LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Danninger, Österreich steckt laut Wifo noch immer in einer konjunkturellen Durststrecke – mit einem BIP-Wachstum von unter einem Prozent. Was ist aus Ihrer Sicht der entscheidende Hebel, um das Land aus dieser "Low-Growth"-Falle zu holen?
Jochen Danninger: Dazu gibt eine Reihe von Hebeln, die kurz-, aber auch längerfristig angesetzt werden. Die klassischen Wachstumstreiber müssen weiter gestärkt werden: gerade beim privaten Konsum gibt es erste positive Signale, dass er wieder anspringt und sich dadurch zu einem bedeutenden Wachstumstreiber etabliert. Darüber hinaus braucht es dringend erforderliche Zukunftsinvestitionen in Österreich durch gezielte Investitionsanreize wie etwa verbesserte Abschreibungsbedingungen.
Das übergeordnete Ziel muss ein wettbewerbsfähiger und wachstumsfreundlicher Wirtschaftsstandort sein, und dieses Ziel ist national ebenso wie europäisch zu denken und zu verfolgen. Wir brauchen Impulse für den Standort und für mehr unternehmerische Planungssicherheit. Das sind zum Beispiel die kürzlich im Ministerrat vorgelegten Maßnahmen zur Entlastung des Wirtschaftsstandorts, etwa durch raschere Genehmigungsverfahren. In diese Richtung muss es jetzt rasch weitergehen: Entlastung bei Kosten und Bürokratie, aber auch strukturelle Veränderungen für einen zukunftsfitten Standort. In diese Richtung zielt auch die gerade in Ausarbeitung befindliche nationale Industriestrategie.
LEADERSNET: Bei einem der großen Zukunftsthemen scheint gerade Ernüchterung einzusetzen: Schwächelnde Nachhaltigkeitsfonds und Insolvenzen zeigen, dass grüne Versprechen nicht automatisch schwarze Zahlen bedeuten. Stehen wir vor einer Trendwende bei der Nachhaltigkeit, und was bedeutet das für österreichische Unternehmen im Spannungsfeld des Green Deals?
Danninger: Nachhaltigkeit ist und bleibt ein zentrales Thema für Unternehmen – hier hat sich das Bewusstsein von kurzfristigen Maßnahmen hin zu einer langfristigen und wettbewerbsfähigen nachhaltigen Transformation weiterentwickelt. Die österreichischen Unternehmen sind in vielen Bereichen Vorreiter und erfüllen die hohen europäischen Standards, etliche EU-Anforderungen sind allerdings überschießend und zu kurz gedacht. Deshalb erwarte ich mir weitere Reparaturen zum Green Deal auf EU-Ebene, dort, wo sie möglich und sinnvoll sind. Dass es bereits Anpassungen etwa bei der Entwaldungsverordnung – wenn auch vorerst nur terminlich, aber immerhin – gegeben hat, ist ein gutes erstes Zeichen. Auch die tiefergehenden Anpassungen beim Klimazoll CBAM gehen in die richtige Richtung. Wettbewerbsfähigkeit ist endlich in den Fokus des EU-Gesetzgebers gerückt, Gott sei Dank. Sowohl beim European Green Deal der letzten fünf Jahre als auch beim neuen Clean Industrial Deal gibt es allerdings noch sehr viel zu tun – damit eine nachhaltige Transformation mit Wettbewerbsfähigkeit vereinbar und somit auch langfristig gesichert wird.
LEADERSNET: Wettbewerbsfähigkeit ist ein Kernthema: Als Vordenker für innovative Entwicklungen im Finanzsektor wissen Sie um die Macht der Innovation. Während andere Länder bei KI und Digitalisierung voranpreschen, droht Europa ins Hintertreffen zu geraten. Wo sehen Sie die entscheidenden Hebel für österreichische Unternehmen, um nicht nur im globalen Innovationsrennen mitzuhalten, sondern die Führung zu übernehmen?
Danninger: Ich würde es so formulieren: "Ohne Innovation kein Wohlstand." Denn Innovation ist ein wesentlicher Treiber von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Sie ist essenziell, um Wohlstand und soziale Stabilität in Europa und Österreich zu sichern. Innovation und insbesondere die digitale Transformation bieten große Chancen, die wir als Wirtschaftsstandort und Gesellschaft nutzen müssen.
Gerade digitale Technologien haben eine besondere Bedeutung, da sie Hebelwirkung auf eine Vielzahl anderer Schlüsseltechnologien entfalten – von Biotechnologie über Produktionstechnologien bis zu grünen Technologien. Deshalb braucht es eine breite Diffusion digitaler Technologien in die gesamte Wirtschaft – vom EPU über KMU bis zu Großunternehmen. Ziel ist, nicht nur Anwender, sondern Gestalter der digitalen Zukunft zu werden.
Was Österreich jetzt braucht, ist strategisches Vorgehen: Wo liegen unsere Stärkefelder, in welchen Bereichen können wir eine internationale Führungsposition erreichen? Beispiele sind Quantentechnologien, Life Sciences und grüne Technologien. Schlüsseltechnologien profitieren dabei immer auch von einem insgesamt wettbewerbsfähigen Standort. Etwa durch global konkurrenzfähige Energie- und Lohnkosten. Hier müssen wir unsere Hausaufgaben machen.
LEADERSNET: Als Generalsekretär der WKO stehen Sie an der Schnittstelle von Politik und Wirtschaft. Angesichts der aktuellen geopolitischen Spannungen und Handelsstreitigkeiten: Wie wollen Sie die Interessen österreichischer Unternehmen schützen und gleichzeitig internationale Kooperationen fördern?
Danninger: Wir müssen akzeptieren: Die geopolitischen Realitäten haben sich von Grund auf verändert. Deshalb gilt es heute mehr denn je, das eigene außenwirtschaftliche Umfeld aktiv politisch mitzugestalten. Dies geschieht zunächst über die EU-Handelspolitik. Hier müssen weiterhin alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, Störungen der transatlantischen Handelsbeziehungen auf dem Verhandlungsweg so gut es geht auszuräumen. Daneben ist stets ein klares Signal nach außen an alle kooperationswilligen Partnerländer zu senden, dass die EU auch künftig eine verlässliche Partnerin für freien Handel bleibt. Untermauern muss das die EU-Kommission auch durch konkretes politisches Handeln, insbesondere durch den Abschluss neuer und die Weiterentwicklung bestehender Freihandelsabkommen.
Im unmittelbaren Nachbarschaftsumfeld haben wir die Zügel selbst in der Hand. Mit der Erweiterung und Vertiefung des EU-Binnenmarkts stabilisieren wir nicht nur den Rahmen für den europäischen Freihandel – gerade für Österreich, dessen Exporte zu rund 70 Prozent in den gemeinsamen Markt gehen, stellt dieser einen wichtigen geoökonomischen Puffer dar –, wir erhöhen damit auch die Attraktivität des größten Binnenmarkts der Welt für ausländische Investoren und Exporteure.
LEADERSNET: Sie wurden als "Kämpfer für den Wirtschaftsaufschwung" bezeichnet. Welches konkrete Ziel haben Sie sich für Ihre Amtszeit bei der WKÖ gesetzt, um diesen Aufschwung zu realisieren, und wie messen Sie den Erfolg Ihrer Maßnahmen in den nächsten Jahren?
Danninger: Eine wirkungsvolle Wirtschaftspolitik ist das zentrale Instrument für eine erfolgreiche Zukunft unseres Landes und die muss im Sinne einer breit angelegten Standortpolitik gedacht werden. Ein solcher Ansatz umfasst die Beseitigung von Hindernissen für unternehmerische Freiheit und Leistungskraft – insbesondere dann, wenn sie Anpassungen der Unternehmen an technologischen Fortschritt oder klimapolitisch bedingte Transformation erschweren. Darüber hinaus muss aber auch die Rolle des Staates neu überdacht werden. Er muss vorausschauend Instabilitäten vermeiden und erwartungsstabilisierend auf die Wirtschaftsakteure wirken.
Ich halte es gerade jetzt für besonders wichtig, dass unser Blick in die Zukunft von Zuversicht getragen ist und wir mit dieser Perspektive die Dinge angehen. Diese Zuversicht braucht das Land. Sie ist die Basis für mutige Entscheidungen, die es für die Zukunft jetzt zu treffen gilt, und die WKÖ spielt dabei weiterhin eine Schlüsselrolle. Jetzt ist die Zeit, neue Wege zu gehen – mit Haltung, mit Weitblick und mit dem Ziel, unsere Betriebe zu stärken und fit für die Zukunft zu machen.
LEADERSNET: Junge Menschen blicken zunehmend skeptisch auf Politik und Wirtschaft. Was würden Sie einem 25-jährigen Gründer sagen, der zwischen Bürokratie und globaler Konkurrenz seinen Platz sucht?
Danninger: Wir leben in einer Zeit großer Chancen – besonders für jene, die Verantwortung übernehmen, Freiräume nutzen und Zukunft gestalten wollen. Junge Gründer:innen bringen dabei frische Ideen, Mut und Tatkraft in die Wirtschaft. Damit sie sich von Anfang an auf ihre Stärken konzentrieren können, stehen wir ihnen mit unserem Gründerservice in über 90 Bezirks- und Regionalstellen zur Seite – mit Beratung, Know-how und wertvollen Netzwerken wie der Jungen Wirtschaft. Zugleich setzen wir uns für mehr Möglichkeitsräume für Gründer:innen ein: von digitalen Vereinfachungen beim Gründungsprozess über steuerliche Entlastungen, wie die Anhebung des Gewinnfreibetrags bis zu mehr Freiräumen für Innovation, etwa durch einen Dachfonds zur Aktivierung privaten Kapitals. So schaffen wir gemeinsam ein Österreich, in dem Ideen wachsen, Gründerträume möglich werden und Zukunft entsteht.
www.wko.at
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