"Ich habe sichtlich einen Nerv der Zeit getroffen"

Kaitlyn Chang, Brand Innovation Lead bei Accenture Interactive in Wien, sorgte mit ihrem Business-Auftritt mit Baby beim Forward Festival für Furore. Im Interview mit LEADERSNET spricht sie über Diskriminierung, New Work und warum es keine Einheitslösungen gibt. 

Kaitlyn Chang, Brand Innovation Lead bei Accenture Interactive in Wien, berät nationale und international Unternehmen als Marketingexpertin zu Zukunftsthemen wie New Work, Employer Branding und Diversity. Nach einem vielbeachteten Auftritt beim Forward Festival startete sie das Movement #momtoo. LEADERSNET hat die Managerin zum Interview gebeten und mit ihr darüber gesprochen, warum neue und moderne Ansätze rund um Diversity und Inklusion essentiell für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen sind.

LEADERSNET: Der Hashtag momtoo geht um die Welt. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?

Chang: Um ehrlich zu sein, nein, mit so viel Aufmerksamkeit habe ich nicht gerechnet. Mein Linkedin-Post mit dem momtoo Hashtag hat mehr als 5,7 Millionen Aufrufe erhalten und es haut mich immer noch um (lacht).

LEADERSNET: Wie kamen Sie auf die Idee, mit Ihrem Baby am Bauch, eine Keynote zu halten?

Chang: Neben meiner Tätigkeit als Brand Innovation Lead bei Accenture Interactive in Wien, bin ich schon seit längerer Zeit im Bereich Diversität und Inklusion aktiv: Fünf Jahre lang habe ich Österreichs größtes Frauennetzwerk, Women of Vienna, geleitet, meinen MBA im Bereich Geschlechtergleichstellung in Tech-Startups absolviert, viele Keynote-Vorträge und Kundenworkshops zu Marken-, Marketing- und Kommunikationsthemen mit einem innovativen Blickwinkel gehalten – und bei Accenture bin ich im Cultural Diversity Team aktiv.

Als ich diesen Frühling Mutter geworden bin, hat mir eine Kollegin erzählt, dass sie sich gezwungen fühle, Familie und Arbeit komplett trennen zu müssen – dieser Satz ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ich fand es seltsam, dass wir in Corona Zeiten immer noch so denken müssen, in einer Zeit, in der hybrides Arbeiten normal geworden ist…wo es auch alltäglich geworden ist, die Wohnzimmer oder die Kinder der Kolleg:innen in unseren Online-Meetings zu sehen.

LEADERSNET: Sie sind schon an die 20 Jahre berufstätig, in Ihrer Arbeit schon lange sehr erfolgreich und wurden mit über 50 internationalen und österreichischen Awards ausgezeichnet. Doch erst jetzt greifen Sie das Thema "Motherhood penalty" auf – warum genau jetzt?

Chang: Ich bin erst dieses Jahr im Alter von 41 Jahren Mutter geworden. Aus diesem Grund hatte ich die Möglichkeit, in meinen Zwanzigern und Dreißigern viel Zeit in meine Arbeit zu investieren, was mir geholfen hat, eine sehr spannende Karriere aufzubauen. Ich muss aber auch zugeben, dass ich mir, bevor ich selbst Mutter wurde, der Vorurteile und Diskriminierungen, mit denen berufstätige Mütter seit Jahrzehnten konfrontiert sind, nicht ganz bewusst war.

Ich glaube das Timing fiel unerwartet gut mit der Tatsache zusammen, dass ich genau in der Corona Zeit schwanger war und Mutter geworden bin. Während mir persönlich die Probleme sehr bewusst wurden, schienen auch die Lösungen viel offensichtlicher zu sein – flexible Arbeitsmöglichkeiten und vor allem die Normalisierung dieser Möglichkeiten –  über die man vor der Pandemie wahrscheinlich nicht so leicht hätte sprechen können. Ich denke, dass die Gesellschaft im Allgemeinen jetzt viel flexibler geworden ist, was die Art und Weise angeht, wie wir arbeiten. Wir haben alle gelernt, dass flexibles Arbeiten kein fiktives, romantisches Konzept ist, sondern dass es auch tatsächlich funktionieren kann. Deshalb denke ich, dass diese Ära der neuen Arbeitswelten eine große Chance für uns ist, offener über diese Herausforderungen zu sprechen – wir beschäftigen uns mit dem Thema "New Work" und neuen Lösungen auch sehr intensiv im Austausch mit unseren Kunden.

LEADERSNET: Wie könnten Sie Ihren Werdegang kurz beschreiben?

Chang: Ich bin in Südkorea geboren und in den USA aufgewachsen, habe in Korea studiert und dort zu arbeiten begonnen. 2012 bin ich aus beruflichen Gründen nach Österreich gekommen, habe mich in in dieses Land verliebt und beschlossen zu bleiben. So habe ich die letzten 17 Jahre in Korea, den USA und in Österreich für verschiedene Marketingberatungen und Werbeagenturen gearbeitet, zehn Jahre war ich bei der In-house Werbeagentur von Samsung tätig. Meine Arbeiten wurden international ausgezeichnet und ich war selbst Teil der Jurys der renommiertesten Kreativpreise der Welt, darunter Cannes Lions. Jetzt arbeite ich als Brand Innovation Lead bei Accenture Interactive in Österreich.

LEADERSNET: Welches Echo findet #momtoo bei Ihrem Arbeitgeber Accenture? War dieser eigentlich von vorne herein eingebunden? Und der Auftritt war sozusagen als Kampagnenauftakt geplant?

