Interview mit Maria Riegler & Michael Dessulemoustier-Bovekercke
"Wenn durch den Bericht die Fakten auf dem Tisch liegen, bewirkt das häufig auch etwas im Unternehmen"

Maria Riegler ist Managerin Sustainability bei Forvis Mazars. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Michael Dessulemoustier-BovekerckeWirtschaftsprüfer und Head of Sustainability Services, spricht sie im LEADERSNET-Interview über die neue Studie zu den Nachhaltigkeitsberichten, die sowohl in Deutschland als auch Österreich durchgeführt wurde. 

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Riegler, sehr geehrter Herr Dessulemoustier-Bovekercke, Sie haben kürzlich eine Studie über die Nachhaltigkeitsberichte von ATX Unternehmen durchgeführt und publiziert. Wie viele Unternehmen haben Sie dafür untersucht und was haben diese Unternehmen alle gemeinsam?

Maria Riegler: Im ATX, dem Leitindex der österreichischen Börse, sind insgesamt 20 Unternehmen gelistet. Für unsere Studie haben wir die Nachhaltigkeitsberichte jener 17 ATX-Unternehmen analysiert, die bis Ende April veröffentlicht wurden. Für den Vergleich einiger Kennzahlen haben wir außerdem die Vorjahresberichte herangezogen.

Michael Dessulemoustier-Bovekercke: Was alle Berichte gemeinsam haben, ist die freiwillige Berichterstattung nach den ESRS – den neuen europäischen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Inhaltlich berichten alle Unternehmen über die Themen Klimawandel, eigene Arbeitskräfte und Governance. Außerdem haben alle Unternehmen sich zu mindestens einem Klimaziel bekannt und eine Treibhausgasbilanz veröffentlicht. Überrascht hat uns, dass alle ATX-Unternehmen mittlerweile Nachhaltigkeitskriterien in ihr Vergütungssystem integriert haben und somit individuelle Leistungsanreize mit der ESG-Performance verknüpfen.

LEADERSNET: Die Studie befasst sich mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung über das Geschäftsjahr 2024 – und ist damit brandaktuell. Aber wie weit sind denn eigentlich die heimischen ATX-Unternehmen in der Umsetzung der CSRD-Anforderungen?

Dessulemoustier-Bovekercke: Uns hat überrascht, dass der Grad der ESRS-Konformität in der Nachhaltigkeitsberichterstattung der ATX-Unternehmen sehr hoch ist: 16 Unternehmen haben vollständig nach ESRS berichtet, ein Unternehmen in Anlehnung an die ESRS. Außerdem ließen 14 Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung extern prüfen. Der Mehrheit der Unternehmen ist es zudem bereits gelungen, die Nachhaltigkeitsberichterstattung mit den finanziellen Reportingprozessen soweit zu koordinieren, dass sie in den Lagebericht integriert werden konnte.

Riegler: Und das, obwohl die Richtlinie zur standardisierten Nachhaltigkeitsberichterstattung noch gar nicht in österreichisches Recht umgesetzt wurde und die Anwendung für österreichische Unternehmen derzeit noch komplett freiwillig ist.

LEADERSNET: Und inwieweit unterscheidet sich dabei die Theorie von der Praxis, also wie werden die Berichtsanforderungen in den Unternehmen umgesetzt?

Riegler: Wir sehen, dass Unternehmen sehr unterschiedlich ausführlich berichten. Im Schnitt hat ein ESRS-Bericht (inklusive Taxonomieberichterstattung) 127 Seiten, aber die Textlänge variiert je nach Unternehmen stark – auch unabhängig von den Ergebnissen der Wesentlichkeitsanalyse. Ein Blick über den österreichischen Tellerrand zeigt, dass die skandinavischen Berichte wesentlich kürzer gehalten sind als die deutschen oder österreichischen Berichte. Und in der Kürze liegt jedenfalls die Würze – Berichte, die aus hunderten Seiten Fließtext bestehen, sind viel schlechter lesbar als Berichte, in denen die wesentlichen Informationen prägnant zusammengefasst sind.

Dessulemoustier-Bovekercke: Man merkt derzeit noch an einigen Stellen, dass die Regulatorik den Unternehmen Interpretationsspielraum lässt und dass sich eine "best practice" erst entwickeln muss, beispielsweise zum Umgang mit Lücken und Nullmeldungen. Darum ist die Vergleichbarkeit der Berichte zum Teil noch eingeschränkt, aber wenn man sich die finanzielle Berichterstattung nach IFRS ansieht, muss man sagen, dass sich diese im Laufe der letzten Jahre auch erheblich weiterentwickelt hat.

LEADERSNET: Merken Sie eine spürbare Veränderung bei der Haltung der Unternehmen gegenüber den Nachhaltigkeitsberichten?

Riegler: Die Regulatorik bringt eine stärker standardisierte Form der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Gemeinsam mit der kommenden Prüfpflicht sorgt das dafür, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung sich weiterentwickelt: Von der häufig PR-getriebenen Schilderung einzelner Leuchtturmprojekte hin zu einer ernsthaften und faktenbasierten Auseinandersetzung mit den Nachhaltigkeitsauswirkungen, -risiken und -chancen, die mit dem Kerngeschäft verbunden sind.

Dessulemoustier-Bovekercke: Wenn durch einen solchen Bericht die Fakten auf dem Tisch liegen, bewirkt das häufig auch etwas im Unternehmen: Es wird dann viel deutlicher, wo man sich noch verbessern kann, wo man noch sinnvolle Maßnahmen und Ziele entwickeln kann.

