KI-Kolumne von Jürgen Bogner
Die Doppelwelle: Die physische KI trifft Österreich härter als gedacht

| Larissa Bilovits 
| 02.12.2025

Im Rahmen unserer KI-Serie, bei der KI-Profi Jürgen Bogner (CEO & Gründer von biteme.digital) regelmäßig einen Beitrag rund um das Thema Künstliche Intelligenz verfasst, erwartet LEADERSNET-Leser:innen dieses Mal der zweite Teil einer dreiteiligen Serie rund um ein groß angelegtes Forschungsgespräch des AMS, das zentrale Fragen zum zukünftigen Arbeitsmarkt, zur Rolle von KI und zu den kommenden technologischen Umbrüchen beleuchtet. 

Dies ist die zweite Kolumne der Serie. Falls du Teil 1 verpasst hast, kannst du ihn hier nachlesen. Teil 3 folgt kommende Woche.

Wir reden noch über Chatbots – während es im Werkstor längst brennt. Die meisten Entscheider:innen in Österreich haben verstanden, dass digitale Agenten das Backoffice umkrempeln. Aber kaum jemand sieht, was gleichzeitig auf die physische Wirtschaft zukommt.

Es ist die Doppelwelle:

  1. digital (Agenten)
  2. physisch (Roboter)

Und die zweite Welle wird unsere Industrie tiefer treffen als jede Reform der letzten 30 Jahre.

Die zweite Welle: Humanoid und gnadenlos ökonomisch

Ich sage es direkt: Humanoide Roboter sind keine Zukunftsvision. Sie laufen bereits – nicht in Labors, sondern in Produktionshallen.

  • Zehn Stunden am Stück.
  • Monatelang.
  • Ohne nennenswerte Ausfälle.

Der Satz, den ich im Forschungsgespräch dazu gesagt habe, trifft es genau: "Es ist nicht die Hardware. Es ist die Software, die alles kippt." Denn sobald Large Language Models nicht nur Sprache verstehen, sondern Kontext, Zweck und Optimierung, entsteht etwas Neues: Der Roboter arbeitet nicht mehr "mechanisch". Er arbeitet "intelligent".

Die ökonomische Logik, die keiner aufhalten kann

Spätestens hier kommt der Teil, den viele nicht hören wollen: "Ökonomische Logik ist gnadenloser als Technologie." Wenn KI + Robotik schneller, günstiger und verlässlicher sind, werden sie eingesetzt – selbst wenn Politik, Kultur oder Bauchgefühl dagegen sprechen.

Wir sehen es bereits:

  • Routine wird eliminiert.
  • Gleichzeitig fehlen KI-Ingenieure und Robotik-Wartungstechniker.
  • Viele Unternehmen glauben, sie würden einfach Prozesse "modernisieren". Was in Wahrheit passiert: Sie ersetzen Tätigkeiten – und erst wenn der Staub sich legt, merken sie, dass ganze Rollen weggebrochen sind.

Es sind nicht die Menschen, die verschwinden. Es sind die Aufgaben, die sich neu sortieren – manchmal leise, manchmal brutal abrupt.

Der Mismatch-Beweis aus Österreich

Ich kenne Unternehmen die:

  • ihre Sales-Routine automatisiert und damit die eigene Sales-Mannschaft überflüssig gemacht haben und
  • gleichzeitig händeringend Expert:innen suchen, um die neue KI-Infrastruktur am Laufen zu halten.

Das ist kein Paradoxon. Das ist die Realität einer Wirtschaft im Übergang.

Was du als Führungskraft jetzt tun musst – klar formuliert, ohne Angst, ohne Euphorie

Du brauchst keinen 30-Punkte-Plan. Du brauchst drei Entscheidungen:

  1. Wandeln statt verbieten: Angstpolitik wird uns nicht retten. Automatisierung ist kein Gegner – sie ist der einzige realistische Turbo gegen den Fachkräftemangel. Aber nicht als radikale Abrissbirne, sondern als intelligenter Umbau. Ikea hat es vorgemacht – und kaum jemand hat es begriffen. Während andere Industrien Mitarbeiter:innen abgebaut haben, hat Ikea Menschen augmentiert. Routine raus, Verantwortung rauf. Ikea hat den Customer-Support umgeschult, damit sie nun als Remote-Innenarchitekt:innen, digitale Verkaufsberater:innen und Expert:innen für komplexe Kundenanfragen arbeiten. Sie nutzen KI-Tools, beraten Kund:innen virtuell oder vor Ort und unterstützen den Verkauf sowie die Gestaltung individueller Wohnlösungen. Diese Logik brauchen wir jetzt – nicht als Sozialromantik, sondern als knallharte Wettbewerbsstrategie. Es geht nicht um "Menschen verschieben". Es geht darum, ihnen eine höhere Flughöhe zu geben. Die Tätigkeiten, die KI übernimmt, sind nicht das Ende einer Rolle – sie sind der Anfang einer neuen. Beratung, Kontext, Beziehung, Problemlösung: Das ist die Wertschöpfungsebene, die keine Maschine greifen kann.
  2. Pilotbetriebe: Das ist der Lackmustest. Nicht, um zu beweisen, dass Roboter funktionieren – das tun sie ohnehin. Sondern um zu zeigen, dass Menschen und Maschinen gemeinsam stärker sind als jede isolierte Lösung. Ein Prozess, ein Roboter, ein Team, das danach nie wieder so denkt wie davor. Das ist der Moment, in dem der Plan den Boden berührt. Kein endloser Business Case, keine Angstspirale. Ein Roboter. Ein Prozess. Und ein Team, das live erlebt, wie es ist, wenn Zukunft nicht als Schlagwort, sondern als Werkzeug im Raum steht.

Die Moral

Die Doppelwelle klopft nicht an. Sie kommt durch die Tür. In der dritten Kolumne zeige ich dir, warum wir die Debatte verlassen müssen, ob Jobs verschwinden – und beginnen müssen, über Fähigkeiten zu sprechen.

www.ahoi.biteme.digital


Kommentare auf LEADERSNET geben stets ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors bzw. der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion. Im Sinne der Pluralität versuchen wir, unterschiedlichen Standpunkten Raum zu geben – nur so kann eine konstruktive Diskussion entstehen. Kommentare können einseitig, polemisch und bissig sein, sie erheben jedoch nicht den Anspruch auf Objektivität.

Kommentar veröffentlichen

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV