Interview mit Johanna Urkauf
"Wir kommunizieren laufend, dass wir zwei wirtschaftlich komplett getrennte Unternehmen sind"

Während die Motorradsparte der KTM AG nach der Milliardenpleite gerade eine Sanierung anstrebt, ist die eigenständige KTM Fahrrad GmbH unter der Führung von Johanna Urkauf auf Erfolgskurs. Als CEO muss sie nicht nur die aktuellen Marktturbulenzen in der Fahrradbranche, sondern auch die klare Trennung zum namensgleichen Motorradhersteller meistern. Im LEADERSNET-Interview spricht Urkauf außerdem über die Zukunft der E-Mobilität auf zwei Rädern, die Bedeutung von Innovation in herausfordernden Zeiten und erklärt, wie sich ein Familienunternehmen in einem sich rapide wandelnden Markt behaupten kann.

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Urkauf, Sie übernahmen 2018 mit nur 29 Jahren die Geschäftsführung von KTM Fahrrad. Welche komplexen Herausforderungen mussten Sie in Ihrer Anfangszeit meistern?

Johanna Urkauf: Nachfrageseitig war es zur damaligen Zeit auf jeden Fall angenehmer für uns im Vergleich zur heutigen Situation. Denn sowohl die allgemeine Konsumlaune war besser, aber vor allem das E-Bike erlebte ein gesundes Wachstum. Dessen Beliebtheit schlug immer mehr und mehr vom deutschsprachigen Markt in andere, vor allem europäische, Länder über. Dies führte dazu, dass immer mehr und mehr Unternehmen auf den E-Bike-Markt drängten. Am Anfang vor allem traditionelle Fahrradhersteller wie wir, bald auch Konkurrenz und große Investor:innen außerhalb der Branche. Um unsere Position als Markt- und Innovationsführer des E-Bikes zu verteidigen, mussten wir sehr schnelle Innovationszyklen mit neuen E-Systemen und Rahmenneuheiten meistern. Um Akku und Batterie mit jeder neuen Rahmengeneration weiter mit den Fahrradrahmen verschmelzen zu lassen, um neue Bereiche wie das E-MTB oder E-Kinderrad zu erschließen, betraten wir mit Konstruktion und Rahmenherstellungstechnik im schnellen Tempo ständig Neuland für uns und die Fahrradbranche.

Sehr erfreuliche jährliche Wachstumssteigerungen von 20 Prozent mussten mit stabiler Qualität und genügend Tempo umgesetzt werden. Die Arbeit in der Fahrradbranche, vor allem im Bereich Logistik und Produktion bekam eine viel intensivere, schnellere Dynamik. Es war eine sehr wichtige Zeit, weil wir die Basis unseres E-Bike-Know-hows damals geschaffen haben. Aber auch eine sehr schöne, weil der Markt unsere gemeinsamen Anstrengungen stets belohnt hat. Natürlich hatte ich den Vorteil, dass ich die Geschäftsführung in einem Familienunternehmen übernahm: Meine Familie unterstützt in Asien unsere wichtigen Lieferant:innen vor Ort beim Qualitätsmanagement und vor allem hilft meine Mutter uns tagtäglich mit ihrer Erfahrung.

LEADERSNET: Die Fahrradbranche durchlebt aktuell eine Konsolidierungsphase. Ihre Mutter Carol Urkauf-Chen betont, beim Entwicklungsbudget nie gespart zu haben. Ist das einer Ihrer Wettbewerbsvorteile und wie positionieren Sie sich, um der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein?

Urkauf: Auf jeden Fall. Nur mit den richtigen Innovationsthemen konnten wir viele Jahre mindestens 30 Prozent des Umsatzes mit Produkten machen, welche es im Vorjahr noch nicht gab. Dabei ist wichtig, dass unsere Innovationen stets einen Mehrwert für unsere Kund:innen bieten können und die Freude am Fahrradfahren im Fokus haben. Auch in der jetzigen Zeit der Konsolidierung geben wir unser Bestes, Innovationen geschickt zu positionieren und Interesse zu wecken.

Neben der Innovation ist die Tradition als Fahrradhersteller sehr wichtig. 1964 wurde das erste KTM Fahrrad produziert und seitdem haben wir Trekkingräder, Rennräder, Mountainbikes, Kinderräder etc. – also in so ziemlich jeder verbreiteten Fahrradkategorie-Fahrräder entwickelt und produziert. Tradition bedeutet jahrzehntelang gewachsenes Know-how und Geschäftsbeziehungen. Seit Jahrzehnten ist Verkauf, Entwicklung, Produktion und Kundendienst in Mattighofen zu Hause.

