Editorial des Herausgebers
Das Spiel ändert sich, bleibt aber spannend

| Wolfgang Zechner 
| 28.04.2025

Wenn man sich dieser Tage mit Entscheider:innen der Handelsbranche unterhält, dominiert ein Thema fast jedes Gespräch: die Unsicherheit. Inflation, sinkende Kaufkraft, volatile Lieferketten, strukturelle Veränderungen – der Lebensmittelhandel und die Industrie stehen unter Druck wie selten zuvor. Doch wer genau hinsieht, erkennt zwischen den Schlaglöchern des Alltags auch neue Wege, Chancen und Wachstumsfelder. 

In kaum einer Branche schlägt die Inflation so hart durch wie im Lebensmitteleinzelhandel. Konsument:innen vergleichen Preise, greifen vermehrt zu Eigenmarken oder beobachten Aktionen mit Argusaugen. Der Preis ist zurück auf dem Thron – aber nicht allein. Markenhersteller, die jahrzehntelang auf Vertrauen und Qualität setzten, sehen sich mit einer neuen Realität konfrontiert: Handelsmarken, strategisch entwickelt und hochwertig positioniert, laufen ihnen zunehmend den Rang ab. Doch ist das das ganze Bild? Mitnichten. Konsument:innen differenzieren – auch unter ökonomischem Druck. Wer Vertrauen aufgebaut hat, bleibt im Spiel. Wer allerdings zu lange auf alten Lorbeeren ruht, wird vom Regalrand verdrängt. Die Gunst der Stunde gehört jenen, die Relevanz neu denken – nicht als Logo, sondern als Leistungsversprechen.

Trotz Konsumzurückhaltung bleibt Nachhaltigkeit ein starker Treiber. Während Luxusgüter und Freizeitangebote an Nachfrage verlieren, hält sich der Bio-Trend überraschend robust. Nicht als romantischer Reflex, sondern als Ausdruck veränderter Werte. Für Handelsketten ist Nachhaltigkeit keine PR-Option mehr, sondern Pflicht. Wer sie glaubwürdig lebt, differenziert sich jenseits von Preis und Sortiment. Auch Markenartikler wären gut beraten, dieses Feld nicht den Handelsunternehmen zu überlassen. Wer grün nur auf die Verpackung schreibt, wird enttarnt. Wer aber echte Transparenz liefert, sich mit Lieferketten, CO₂-Bilanzen und sozialer Verantwortung auseinandersetzt, kann Vertrauen und damit auch Margen zurückgewinnen.

Die Euphorie rund um den Online-Lebensmittelhandel hat Dellen bekommen. Hohe Logistikkosten, geringe Margen und zögerliche Kund:innen machen profitables Online-Food-Retailing zur Königsdisziplin – mit bislang überschaubaren Erfolgsbeispielen. Der Rückzug mancher Anbieter, etwa im österreichischen Markt, ist bezeichnend. Dennoch wäre es falsch, das Thema Digitalisierung ad acta zu legen. Denn während der Online-Verkauf stockt, gewinnt die digitale Transformation in anderen Bereichen an Fahrt: Lagerlogistik, Bestandsmanagement, personalisierte Kundenbindung – hier liegen echte Hebel zur Effizienzsteigerung und Differenzierung. Die Zukunft liegt nicht in der reinen Kanalverlagerung, sondern in der intelligenten Vernetzung von Offline- und Online-Welt.

Der Lebensmittelhandel steht vor einem Paradigmenwechsel. Es geht nicht mehr um "höher, schneller, billiger", sondern um "authentischer, effizienter, relevanter". Wer das erkennt, hat die Chance, mehr zu sein als Versorger – nämlich Gestalter des gesellschaftlichen Alltags. Die Spielregeln ändern sich. Aber das Spiel bleibt spannend.

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