Wolfgang Urbantschitsch im Interview
"Die beste Strategie für Photovoltaik-Besitzer bleibt der Eigenverbrauch"

Im LEADERSNET-Interview spricht Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand der E-Control, über Chancen und Konflikte des neuen Elektrizitätswirtschaftsgesetzes, die Rolle von Transparenz und Sozialtarifen, Herausforderungen durch PV und Windkraft, Österreichs langen Weg hin zur CO₂-Neutralität sowie juristische Grauzonen der Energiewende. Zudem erklärt er, wieso Netz-Nutzer:innen einen fairen Beitrag leisten sollen.

Österreichs Strommarkt steht vor einem Paradigmenwechsel. Mit dem neuen Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) soll die Energielandschaft grundlegend neu geordnet werden – eine Herausforderung, die weit über die medial diskutierten Sozialtarife hinausreicht. 180 Paragrafen umfasst der Gesetzesentwurf, der das veraltete Regelwerk aus 2010 ersetzen und Österreich fit für eine dezentrale Stromzukunft mit einer halben Million privater Photovoltaikanlagen machen soll.

Doch das ambitionierte Vorhaben birgt Sprengstoff. Bis zum Ende der Begutachtungsfrist meldeten sich zahlreiche kritische Stimmen zu Wort (LEADERSNET berichtete) – insgesamt sind über 550 Stellungnahmen eingegangen. Windkraftbetreiber laufen Sturm gegen geplante Leistungskappungen, die Arbeiterkammer warnt vor intransparenten Preisänderungsklauseln, und die Grünen befürchten einen Rückschlag beim Ausbau erneuerbarer Energien. Gleichzeitig steht die Frage im Raum, ob Smart-Meter-Daten im Viertelstundentakt den Datenschutz aushebeln oder endlich den effizienten Netzausbau ermöglichen. Im Gesetzesentwurf war geplant, dass auch alle privaten PV-Anlagen-Besitzer:innen künftig Netznutzungsgebühren zahlen müssen. Mittlerweile – kurz nachdem das Interview mit Wolfgang Urbantschitsch geführt wurde – hat Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer zurückgerudert und verkündet, dass es für bestimmte kleine Anlagen Ausnahmen geben soll – vor allem, wenn sie für den Eigenverbrauch gedacht sind. Wie diese Regelung aussehen soll, ist aber weiterhin unklar.

Wolfgang Urbantschitsch im Interview

Im folgenden Gespräch erläutert Urbantschitsch, wie die E-Control die Weichen für den Strommarkt von morgen stellen will, wo er die größten Herausforderungen sieht und warum "Verursachungsgerechtigkeit" zum Schlüsselbegriff der neuen Energieära werden könnte.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Urbantschitsch, der Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Stromwirtschaft umfasst stolze 180 Paragrafen. Hinter dieser Zahl verbergen sich nicht nur technische Details, sondern auch gesellschaftspolitische Weichenstellungen. Wo sehen Sie das größte Konfliktpotenzial – und wo vielleicht eine bislang unterschätzte Chance?

Wolfgang Urbantschitsch: Es ist zunächst einmal sehr positiv, dass dieser Entwurf vorliegt. Es handelt sich übrigens schon um die zweite Begutachtung: Vor rund eineinhalb Jahren gab es bereits eine erste Fassung, die danach überarbeitet wurde. Nun liegt die neue Version auf dem Tisch. Und das ist auch notwendig, denn der Energiesektor befindet sich in einer tiefgreifenden Transformation – die gesetzlichen Grundlagen stammen im Wesentlichen noch aus einer Zeit von vor 15 Jahren. Seither hat sich enorm viel verändert: Hunderttausende Photovoltaik- und Windkraftanlagen wurden ans Netz gebracht, Energiegemeinschaften sind entstanden, Batteriespeicher eröffnen neue Möglichkeiten.

Das alles erfordert ein aktualisiertes Regelwerk. Die Herausforderung liegt vor allem bei den Kosten: Der Netzausbau ist teuer, und die Frage lautet, wer diese Kosten trägt. Bislang zahlen überwiegend die Verbraucher:innen, während die Erzeuger:innen nur unter zehn Prozent zu den jährlich anfallenden Kosten des Netzes beitragen. Der Entwurf sieht nun vor, dass auch die Stromproduzent:innen – große wie kleine – stärker herangezogen werden sollen. Das ist eines der zentralen Konfliktthemen, wie die aktuelle Debatte zeigt.