LEADERSNET: Ihre deutschen Kolleg:innen haben ebenfalls eine Studie zu dem Thema publiziert, jedoch für die DAX 40. Sind die Ergebnisse der Studie mit jenen aus Österreich vergleichbar?

Dessulemoustier-Bovekercke: Genau, wir haben diese Studie in enger Abstimmung mit unseren deutschen Kolleg:innen erstellt und uns auch über unsere Erkenntnisse ausgetauscht. Insgesamt ähnelt sich das Bild sehr. Das liegt wahrscheinlich auch an den Rahmenbedingungen: Auch die DAX-40-Unternehmen haben erstmals die ESRS vollumfänglich angewandt und auch in Deutschland fehlt derzeit noch die gesetzliche Grundlage für Berichts- und Prüfpflicht. Insgesamt muss man jedenfalls sagen, dass sich die ATX-Unternehmen im internationalen Vergleich nicht verstecken müssen.

LEADERSNET: Worin liegen laut Ihrer Auswertung die größten Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung?

Riegler: Im Gesamtbild sind einige Gemeinsamkeiten zu finden: Bei den themenbezogenen Standards dominieren Klimawandel, eigene Arbeitskräfte und Governance, während zu den anderen Themen wie Umweltverschmutzung oder Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette weniger häufig berichtet wird. In der Transparenz zu Vergütungskennzahlen sehen wir in beiden Ländern eine deutliche Entwicklung im Vergleich zum Vorjahr (im Verhältnis zum Vorjahr legen deutlich mehr Unternehmen den Gender Pay Gap und das allgemeine Vergütungsgefälle offen). Außerdem haben alle Unternehmen – in beiden Ländern – sich zu mindestens einem Klimaziel bekannt und mehr als die Hälfte von ihnen ließ die Klimaziele extern validieren. Im Schnitt berichten ATX-Unternehmen über 42 wesentliche Themen, davon 71 Prozent Auswirkungen. Im DAX-40 sind es im Schnitt 44 wesentliche Themen, davon 70 Prozent Auswirkungen. Und beide Länder haben gemeinsam, dass die Unternehmen im Zweifelsfall lieber sehr ausführlich berichten.

Dessulemoustier-Bovekercke: Die Unterschiede liegen dann eher im Detail – beispielsweise ließen alle DAX-40-Unternehmen ihre Berichte extern prüfen, 25 Prozent der Unternehmen gingen sogar über die geforderte Prüftiefe hinaus und ließen zumindest einzelne Kennzahlen mit hinreichender Sicherheit prüfen. Weitere Unterschiede, auch bei den thematischen Schwerpunkten, lassen sich vermutlich mit der Branchenzusammensetzung der zwei Leitindizes erklären.

LEADERSNET: Nun, wo Sie so umfangreiche Studien durchgeführt haben, bleibt die Frage: Was fangen Sie mit den Ergebnissen an?

Riegler: Wir tauschen uns mit unseren Kolleg:innen in verschiedenen Ländern über unsere Erkenntnisse aus, bringen uns in öffentliche Konsultationsprozesse zur Vereinfachung der Berichtsanforderungen ein und unterstützen unsere Klient:innen dabei, zu verstehen, wie sie im Vergleich zum ATX-Durchschnitt dastehen und wie sie sich gezielt und nutzbringend verbessern können.

LEADERSNET: Und zu guter Letzt: Was wünschen Sie sich bezüglich der Nachhaltigkeitsberichte für die nächsten Jahre?

Dessulemoustier-Bovekercke: Ich wünsche mir, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung einen ähnlichen Reifungsprozess wie die finanzielle Berichterstattung durchmachen darf. Das bedeutet, dass sie einerseits immer mehr zu einem selbstverständlichen Bestandteil unternehmerischer Berichterstattung wird und andererseits im Laufe der Zeit auch immer stärker automatisiert erfolgen kann, insgesamt aber auch "lesbarer" wird.

Riegler: Ich wünsche mir, dass sich im Laufe der nächsten Jahre klare Best Practices herauskristallisieren, die Vergleichbarkeit der Berichte sich erhöht und allem voran, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung die Entscheidungsträger:innen in den Unternehmen zum Umsetzen von Nachhaltigkeitsmaßnahmen motiviert!

LEADERSNET: Vielen Dank!

www.forvismazars.com

Über die Interviewpartner:in

Maria Riegler ist Managerin Sustainability bei Forvis Mazars in Österreich. Sie unterstützt Unternehmen bei der Erarbeitung eines strategischen Verständnisses für Nachhaltigkeitsauswirkungen, -risiken und chancen, bei der Implementierung von Lieferkettensorgfalt und bei der Vorbereitung ihrer Berichterstattung.

Michael Dessulemoustier-Bovekercke ist Partner, Wirtschaftsprüfer und Head of Sustainability Services bei Forvis Mazars in Österreich. Er hat über 25 Jahre Erfahrung im Bereich der Wirtschaftsprüfung und beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit.

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Über die Interviewpartner:in

Maria Riegler ist Managerin Sustainability bei Forvis Mazars in Österreich. Sie unterstützt Unternehmen bei der Erarbeitung eines strategischen Verständnisses für Nachhaltigkeitsauswirkungen, -risiken und chancen, bei der Implementierung von Lieferkettensorgfalt und bei der Vorbereitung ihrer Berichterstattung.

Michael Dessulemoustier-Bovekercke ist Partner, Wirtschaftsprüfer und Head of Sustainability Services bei Forvis Mazars in Österreich. Er hat über 25 Jahre Erfahrung im Bereich der Wirtschaftsprüfung und beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit.

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