LEADERSNET-AEHRE-KOOPERATION
Wasser & Wirtschaft: Haben wir ein Leck?

Das neue aehre Nachhaltigkeits-Businessmagazin ist da. Im Rahmen der Kooperation zwischen LEADERSNET und aehre dürfen sich die Leser:innen dieses Mal auf ein spannendes Interview mit Dr. Johannes Cullmann zum Thema die Zukunft der Wasserwirtschaft freuen.

LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das Nachhaltigkeits-Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in allen ihren Facetten von Environment über Social bis Governance. 

Nachdem es in der vergangenen Woche um die Renaturierung als Maßnahme für den Klimaschutz gegangen ist, geht es bei diesem Beitrag um die Zukunft der Wasserwirtschaft. Antworten – und eine Frage dazu – hat der Hydrologe und Meteorologe Dr. Johannes Cullmann.

 

Interview: Julia Kropik 

Über das Thema "Wasser" wird meist im Zusammenhang mit Katastrophen berichtet: Dürre, Über­schwemmung, Hochwasser. Dabei sollten wir vielmehr darüber reden, in welchem System wir leben möchten, meint der Hydrologe und Meteorologe Dr. Johannes Cullmann. Im Interview sprechen wir mit ihm über die Zukunft der Wasserwirtschaft, welche Rolle die Atomenergiebehörde (IAEA) in der Forschung spielt und warum man das Donaueinzugsgebiet eigentlich wie ein eigenes Land behandeln sollte.

aehre: Herr Cullmann, vielen von uns steckt das Hochwasser noch in den Knochen. Steht uns das Wasser bis zum Hals oder haben wir ein Leck?

Johannes Cullmann: Hochwasser bekommen medial eine höhere Aufmerksamkeit, die Schäden sind besonders sichtbar und dramatisch. Aber wir verlieren auch konstant Wasser in den Landsystemen, das belegen zum Beispiel die Daten der Tandem-Satellitenmission GRACE. Deutschland verliert pro Jahr den gesamten Wasserbedarf Berlins aus der Umwelt – also aus dem Grundwasser, der Vegetation oder Süßwasservorkommen auf der Landfläche. Das sind derzeit zwar nur rund 0,3 Prozent von allem, was wir an Wasser haben, aber es wird konstant weniger.

»Deutschland verliert pro Jahr den gesamten Wasserbedarf Berlins aus der Umwelt.« Johannes Cullmann, Hydrologe und Meteorologe

aehre: Wohin verschwindet dieses Wasser?

Cullmann: Natürlich verschwindet dieses Wasser nicht ins Weltall, die Gesamtwas­sermenge auf dem Planeten bleibt immer gleich. Aber es fließt in die Meere, wird zu Salzwasser und ist damit für uns als Trinkwasser nicht mehr nutzbar.

aehre: Außer, wir schicken es durch Ent­salzungsanlagen. Wie ent­wickeln sich die Technologien, die uns dabei helfen, besser mit der zunehmen­den Wasserknappheit umzugehen?

Cullmann: Diese Technologien machen große Fortschritte, müssen aber skaliert werden. Momentan funktionieren sie noch nicht im großen Stil zu sinnvollen Preisen. Viele Entsalzungsanlagen werden derzeit noch mit fossilen Energien betrieben, was aus Nachhaltigkeitssicht keinen Sinn macht. Das Problem verlagert sich nur. Entsalzungsanlagen können außerdem nur in Küstengebieten betrieben werden. Das Grundproblem der Wasserknappheit ist damit also nicht gelöst. Generell sind die Themen "Wasserqualität" und "Wasserknappheit" immer in der Gesamtheit unseres Umgangs mit Ressourcen zu sehen.

aehre: Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wann werden die Auswirkungen von Wasserknappheit hier in Mitteleuropa Teil unseres Alltags?

Cullmann: In etwa 20 Jahren.

aehre: Wie lässt sich so etwas prognostizieren?

Cullmann: Zum Beispiel mithilfe von Nukleartechnik. Wir werden die Gletscher in Europa verlieren, das steht fest. Die Frage ist, wie schnell das geht und welche Teile der Gletscher wann wegschmelzen. Dem gehen wir in einem Wissenschaftsprogramm der IAEA auf den Grund. Dabei messen wir den Isotopengehalt in Eisbohrungen und Niederschlagswasser. Daraus können wir Rückschlüsse ziehen, woher das Schmelzwasser in den Flüssen stammt, ob aus Schnee oder Eis. Anhand dieser Daten lassen sich dann wiederum Vorhersagemodelle entwickeln. Und so viel ist klar: Jetzt gerade haben wir in Europa die maximale Wasserverfügbarkeit. Die weitere Frage ist also, wie wir Wasser in Zukunft speichern können, wenn wir diesen kostenlosen Wasserspeicher, die Gletscher, verloren haben.

aehre: Von welchen Wasserspeichern sprechen wir da?

