Nach Bewältigung der Gesundheitskrise müssen wir die Wirtschaftskrise meistern. Das wird nur funktionieren, wenn wir es gemeinsam tun und solidarisch. Die Regierung und die Sozialpartner haben bewiesen, dass sie schnell und in großer Einigkeit agieren können. Das wird auch notwendig sein, wenn es um die Reparatur der finanziellen Schäden geht. Der Schaden ist meines Erachtens noch gar nicht abzusehen – er ist riesig!

LEADERSNET: Was werden die tiefgreifendsten Änderungen in der Hotellerie sein?

Winkler: Das wissen wir noch nicht genau. Die Krise wird aber ihre Spuren hinterlassen, das Sicherheitsbedürfnis, insbesondere Hygiene und Sauberkeit, wird noch grösser sein, die Bedeutung von Gesundheit wird weiter zunehmen und das Verlangen nach Authentizität wird grösser sein als je zuvor. Nur die totale Transparenz wird Vertrauen schaffen, Gäste werden alles von uns wissen wollen und das ist gut so. Es wird mehr Wertschätzung geben und mehr Bewusstsein für die unglaublichen Leistungen aller im Tourismus. Egal in welcher Distanz wir zukünftig zueinander stehen müssen, wir werden enger zusammenrücken. Die Digitalisierung konnte endlich zeigen, was sie alles kann, nämlich unsere Kommunikation ergänzen oder überbrücken, wenn wir einander nicht treffen können.

LEADERSNET: Welche Prognosen würden Sie für den Tourismus allgemein und speziell für ihre Betriebe für die Zeit danach wagen?

Winkler: Im Sacher sind über 90% der Gäste international Reisende, nicht aus Österreich. Aus den Ereignissen 9/11 und der Wirtschaftskrise 2008 wissen wir, dass es jeweils 3-4 Jahre gedauert hat, bis sich unsere Branche wieder erholt hat. Wir sind und bleiben optimistische Realisten und müssen mit einer jahrelangen Erholung rechnen, darauf stellen wir uns ein. Wir arbeiten dennoch intern schon an vielen Projekten die den Titel „TAG 1“ tragen, wenn wir schrittweise wieder eröffnen und die Erholung langsam aber stetig beginnen kann. Bis dahin sind wir mit unseren Stammgästen genau so in Kontakt, wie mit Reisebüros auf der ganzen Welt bzw sind aktiv auf social media.

LEADERSNET:  Ein Schweizer Luxus-Hotel bietet ein Quarantäne-Package samt Corona Test, andere stellen ihre Hotels als medizinische Ausweichquartiere für Corona-Fälle zur Verfügung. Was halten Sie davon?

Winkler: Mit der Krise Geld verdienen zu wollen oder es auch nur zu versuchen, finden wir schlichtweg falsch, niemals würden wir daher zum Beispiel Luxus Quarantäne anbieten. Und wenn das ein Scherz war, dann ein besonders schlechter.
Es ist vielmehr die Zeit für Solidarität, wir arbeiten eng mit der Caritas zusammen, spenden Lebensmittel ans Steirereck, die wiederum für Einsatzkräfte kochen, haben unsere Original Sacher-Torten an Polizei und Bundesheer verschenkt. Wo immer wir helfen können, tun wir und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das gerne. (jw)

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