LEADERSNET: Sie sprechen das Verursacherprinzip an – "Wer das Netz nutzt, soll dazu beitragen." Dieses Prinzip klingt fair, aber könnte es nicht private PV-Investor:innen überfordern? Schließlich haben diese bereits in die Energiewende investiert und fühlen sich jetzt benachteiligt.

Urbantschitsch: Das Verursacherprinzip ist juristisch fundiert, auch EU-rechtlich vorgegeben und überdies sachgerecht, also fair. Aber Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen: Es gibt durchaus Spielräume in der Anwendung. Nicht jeder, der ans Netz angeschlossen ist, verursacht zwangsläufig Kosten – manche entlasten das Netz sogar, etwa durch intelligente Speicherlösungen.

Bei kleinen Photovoltaikanlagen könnte man differenzieren. Eine typische Einfamilienhaus-Anlage könnte beispielsweise nur eine Pauschale zahlen, anstelle von statt kilowattstundenbasierten Netztarifen. Die beste Strategie für PV-Besitzer bleibt übrigens der Eigenverbrauch – die Kilowattstunde, die man nicht aus dem Netz beziehen muss, ist für den Betreiber einer PV-Anlage die wertvollste, sie bringt die maximale Ersparnis.

Ich bin überzeugt, dass am Ende eine ausgewogene Lösung gefunden wird, die private Investoren nicht überfordert.

LEADERSNET: Laut ElWG soll die E-Control jährlich berichten, ob Stromanbieter Preisänderungen gerecht weitergegeben haben. Gleichzeitig fehlt Ihrer Behörde ein direktes Eingriffsrecht. Ist Transparenz hier wirklich ein wirksames Regulativ, oder braucht es nicht auch "Checks and Balances"?

Urbantschitsch: Unter normalen Marktbedingungen ja: Transparenz stärkt den Wettbewerb, weil Konsument:innen vergleichen und den Anbieter wechseln können. Darum halte ich etwa monatliche Stromrechnungen für sehr sinnvoll – sie würden Kostenkontrolle schaffen und böse Überraschungen bei Jahresabrechnungen in Form von Nachzahlungen vermeiden. Leider ist das im Entwurf nicht vorgesehen.

Aber: In Krisenzeiten, wie während der Energiepreisspitzen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, reicht Transparenz allein nicht. Dann können staatliche Eingriffe die notwendige Folge sein – sei es über Zuschüsse oder spezielle Sozialtarife für vulnerable Gruppen. Solche Mechanismen sieht der Entwurf nun vor: Rund 230.000 Haushalte sollen künftig einen gestützten Tarif erhalten.

LEADERSNET: Die CO₂-Neutralität bis 2040 war einst ein zentrales Ziel österreichischer Energiepolitik. Nun fehlt dieses Ziel im ElWG-Entwurf. Wie bewerten Sie diesen Rückschritt – und was bedeutet er für die Rolle der E-Control bei der Erreichung der Klimaziele?

Urbantschitsch: Nicht unbedingt. Dieses Gesetz ist kein Klimaschutzgesetz im engeren Sinn, sondern das "Betriebssystem" für den Strombereich. Es regelt, wie der Markt funktioniert – und trägt damit natürlich, aber eben indirekt zu den Klimazielen bei. Das 2040-Ziel bleibt im Regierungsprogramm verankert, es wird nur nicht hier normiert.

LEADERSNET: Sprechen wir über die Digitalisierung: Bis 2027 sind Smart Meter mit Viertelstundenwerten verpflichtend. 95 Prozent sind bereits ausgerollt, aber nur 11,6 Prozent der Haushalte nutzen aktiv die dynamischen Tarife. Wie begegnet die E-Control dem Spannungsfeld zwischen Datennutzung und Datenschutz?