Cullmann: Städteplanung und Landwirtschaft spielen eine wichtige Rolle. Aber auch Diversität. Denn das, was divers ist, ist resilient. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Wiederaufforstung mit Mischwäldern, die Abkehr von der Monokultur in der Landwirtschaft, mehr Biodiversität und insgesamt die Förderung von Feuchtgebieten, Mooren, Nassflächen anstelle versiegelter Böden – es ist eine Mischung aus vielen Maßnahmen.

aehre: Nach den verheerenden Hochwassern in Europa im Herbst 2024 stellen sich viele Menschen die Frage, wie oft wir in Zukunft mit solchen Ereignissen rechnen müssen?

Cullmann: Durch den Klimawandel ändern sich unter anderem der Energiegehalt im Ozean und die Zirkulationsmuster im Wetter. Das bedeutet, dass wir uns in den kommenden Jahren vermehrt mit extremeren Hochwassersituationen auseinandersetzen müssen. Dem können wir zum Beispiel mit verbesserten Warnketten, Renaturierungen und einem integrierten Ansatz in den Einzugsgebieten von Flüssen begegnen.

aehre: Flüsse, Meere und Niederschläge kennen keine Grenzen. Das Wasserthema lässt sich wohl kaum auf lokaler Ebene lösen?

Cullmann: Wasser ist ein politisches Thema. Würde man zum Beispiel Flüsse übergreifend bewirtschaften, etwa das Einzugsgebiet von Rhein oder Donau wie ein eigenes Land behandeln, könnten wir einen riesigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen schaffen. Zum Beispiel beim Hochwasserschutz, den Effizienzraten der Wassernutzung oder im Wassermanagement für die Landwirtschaft.

© Lukas Ilgner
Bei der Deutschen Bundesanstalt für Gewässerkunde war Johannes Cullmann unter anderem für die internationale Wasserkooperation zuständig. Er ist sich sicher: Würde man Flüsse und deren Einzugsgebiete grenzübergreifend managen, ließe sich ein großer wirtschaftlicher Nutzen schaffen. © Lukas Ilgner

aehre: Auf der Website Ihres früheren Arbeitgebers, der World Meteorological Organization, ist nachzulesen, dass zwischen 2001 und 2018 74 Prozent aller Umweltkatastrophen im Zusammenhang mit Wasser standen. Was wird in Zukunft mehr Schaden verursachen – Dürrekatastrophen oder Hochwasserereignisse?

Cullmann: Eindeutig Dürre, weil sie auch langfristige soziokulturelle Auswirkungen hat. Eine Studie der Weltbank belegt, dass Kinder, die in eine Trockenperiode hineingeboren werden, deutlich schlechtere Lebensbedingungen haben. Zum Beispiel erhalten sie eine geringere Schulbildung und erleben mehr häusliche Gewalt. Die Schäden eines Hochwassers
sind unmittelbar sicht- und spürbar, aber der Gesamtschaden durch Dürre ist für die Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt höher.

aehre: Was muss aus Ihrer Sicht in Politik und Gesellschaft passieren, um das Problem der Wasserknappheit in den Griff zu bekommen?

Cullmann: Im Moment ist unser gesamtes Wirtschaftsmodell und unsere Lebensweise so kalibriert, dass wir immer mehr Wasser verlieren. Das liegt nicht an Firma A oder Mensch B, das liegt an unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Deshalb müssen wir Systemfragen stellen: Wollen wir zu einer Wasserwirtschaft kommen, die primär Kreislaufwirtschaft befördert und extraktive Businessmodelle sanktioniert? Für mich steht fest, dass das grundlegende, extraktive Geschäftsmodell – nicht nur für Wasser, sondern für jeglichen Konsum – nicht in die Zukunft tragen kann. Ich würde mir wünschen, dass über die Wasserproblematik nicht immer nur im Zusammenhang mit einzelnen Katastrophen wie Dürren oder Überschwemmungen berichtet wird. Sinnvoller wäre es, wenn wir die Aufmerksamkeit dazu nutzen könnten, einen
Diskurs darüber zuführen, in welchem System wir eigentlich leben wollen.  – 

Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im neuen Nachhaltigkeits-Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der neuen Ausgabe.

aehre – das Nachhaltigkeits-Businessmagazin

Themen: Environmental-, Social- und Governance

Geschäftsführerinnen: Maria-Grazia Nordberg und Annabel Köle-Loebell

Gründung: März 2023

Praterstrasse 66/5

1020 Wien

Tel.: +43 1 890 44 06

Kontakt: hello@aehre.media

Homepage: www.aehre.media

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