Sind Sie, geneigte Leser:innen, emotional? Ich bin eher der zurückhaltende und kontrollierte Typ, trotzdem merke ich, wie es innerlich manchmal brodelt und wie dies viele meiner Entscheidungen beeinflusst. Aber was sind Emotionen überhaupt? Nach einer weit gefassten Definition sind Emotionen "komplexe psychophysiologische Zustände, die als Reaktion auf bestimmte innere oder äußere Reize entstehen. Sie beeinflussen unser Denken, Verhalten und unsere körperlichen Prozesse. Dabei sind Emotionen nicht nur Gefühle im engeren Sinne, sondern beinhalten kognitive Bewertungen, körperliche Reaktionen und Verhaltensimpulse."
Die älteste - modernste Sprache der Menschheit
Oder anders ausgedrückt: Emotionen sind die älteste Sprache der Menschheit – und zugleich die modernste. In einer Welt, die sich immer schneller dreht, in der Informationen in Echtzeit zirkulieren und Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen werden, sind Gefühle längst nicht mehr nur Begleiterscheinungen unseres Denkens. Sie sind zu einem zentralen Steuerungsinstrument geworden, und zwar nicht nur im persönlichen Bereich, sondern auch in der Politik, in der Wirtschaft und im gesellschaftlichen Diskurs.
Neue Dynamik der Kommunikation
Emotionen sind also nicht mehr nur privat, sondern öffentlich. Die Digitalisierung hat sie sichtbar gemacht – durch Emojis, Kommentare, Likes und Shares. Plattformen wie Instagram, TikTok oder X, aber auch immer öfter klassische Business-Foren wie LinkedIn, belohnen emotionale Inhalte mit Reichweite. Was berührt oder empört, wird verbreitet. So entsteht eine neue Dynamik der Kommunikation, in der Gefühle oft mehr zählen als Fakten.
Diese Entwicklung hat auch die Politik erfasst. Populistische Bewegungen weltweit zeigen, wie effektiv sich Emotionen instrumentalisieren lassen. Angst vor dem Fremden, Wut auf "die da oben", Sehnsucht nach einfachen Lösungen – all das sind emotionale Trigger, die Wahlen entscheiden können. Die politische Debatte wird nicht mehr nur rational geführt, sondern zunehmend emotional aufgeladen. Vor allem aber erstarken die extremen Parteien aufgrund dieser Emotionalität. Die Mitte versucht, dem mit Vernunft und Sachlichkeit zu begegnen, scheitert damit aber häufig, weil sie es nicht verstanden hat, dass man die Ängste der Wähler:innen ernst nehmen muss. Wer Menschen für sich oder seine Ideen gewinnen will, muss ihre Sorgen ernst nehmen und sie emotional abholen.
Emotionale Führung ist ein "Must-have"
Wie lässt sich das aber nun in der Praxis umsetzen? Lassen Sie uns ein wenig genauer hinsehen, was man sich dazu aus der Wirtschaft abschauen kann. In der Unternehmenswelt sind Emotionen längst ein strategischer Faktor. Führungskräfte, die empathisch kommunizieren, Vertrauen aufbauen und emotionale Intelligenz zeigen, sind erfolgreicher. Sie schaffen Bindung, fördern Motivation und stärken die Resilienz ihrer Teams. In Zeiten von Unsicherheit und Wandel ist emotionale Führung kein "Nice-to-have", sondern ein "Must-have".
Gleichzeitig setzen Unternehmen auf emotionale Markenführung. Produkte werden nicht mehr nur über Funktionen verkauft, sondern über Geschichten, über Werte und über das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein. Kund:innen zu gewinnen und dauerhaft zu binden gelingt nur, wenn Marken authentisch berühren und echte Identifikation stiften.
Emotionen als Mittel zur Macht
Daraus lernend kann man für die Politik sagen, dass die gezielte Steuerung von Emotionen längst Teil professioneller Kommunikationsstrategien ist, was jedoch noch nicht alle Parteien erkannt haben. In der Politik spricht man vom "Framing" – der bewussten Wahl von Begriffen, die bestimmte Gefühle auslösen. "Flüchtlingswelle" klingt bedrohlich, "Menschen auf der Flucht" menschlich. Die Wahl der Worte entscheidet über die Wahrnehmung und damit über Zustimmung oder Ablehnung.
Auch Rituale und Symbole spielen eine Rolle: Flaggen, Hymnen, Gedenktage, Farben einer Partei etc., denn sie schaffen emotionale Gemeinschaft. Politiker:innen, die authentisch (!) Mitgefühl zeigen, können Vertrauen gewinnen. Wer Hoffnung vermittelt, kann mobilisieren. Wer hingegen Angst schürt, will kontrollieren, und so können Emotionen als Mittel zur Macht eingesetzt werden, im Guten wie im Schlechten.
Weg zur Verständigung
Natürlich sind Emotionen nicht nur ein Werkzeug der Manipulation, sie sind auch ein Weg zur Verständigung. Wer seine eigenen Gefühle kennt und die der anderen versteht, kann zwischen Menschen, unterschiedlichen Meinungen und Kulturen Brücken bauen. Insofern ist diese Fähigkeit der emotionalen Intelligenz der Schlüssel, mit sich selbst und anderen konstruktiv umzugehen. Und die gute Nachricht ist: Das ist erlernbar.
In einer Welt, die von Unsicherheit, Komplexität und Wandel geprägt ist, brauchen wir keine gefühllosen Technokrat:innen. Wir brauchen Führungspersönlichkeiten, die mit Herz UND Verstand agieren. Lassen Sie uns also Emotionen nicht als Risiko sehen, sondern als Ressource. Setzen wir die emotionale Intelligenz ein, um Vertrauen und Stabilität zu schaffen, die Demokratie zu stärken und so die Zukunft gemeinsam zu gestalten.
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