LEADERSNET: Von 100 Millionen Euro Umsatz 2010 auf über 600 Millionen Euro 2023 – ein beeindruckender Aufstieg. Gleichzeitig erleben wir derzeit herausfordernde Zeiten. Wie navigieren Sie durch die aktuelle, auch schwierige Marktsituation bei Fahrrädern und was gibt Ihnen Zuversicht für 2025?

Urkauf: Es ist sehr wichtig, dass wir einen starken Fokus auf Konsolidierung haben, ohne Verzicht auf attraktive Neuheiten. Dabei hilft, dass wir ein Familienunternehmen sind, und als solches meine Mutter die Gewinne der letzten Jahre sowohl in den Ausbau des Standortes Mattighofen, also Produktions- und Lagerhallen investiert hat, aber auch sehr vorausschauend gewirtschaftet hat, um Reserven zu bilden. Dies gibt uns Möglichkeiten, gerade unter schwierigen Bedingungen notwendige Investitionen durchzuführen. Seien es Innovationen, Digitalisierung oder Marketing.

LEADERSNET: Welche Innovationen haben Sie zuletzt vorangetrieben, und wie bewerten Sie die Bedeutung von automatischen Schaltungen für die Zukunft der E-Bikes?

Urkauf: Elektronisches und automatisiertes Schalten ist die Neuheit bei unseren E-Bikes 2025, denn es ermöglicht ein revolutionär neues Fahren und Fahrgefühl. Elektronisches Schalten ist sehr präzise und komfortabel. Durch leichten Knopfdruck wird das Schalten ermöglicht. Ich vergleiche es gerne mit dem Öffnen eines Gurkenglases: Benötigt man mit konventionellen Methoden mehr Kraftaufwand zum Öffnen, haben wir nun einen Zauberstab und mit einem Stups haben wir das Glas geöffnet. Automatisches Schalten erspart uns nicht nur das Schalten und erhöht den Fahrkomfort, sondern ist auch materialschonender für Verschleißteile wie Kette oder Zahnkranz. Es wird mehr und materialschonender geschaltet, ohne dass der:die Fahrer:in einen Mehraufwand hat.

LEADERSNET: Die Insolvenz der KTM AG (LEADERSNET berichtete) hat sogar dazu geführt, dass in TV-Berichten irrtümlich Ihr Bürogebäude gezeigt wurde. Wie stellen Sie sicher, dass Händler:innen und Kund.innen die klare Trennung der beiden Unternehmen verstehen?

Urkauf: Wir haben zwar bereits viele Mitteilungen versendet und diese auf unserer Homepage oder Social-Media-Kanälen gepostet. Auch unsere Mitarbeiter:innen kommunizieren immer wieder, dass wir seit 1992 zwei wirtschaftlich komplett getrennte Unternehmen sind, mit unterschiedlichen Eigentümern. Resultierend aus dem Konkurs und der Zerschlagung der KTM Fahrzeugbau 1991 in vier unterschiedliche Unternehmen: Fahrrad, Motorrad, Motoren und Kühler.

Es ist ein kontinuierlicher Kommunikationsprozess notwendig und unser Sprachrohr und unsere Hilfe sind hier oft auch unsere KTM-Fachhändler, die unseren Kund:innen erklären, dass KTM Fahrrad ein stabiles Unternehmen ist. KTM Fahrrad kann liefern und Gewährleistung garantieren.

LEADERSNET: KTM Fahrrad produziert in Mattighofen und in einer zweiten Fabrik in Tschechien mit über 1.000 Mitarbeiter:innen. Wie wichtig ist der Produktionsstandort Europa für Sie, gerade in Zeiten globaler Unsicherheiten, wie haben Sie Krisen wie die Pandemie gemeistert und welche Lehren haben Sie daraus für das Supply-Chain-Management gezogen?

Urkauf: Eingangs sprach ich von sehr schnellen und komplexen Innovationszyklen, vor allem bei E-Bikes. Innovation bedeutet immer auch neue Materialien, neue Produktionsprozesse, erhöhter Bedarf an Qualitätsmanagement. Um diesen erhöhten Anforderungen an unseren Neuheiten besser nachkommen zu können, werden diese Innovationen am Produktionsstandort und Hauptquartier in Mattighofen produziert. Zu jeder Zeit kann Entwicklung, Qualitätssicherung und Geschäftsleitung auf kurzem Wege die neuen Produktionsprozesse und Produkte kontrollieren und bei Bedarf schnell gemeinsam reagieren. Somit stellen wir eine qualitativ hochwertige und schnellstmögliche Einführung unserer neuen Räder sicher.