Urbantschitsch: Richtig, über 95 Prozent der Haushalte sind mittlerweile mit Smart Metern ausgestattet. Entscheidend ist nun die Nutzung. Wer eine PV-Anlage oder ein E-Auto hat, kann enorm von dynamischen Tarifen profitieren. Gleichzeitig sind die Datenschutzbestimmungen sehr streng: Kund:innen behalten jederzeit die Hoheit über ihre Daten. Ich sehe hier eine gute Balance – und erwarte, dass die aktive Nutzung in den nächsten Jahren deutlich steigt.

LEADERSNET: Die geplante Abregelung von PV- und Windstrom stößt auf massive Kritik – rund 200 GWh Windstrom wären 2024 laut IG Windkraft verloren gegangen. Ist die Kappung aus Ihrer Sicht ein notwendiges Netzschutzinstrument oder ein potenzieller Dämpfer für Investitionen in erneuerbare Großanlagen?

Urbantschitsch: Das ist ein klassisches Infrastrukturproblem, das einer intelligenten Lösung bedarf. Es gibt Spitzenstunden, in denen alle Anlagen gleichzeitig produzieren und mehr Strom erzeugen, als das Netz aufnehmen kann. Aber das sind nur wenige Stunden im Jahr.

Es wäre wirtschaftlich unsinnig, die Netze für diese Spitzenlasten auszubauen – das wäre, als würde man die Autobahn auf sechs Spuren erweitern, nur damit man morgens um 7:30 Uhr besser durchkommt. Die restliche Zeit bräuchte man diese Kapazität nicht.

Das neue System der kontrollierten Spitzenkappung ist transparent und vorhersehbar. Anlagenbetreiber wissen im Voraus, wann sie möglicherweise abgeregelt werden. So kann übers Jahr gesehen unterm Strich mehr Strom ins Netz eingespeist werden.

LEADERSNET: Kritiker wie Leonore Gewessler warnen, dass neue Einspeisetarife und gestrichene Förderungen jene treffen, die früh in die Energiewende investiert haben. Stimmen Sie zu? Und wie kann man solche "Pionierkosten" künftig gerechter verteilen?

Urbantschitsch: Man muss zwischen kleinen privaten Anlagen und großen kommerziellen Erzeugern unterscheiden. Bei den Hunderttausenden Einfamilienhaus-Anlagen kann ich die Enttäuschung nachvollziehen – diese Pioniere haben früh investiert (freilich mit einer Vielzahl an Förderungen) und fühlen sich nun "bestraft", was natürlich nie so intendiert war.

Hier sind differenzierte Lösungen, wie bereits vorhin skizziert, gefragt. Gleichzeitig muss klar sein: Wer das Netz nutzt, sollte dazu seinen fairen Beitrag leisten. Die beste Strategie für PV-Besitzer:innen bleibt der Eigenverbrauch – die selbst erzeugte und verbrauchte Kilowattstunde ist die wertvollste.

LEADERSNET: Das ElWG verbindet soziale Elemente mit hochkomplexer Marktregulierung. Ist die Erwartung realistisch, dass all diese Komponenten gleichzeitig und widerspruchsfrei greifen können – oder droht eine "Überladung" des Systems, wie wir sie auch bei früheren Energiereformen erlebt haben?

Urbantschitsch: Das System wird zwangsläufig komplexer – aber nicht nur wegen sozialer Aspekte, sondern wegen der Transformation selbst. Zahlreiche Photovoltaikanlagen, neue Marktteilnehmer wie Energiegemeinschaften und Speicherbetreiber, volatile Erzeugung – all das macht das System aufwendiger.

Wir haben in unserer Stellungnahme als E-Control auch Vereinfachungsmöglichkeiten aufgezeigt. Unterm Strich schafft das Gesetz eine solide Grundlage für die Energiewende. Der Sozialtarif ist ein wichtiges Element – funktional und nicht übermäßig kompliziert.

Die Frage, wer das finanziert, ist politisch zu entscheiden. Die Energieunternehmen sollen laut Entwurf mitfinanzieren – sie sagen erwartbar nein. Aber solange es überschaubar bleibt und alle gleich behandelt werden, ist das im Rahmen gemeinwirtschaftlicher Verantwortung vertretbar.

