Gesundheitsbarometer 2025
Mehrheit der Frauen klagt über schlechte Behandlung durch Ärzte

Obwohl der Großteil der Österreicher:innen prinzipiell mit der Gesundheitsversorgung zufrieden ist, berichtet das weibliche Geschlecht über besorgniserregende Erfahrungen im medizinischen Bereich. 

Dass wir im Jahr 2025 noch immer darüber klagen müssen, dass Frauen eine schlechtere medizinische Versorgung erhalten als Männer, ist, um es mit direkten Worten auszudrücken, eine Schande für Österreich. So klafft die Lücke des Gender Health Gaps weiter vor sich her und nimmt zahlreichen Frauen die Lebensqualität – wenn nicht gar direkt das Leben. Dabei ist diese schlechtere medizinische Versorgung keine gefühlte Wahrheit, sondern etwas, was sich ganz einfach durch Studien bzw. Erhebungen beweisen lässt. Zahlreiche Wissenschaftler:innen und Autor:innen haben die Probleme bereits thematisiert – etwa Caroline Criado-Perez in ihrem Werk "Unsichtbare Frauen". Doch Veränderungen sind kaum spürbar. Denn wir leben in einer Welt von Männern für Männer. Als wären wir der archaischen Definition des Menschen niemals entwachsen, halten wir uns auch heutzutage noch am Mann als Prototyp Mensch fest. Und das zum Leidwesen der Frauen. 

Das fehlende Interesse an Frauengesundheit

Allein das kürzlich vorgestellte Gesundheitsbarometer 2025, verantwortet durch die Allianz, zeigt, dass die Mehrheit der Frauen hierzulande unzufriedenstellende Erfahrungen mit Ärzt:innen gemacht hat. So werden ihre Beschwerden nicht ernst genommen (47 %) oder es mangelt den Mediziner:innen ganz einfach an Einfühlungsvermögen (52 % vs. 40 % Männer). Demnach haben sich schon sieben von zehn Frauen über eine:n Ärzt:in ärgern müssen. Bei den Männern etwas mehr als jeder Zweite (55 %). Gestützt wird diese Erkenntnis unter anderem durch einen Artikel im Fachmagazin "PNAS", laut dem Schmerzen bei Frauen häufiger unterschätzt werden. Infolgedessen erhalten sie keine adäquaten Therapien. Das beste Beispiel ist wohl Endometriose. Es vergehen durchschnittlich 7,5 Jahre vom Auftreten der Symptome bis zur Diagnoseerstellung. Das sind 7,5 Jahre unerträgliche Schmerzen, die betroffene Frauen jeden Monat erneut erleiden. Aber scheinbar ist die Erkrankung, bei der sich Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, in der Gebärmutterwand oder außerhalb der Gebärmutter finden lässt, nicht wichtig genug, um intensiv erforscht zu werden. Da spielt es wohl auch keine Rolle, dass Mediziner:innen herausgefunden haben, dass betroffene Frauen ein bis zu 20 Prozent höheres Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle haben. 

Wer jetzt denkt: Aber Männer sterben doch früher als Frauen, irrt sich nicht. Es stimmt. Doch das liegt keineswegs an einer schlechten medizinischen Versorgung, sondern alleinig bei den Männern, die den Besuch bei einem:r Ärzt:in auf die lange Bank schieben und nur selten direkt medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Darüber berichtet unter anderem auch die österreichische Gesundheitskasse. Dadurch leben Frauen zwar länger, jedoch in schlechter Gesundheit. Das heißt, durchschnittlich verbringt das weibliche Geschlecht knapp 20 Jahre in mittelmäßiger bis schlechter Gesundheit – bei Männern sind es immerhin fünf Jahre weniger. 

