Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Migration: Zwischen Realitätssinn und Rechtsstaat

| Redaktion 
| 04.05.2025

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Geneigte Leser:innen, heute möchte ich mich einem politisch wie juristisch äußerst komplexen Thema widmen: der Migration. Zugleich ist es eines der emotional aufgeladensten Felder unserer Zeit – gerade, weil es so schwierig, vielschichtig und oftmals widersprüchlich ist.

Wer versteht noch den Unterschied zwischen legaler und illegaler Migration, zwischen Asylberechtigten und subsidiär Schutzbedürftigen? Und wie lässt sich erklären, dass über 90 Prozent der Asylanträge abgelehnt werden, aber nur ein Bruchteil der Betroffenen tatsächlich abgeschoben wird? Offensichtlich sind viele der bisherigen Verfahren und politischen Versuche, Ordnung in dieses System zu bringen, gescheitert.

Ich will dieses Thema bewusst nicht juristisch verklausuliert behandeln, sondern es mit einfachem Hausverstand beleuchten – so wie ich glaube, dass es viele Bürger:innen empfinden und ich glaube, gerne gelöst haben möchten. Dabei bitte ich um Nachsicht für die eine oder andere vereinfachte Darstellung, und mir ist durchaus klar, dass die Vorstellungen nicht immer einfach umzusetzen sind, es ist erstmal ein Versuch. Vorweg möchte ich betonen: Extreme Positionen lehne ich klar ab – sowohl jene, die Migration in jeder Form ablehnen, als auch solche, die jedes Steuerungsbedürfnis pauschal als unmenschlich diffamieren.

Massiver Arbeitskräftemangel

Beginnen wir mit einer einfachen Wahrheit: Österreich und Deutschland leiden unter massivem Arbeitskräftemangel – nicht nur in der Pflege, der Gastronomie, im Tourismus oder in Handwerksberufen, sondern quer durch alle Branchen. Durch die bevorstehende Pensionswelle der geburtenstarken Jahrgänge wird sich dieses Problem weiter verschärfen. Auch mit intensiver Aus- und Weiterbildung werden wir diesen Mangel nicht allein mit heimischen Arbeitskräften decken können. Wir müssen daher gezielt qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben. Die "Rot-Weiß-Rot-Karte" in Österreich ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber er reicht nicht aus. Wir brauchen ein transparentes, attraktives und effizientes Verfahren – idealerweise schon vor der Einreise – das eine gesteuerte Migration in den Arbeitsmarkt ermöglicht und nicht in die "soziale Hängematte" führt. Wir sind hier nämlich in einem Wettbewerb mit vielen anderen Ländern, die bei diesem Thema schon viel weiter und offener sind als wir.

Schutzbedürftige, Asylverfahren und Co. 

Gleichzeitig – und abzugrenzen von der oben beschriebenen Migration – wollen wir Menschen Schutz bieten, die aus politischen oder religiösen Gründen nachweisbar verfolgt werden. Denken wir nur daran, dass weltweit über 350 Millionen Christ:innen wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Doch es ist problematisch, wenn in mehr als 80 Prozent der Asylverfahren das Schutzrecht nicht anerkannt wird, und dennoch ein Großteil der Abgewiesenen im Land bleibt. In Deutschland scheiterten 2024 über 60 Prozent der Abschiebungen – ein Zustand, den viele Bürger:innen nicht mehr nachvollziehen können.

Ein möglicher Ansatz wäre, Asylverfahren – unter Wahrung rechtsstaatlicher Standards – in sicheren Drittstaaten durchzuführen. Noch wichtiger aber ist, dass Herkunftsländer zur Rücknahme ihrer Staatsbürger:innen verpflichtet werden, wenn diese kein Asylrecht erhalten. Länder, die sich weigern, Rückführungsabkommen zu schließen, sollten keine Entwicklungshilfe oder andere staatliche Leistungen mehr erhalten. Ohne eine klare Linie in dieser Frage wird das System dauerhaft untergraben.

Geregelter Familiennachzug

Ein weiterer Zankapfel ist der Familiennachzug. Natürlich soll der Kernfamilie eines tatsächlich schutzberechtigten Menschen unter bestimmten Voraussetzungen der Nachzug ermöglicht werden. Aber dies muss klar geregelt und genau überprüft werden sowie die Kriterien eines rechtsstaatlichen Aufenthalts erfüllen. Dies erscheint momentan nicht gewährleistet zu sein. Auch die Möglichkeiten, die sich die österreichische Regierung zum kompletten Aussetzen des Familiennachzuges geschaffen hat – nämlich bei Gefährdung der öffentlichen Ordnung und zum Schutze der inneren Sicherheit – sind richtig, können aber auch nicht mehr als eine Übergangslösung darstellen.

Besonders schwer nachvollziehbar ist die jetzige Situation bei sogenannten sekundär Schutzbedürftigen. Diese Menschen haben kein individuelles Asylrecht, sondern genießen Schutz, weil ihnen bei Rückkehr Gefahr droht – etwa durch Krieg oder allgemeine Gewalt. Hier erscheint eine detailliertere und auch geografisch (z. B. sichere Teilgebiete bestimmter Staaten) genauere Prüfung notwendig. Dass auch dieser Gruppe der Familiennachzug gestattet wird, sorgt berechtigterweise für wachsenden Unmut, zumal viele von ihnen später "zu Besuchszwecken" in ihr Heimatland reisen – jenes Land, in das sie laut Schutzstatus nicht zurückkehren können. Dass ihnen dann trotz solcher Reisen der Schutzstatus nicht automatisch aberkannt wird, ist mit gesundem Menschenverstand kaum zu erklären und jenen Bürger:innen, die dies alles mit ihren Steuergeldern finanzieren, auch nicht zu vermitteln. All diese vereinfachten und nachvollziehbaren Wünsche der Bürger:innen sollten – auch wenn juristisch schwierig – umgesetzt werden.

Migration kann nur dann gelingen, wenn Integration gelingt

Wir dürfen eben nicht vergessen: Damit unser Land weiterhin Schutz bieten kann, muss das Vertrauen der Bevölkerung in das System erhalten bleiben. Dieses Vertrauen erodiert, wenn Verfahren nicht funktionieren, Rückführungen scheitern und das System durch Schlepper und Missbrauch unterwandert wird. Darunter leiden nicht nur jene, die wirklich Hilfe benötigen – auch die dringend notwendige, wirtschaftlich sinnvolle Zuwanderung wird dadurch diskreditiert.

Lassen Sie mich zum Schluss eines besonders betonen: Migration kann nur dann gelingen, wenn Integration gelingt. Dafür ist es unabdingbar, dass Menschen, die in unser Land kommen, in sehr kurzer Zeit unsere Sprache sprechen müssen. Darüber hinaus bedeutet Integration Respekt gegenüber der Kultur und Gepflogenheiten des Gastlandes, Einsatz im Arbeitsleben und Akzeptanz der Rechtsordnung. Toleranz ist von beiden Seiten gefragt – aber Toleranz bedeutet nicht, alles widerspruchslos zu akzeptieren. Ganz im Gegenteil: Eine offene Gesellschaft lebt vom Dialog, nicht von Gleichgültigkeit. Kurz gesagt: Nur mit klaren Regeln, fairen Verfahren und einer entschlossenen Umsetzung können wir Migration gestalten, anstatt sie zu "erleiden".

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