LEADERSNET: Sie sind nicht nur Regulator, sondern auch Wissenschaftler: seit 2025 Universitätsprofessor für Energierecht an der WU Wien. Wo sehen Sie die größte juristische Grauzone, die das ElWG hinterlässt – und die Gerichte vielleicht erst in den nächsten Jahren klären müssen?

Urbantschitsch: Bei einem so umfassenden Gesetz, bei dem viel Geld auf dem Spiel steht, sind Rechtsstreitigkeiten unvermeidlich. Drei große Diskussionsbereiche zeichnen sich ab: Preisänderungsklauseln der Energieunternehmen, Netztarif-Regelungen und der Sozialtarif, einschließlich der Grundversorgung. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu vor zwei Jahren bereits eine relevante Entscheidung getroffen. Es bleibt spannend, wie sich etwa die Rechtsprechung zum "faire Energiepreis" entwickelt.

Für mich persönlich bedeutet das viele interessante Forschungsfragen für die Zeit nach meiner Tätigkeit bei der E-Control, die ich nach zehn Jahren als Vorstand – es gibt eine gesetzlich vorgesehene Amtszeitbeschränkung – verlassen werde. Gemeinsam mit meinem Team auf der WU werde ich mit diesen Themen – die juristischen Herausforderungen werden uns nicht ausgehen.

www.e-control.at

Zur Person

Wolfgang Urbantschitsch ist seit 2016 Mitglied des Vorstands der E-Control und wurde 2021 für weitere fünf Jahre bestätigt. Parallel dazu engagierte er sich auf europäischer Ebene als Vizepräsident des Council of European Energy Regulators (2018–2025), als Mitglied des Board of Regulators der Agentur ACER sowie als Vorsitzender der Task Force Konsumenten. Seit März 2025 ist er Universitätsprofessor für öffentliches Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Energierecht an der Wirtschaftsuniversität Wien. Zuvor war er Präsident des Advisory Committee der Energy Community (2013–2024), leitete die Rechtsabteilung der E-Control und prägte von Beginn an die rechtlichen Rahmenbedingungen der Behörde.

Frühere berufliche Stationen führten ihn zur Telekom-Control GmbH, zum Verfassungsgerichtshof sowie an die Universität Graz; internationale Erfahrung sammelte er beim Europäischen Parlament und beim Europäischen Gerichtshof. Urbantschitsch studierte Rechtswissenschaften in Graz und Regensburg, promovierte im Telekommunikationsrecht und absolvierte das Collège d’Europe in Brügge mit Schwerpunkt europäisches Wirtschaftsrecht. Neben zahlreichen Publikationen und Lehrtätigkeiten an verschiedenen Universitäten ist er als gefragter Vortragender im Energierecht bekannt und regelmäßig in den Medien präsent.

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Wolfgang Urbantschitsch ist seit 2016 Mitglied des Vorstands der E-Control und wurde 2021 für weitere fünf Jahre bestätigt. Parallel dazu engagierte er sich auf europäischer Ebene als Vizepräsident des Council of European Energy Regulators (2018–2025), als Mitglied des Board of Regulators der Agentur ACER sowie als Vorsitzender der Task Force Konsumenten. Seit März 2025 ist er Universitätsprofessor für öffentliches Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Energierecht an der Wirtschaftsuniversität Wien. Zuvor war er Präsident des Advisory Committee der Energy Community (2013–2024), leitete die Rechtsabteilung der E-Control und prägte von Beginn an die rechtlichen Rahmenbedingungen der Behörde.

Frühere berufliche Stationen führten ihn zur Telekom-Control GmbH, zum Verfassungsgerichtshof sowie an die Universität Graz; internationale Erfahrung sammelte er beim Europäischen Parlament und beim Europäischen Gerichtshof. Urbantschitsch studierte Rechtswissenschaften in Graz und Regensburg, promovierte im Telekommunikationsrecht und absolvierte das Collège d’Europe in Brügge mit Schwerpunkt europäisches Wirtschaftsrecht. Neben zahlreichen Publikationen und Lehrtätigkeiten an verschiedenen Universitäten ist er als gefragter Vortragender im Energierecht bekannt und regelmäßig in den Medien präsent.

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