Weitere Schwächen des Systems

Ein weiteres Ergebnis des Gesundheitsbarometers 2025 ist, dass lange Wartezeiten auf Termine und wenig Zeit bei einem Arzttermin die Patient:innen belasten. Frauen erleben die medizinische Versorgung kritischer als Männer und äußern dementsprechend mehr Unzufriedenheit. Wenig verwunderlich also, dass die Hälfte der Frauen angegeben hat, dass sie sich vor dem Gender Health Gap fürchten. "Das Allianz Gesundheitsbarometer macht deutlich: Frauen in Österreich erleben tagtäglich, dass ihre Beschwerden nicht ausreichend ernst genommen werden oder geschlechtsspezifische Unterschiede in der medizinischen Versorgung zu wenig berücksichtigt werden", so Jovana Nović, COO der Allianz Österreich. "Wenn Frauen nicht ernst genommen und dadurch Risiken übersehen werden, ist das nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem. Mit unserer Studie möchten wir hier Aufmerksamkeit und Bewusstsein schaffen."

Außerdem hat fest jede sechste Frau bereits den Eindruck gewonnen, dass ihr Geschlecht negativen Einfluss auf die medizinische Behandlung hatte. Bei Männern erreicht dieser Wert gerade einmal zehn Prozent. Besonders die jüngere Generation klagt über schlechte Erfahrungen: So können 27 Prozent der 14- bis 19-Jährigen und 24 Prozent der 20- bis 29-Jährigen davon berichten (60- bis 69-Jährige: 5 %; 70- bis 75-Jährige: 8 %). "Die Studienergebnisse zeigen deutlich: Viele Patientinnen erleben die Ungleichbehandlung durch den Gender Health Gap ganz konkret – etwa in Form von Verharmlosung, fehlender Empathie oder verspäteter Diagnose", erklärt Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der MedUni Wien.

Problematisch ist dabei auch, dass sich zahlreiche Österreicher:innen überhaupt nicht im Bilde sind, was den Gender Health Gap betrifft. Es ist für sie schlicht Neuland, weil sie es nie hinterfragt haben. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung hat von diesem Begriff noch nie gehört. Entsprechend groß ist das Erstaunen über konkrete geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin. Am meisten überraschen die verzögerte Schmerzmittelvergabe bei Frauen (64 %) und die männlich dominierte medizinische Versorgung (58 %). Auch die Differenzen bei der Diagnose von Depressionen und Herzinfarkten sorgen bei jeweils rund der Hälfte der Befragten für Verwunderung. Diese Erkenntnis des Gesundheitsbarometers unterstreicht abermals die Notwendigkeit eines Kurswechsels. 

Spürbare Verunsicherung

Infolgedessen ist die Verunsicherung bei den Menschen groß. So zeigt sich fast die Hälfte der Bevölkerung (48 %) stark beunruhigt über die unterschiedliche medizinische Versorgung. Besonders ausgeprägt ist die Verunsicherung natürlich bei Frauen (57 % vs. 39 % bei Männern) sowie bei jungen Menschen (58 % der 14-19-Jährigen, 54 % der 20-29-Jährigen und 50 % der 30-39-Jährigen). "Medizinische Studien waren lange Zeit, vor allem auf männliche Probanden ausgerichtet und sie wurden als Maßstab für die Behandlung aller herangezogen. Vielen ist nicht bewusst, dass diese Einseitigkeit bis heute nachwirkt. Dabei unterscheiden sich Männer und Frauen in Symptomen, Krankheitsverläufen und Therapieansprechen – und das wird in der medizinischen Praxis noch immer zu wenig berücksichtigt", erklärt Kautzky-Willer. "Die Folge sind Fehldiagnosen, unzureichende Therapien und ein struktureller Gender Health Gap. Gendermedizin ist deshalb kein Spezialthema, sondern Voraussetzung für eine gerechtere und bessere Versorgung aller Menschen."

Die guten Nachrichten

Positiv geht aus dem Gesundheitsbarometer jedoch hervor, dass sich die Österreicher:innen prinzipiell gesund fühlen. Sechs von zehn Personen schätzen ihren eigenen Gesundheitszustand als ausgezeichnet bis gut ein. Zudem ist das Vertrauen in ihre behandelnden Ärzt:innen nicht so erschüttert, wie man angesichts der Lage meinen sollte. 77 Prozent haben noch immer großes Vertrauen zu ihnen. Bei allgemein Ärzt:innen sinkt dieses Vertrauen auf 66 Prozent und in der medizinischen Forschung erreicht es noch 65 Prozent.

Auch die Qualität der heimischen Gesundheitsvorsorge wird weitgehend positiv bewertet (68 %). Jedoch teilen Frauen diese Einschätzung weitaus seltener als Männer. Während 73 Prozent der Studienteilnehmer Bestnoten vergaben, taten dies nur 64 Prozent der Studienteilnehmerinnen. Unterschiede sind zudem bei den Altersgruppen festzustellen. Die 14- bis 19-Jährigen sind am meisten von der Qualität der medizinischen Versorgung überzeugt (78 %) und die 60- bis 69-Jährigen am wenigsten (62 %). Am besten beurteilen die Menschen die fachliche Kompetenz der Ärzt:innen (77 %), gefolgt von der Verständlichkeit ärztlicher Erklärungen (59 %). Etwas abgeschlagen liegt die soziale Kompetenz (54 %). Auch hier wird deutlich, dass gerade Frauen das Einfühlungsvermögen von Ärzt:innen als weniger gut empfinden als Männer (47 % vs. 61 %). "Frauen sehen die Gesundheitsversorgung kritischer – und das überrascht kaum. Ihre Benachteiligung hat systemische Ursachen. Bis heute sind Frauen in klinischen Studien unterrepräsentiert. Die daraus resultierenden Datenlücken führen zu späteren Diagnosen und weniger wirksamen Behandlungen – mit spürbaren Folgen für Gesundheit und Vertrauen", so Kautzky-Willer.

Wunsch nach Veränderung

Rund zwei Drittel der Österreicher:innen (71 %) halten es für wichtig, dass die Gesundheitsversorgung stärker auf das Geschlecht abgestimmt ist – Frauen mit 74 Prozent, Männer mit 68 Prozent. Als wichtigste Maßnahmen nennen die Befragten die gleichberechtigte Berücksichtigung von Frauen und Männern in medizinischen Studien (59 %), die Sensibilisierung von Ärzt:innen (50 %) sowie mehr geschlechtsspezifische Forschung in der Medizin (50 %).

"Die Ergebnisse des Allianz Gesundheitsbarometers zeigen deutlich, wo Handlungsbedarf besteht. Als großes Versicherungsunternehmen möchten wir uns dafür einsetzen, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der medizinischen Versorgung mehr Beachtung finden – und entwickeln unsere Angebote laufend weiter, um der Vielfalt individueller Lebensrealitäten gerecht zu werden", so Nović.

Weitere Informationen zur Studie können Sie der Infobox entnehmen. 

www.allianz.at

Über die Studie

Das Allianz Gesundheitsbarometer 2025 wurde von Marketagent mittels Computer Assisted Web Interviews (CAWI) im Zeitraum vom 10. bis 17. März 2025 durchgeführt und ist mit einer Stichprobengröße von 1.000 Personen repräsentativ für die österreichische Bevölkerung im Alter von 14 bis 75 Jahren, quotiert nach Alter, Geschlecht, Region und Ausbildung. Die Umfrage umfasste insgesamt 31 Fragen, die verschiedene Aspekte der medizinischen Versorgung, persönliche Erfahrungen und Einstellungen zur Gendermedizin abdeckten. Alle Ergebnisse wurden gerundet.

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Über die Studie

Das Allianz Gesundheitsbarometer 2025 wurde von Marketagent mittels Computer Assisted Web Interviews (CAWI) im Zeitraum vom 10. bis 17. März 2025 durchgeführt und ist mit einer Stichprobengröße von 1.000 Personen repräsentativ für die österreichische Bevölkerung im Alter von 14 bis 75 Jahren, quotiert nach Alter, Geschlecht, Region und Ausbildung. Die Umfrage umfasste insgesamt 31 Fragen, die verschiedene Aspekte der medizinischen Versorgung, persönliche Erfahrungen und Einstellungen zur Gendermedizin abdeckten. Alle Ergebnisse wurden gerundet.

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