Die beiden Produktionsstandorte in Europa halfen uns während der Pandemie durchgehend zu produzieren. Kam eine Corona-Welle in Österreich und eine normale Produktion war nicht möglich, konnte uns unsere Tochterfirma in Tschechien bei der Produktion von wichtigen Kundenaufträgen unterstützen und vice versa.

Ich hoffe, dass wir als Branche nicht mehr mit solch exorbitanten Lieferzeiten arbeiten werden. Jeder wollte und musste mehr Planungs- und Versorgungssicherheit für die Zukunft durch mehr Bestellungen erkaufen, leider wurde dadurch auch mehr Risiko "eingekauft". Denn wie sollten wir wissen, welche Mengen wir in zwei Jahren absetzen würden? Trotzdem mussten wir – wie alle in der Fahrradbranche-Produktionsmaterialien – bestellen, um unsere Kund:innen und Produktion versorgen zu können. Erst durch die unkalkulierbaren Zustände der Lieferketten damals wurde mir bewusst, was für eine Meisterleistung der Wirtschaft unsere funktionierenden abgestimmten Lieferketten darstellten. Wie beim Uhrwerk muss ein Rad ins andere greifen. Fehlt ein Teil für ein Fahrrad, liefert nur ein:e Lieferant:in nicht – und so war es meist – konnten wir das Fahrrad nicht produzieren und ausliefern und mussten das restliche Material einlagern und finanzieren. Somit hatten wir in der Fahrradindustrie trotz gefüllter Auftragsbücher viel auf Lager und hohen Liquiditätsbedarf. Entscheidungen, Bestellungen von damals – drei, vier Jahre zurückliegend – sind teils heute noch ersichtlich. Durch diese Erfahrungen, denke ich, sind meine Entscheidungen im Supply-Chain-Management und allgemein heute noch viel durchdachter. Erst über eine Bandbreite von mehreren Jahren konnte ich wirklich lernen, was Entscheidung und Konsequenz, Ergebnis bedeutet.

LEADERSNET: Fahrräder gelten als Schlüssel zu nachhaltiger Mobilität. Wie tragen Sie mit Ihren Produkten und Ihrer Unternehmensstrategie dazu bei, Umwelt- und Gesundheitsziele zu fördern?

Urkauf: Fahrräder liegen seit Jahren im Trend. Sie sind umweltfreundlich und Radfahren ist gesund für Herz- und Kreislauf. Die E-Bikes unterstützen diese Eigenschaften und führen in der Regel dazu, dass das Fahrrad noch mehr verwendet wird. Mit einem E-Bike erreicht man Plätze und Gipfel, die oft mit dem Fuß zu weit, mit dem normalen Rad zu beschwerlich und mit dem Auto verboten sind.

Das Rad und hier speziell das E-Bike wird somit ein immer wichtigerer Schlüssel im Mobilitätsmix für unsere Gesellschaft. KTM leistet seit Jahren mit vielen Innovationen und Neuheiten einen großen Beitrag, dass das Radfahren unseren Kund:innen leichter fällt und mehr Freude bereitet. Das ist ein wichtiges Ziel und großer Ansporn in unserem traditionsreichen Familienunternehmen.

LEADERSNET: Mit welchen Werten und Überzeugungen führen Sie das Unternehmen in eine unsichere Zukunft und gibt es ein Motto oder eine Lebensweisheit, die Sie besonders inspiriert?

Urkauf: Meine Mutter prägt mich stark und von ihr lerne ich vor allem zwei Leitlinien in der Unternehmensführung. Einerseits die Wichtigkeit bei der Arbeit immer Schritt für Schritt seine Ziele zu realisieren. Durch nachhaltige, tägliche Arbeit Mehrwert schaffen. Risiken abzuschätzen und zu nehmen, welche notwendig, aber auch tragbar für uns sind. Andererseits steht bei der täglichen Produktentwicklung und -produktion stets unser: Kund:in im Mittelpunkt. Dies spiegelt sich in unserer Tradition und Fokus auf Qualität und Innovation – Grundgerüst unserer Marke KTM und KTM Fahrräder. Mich motiviert und inspiriert bei einem anscheinend simplen, aber genialen und so vielfältigem Produkt wie dem Fahrrad mitwirken zu dürfen. Das Produkt Fahrrad kann für Mobilität, Abenteuer, sportlichen Wettkampf und noch vieles mehr stehen. Aber vor allem ist es treuer Begleiter und Freund beim Erkunden der Welt, von klein auf.

www.ktm-bikes.at

sehr sympathisches Interview - viel Erfolg!
Schönes Interview. Gutes Produkt. Tolle Einstellung.

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