Chang: Es war definitiv keine geplante Kampagne und keine Inszenierung. Mir ging es darum, einen Diskurs zu starten und wie meine 5.7 Millionen Views auf LinkedIn zeigen, habe ich sichtlich einen Nerv der Zeit getroffen. Viele Leute haben mich danach neugierig gefragt, wie mein Unternehmen reagiert hat, und ich muss sagen, dass das Feedback meiner KollegInnen ausschließlich positiv war. Sehr viele männliche und weibliche Führungskräfte und KollegInnen haben mich beglückwünscht, für die Sache geworben und mich ermutigt, die Diskussion weiter voranzutreiben. Ich denke, dass dies nur möglich ist, da Accenture seit Jahren das Thema Diversität und Inklusion in all seiner Vielfalt lebt und bereits verschiedene hervorragende neue Maßnahmen und -programme umsetzt und fördert, die allen zur Verfügung stehen. Accenture beweist, dass hybride, flexible Arbeitsmodelle nicht nachteilig, sondern essentiell für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sind. Und als Mitarbeiter:in spürt man, dass dies nicht nur auf dem Papier steht, sondern wirklich aktiv und mit Nachdruck betrieben und gelebt wird.

Kaitlyn Chang © Niklas Schnaubelt

LEADERSNET: Wie gelingt es Ihnen, den anspruchsvollen Job mit dem Familienleben zu vereinbaren? Was kann man sich diesbezüglich bei Ihnen abschauen?

Chang: Als frischgebackene Mutter bin ich mir sicher, dass ich noch nicht alle Antworten habe, und ich bin mir auch sicher, dass es keine Einheitslösungen gibt, die für alle perfekt sind. Und ich denke, genau darin liegt vielleicht der Tipp, dass wir die Tatsache akzeptieren müssen, dass die beste Lösung, mit der man sich ganz wohl fühlt und auch am produktivsten ist, für jeden ganz anders aussehen kann. Denn dann ist es erst möglich, über die Einführung flexiblerer Arbeitsmöglichkeiten für alle im Unternehmen nachzudenken und sicherzustellen, dass niemand diskriminiert wird, wenn er diese flexiblen Arbeitsmöglichkeiten in Anspruch nimmt.

LEADERSNET: Warum ist es so schwer, Frauen aber auch Männer aus ihren traditionellen Rollenbildern zu lösen?

Chang: Ganz einfach, weil wir von klein auf durch alle möglichen Botschaften in den Medien konditioniert werden. Mit Medien meine ich nicht nur Fernsehen, Filme und Werbung, sondern auch Bücher, Spiele, Anzeigen auf Produkten, Lehrern und Schulbüchern – einfach überall. Dies führt zu einer sehr starken unbewussten Neigung in Bezug auf die Geschlechterrollen, die bereits im Alter von drei Jahren beginnt und nur sehr schwer zu ändern ist. Deshalb müssen wir uns auch darauf konzentrieren, unbewusste Vorurteile in der Kommunikation mit Kindern bewusst zu beseitigen, worum es im zweiten Teil meines ursprünglichen Vortrags ging.

LEADERSNET: Was wünschen Sie sich vom Staat und den Unternehmen, um bessere Strukturen für Mütter und auch Väter zu schaffen?

Chang: Von den Unternehmen: den grundsätzlichen Ansatz, dass flexible Arbeitsmöglichkeiten für alle, die es sich wünschen, zur Norm werden und dass niemand diskriminiert werden darf, wenn er sich für diese Möglichkeiten entscheidet. Flexible Arbeitsmöglichkeiten können eine Menge verschiedener Dinge bedeuten: Arbeit von zu Hause aus, Gleitzeit, flexible Arbeitszeiten, Job-Sharing-Optionen und einfacher Wechsel zwischen Teil- und Vollzeit wie bei Accenture mit "MyContract".

Dieses Tool ermöglicht es uns bei Accenture, Arbeitsverträge flexibel und selbstständig online je nach Lebenssituation zu individualisieren, alles digital, ohne Papierarbeit, ohne Überraschungen beim Gehalt oder ohne vielleicht als unangenehm empfundene Gespräche mit der/dem direkten Vorgesetzen.

Vom Staat: Wir müssen die derzeitige Elternbetreuung modernisieren, so dass sie sowohl für Mütter als auch für Väter flexibel und lebensnah angepasst werden kann. Weiters brauchen wir mehr Plätze und Betreuer:innen für öffentliche Kindergärten für Babys unter einem Jahr bzw. die aktive Förderung von mehr Betriebskindergärten. Auch eine soziale Sensibilisierungskampagne in Bezug auf das Thema "motherhood penalty“ und eine Diskussion um das Thema für neue strukturelle Lösungen sollte gestartet werden.

LEADERSNET: Finden sich in den Ereignissen rund um die Pandemie Ansätze, die eine Verbesserung der Situation herbeiführen könnten?

Chang: Auf jeden Fall. Ich bin zuversichtlich, dass die neuen hybriden Arbeitswelten, an die sich die Gesellschaft aufgrund der Pandemie gewöhnen musste, eine große Chance bieten, dass viel flexiblere Arbeitsmodelle zur Norm werden. Dies wird hoffentlich langfristig dazu beitragen, die gesellschaftlichen und strukturellen Probleme zu verringern, mit denen berufstätige Mütter – und auch Väter - konfrontiert sind und die sie bisher allein bekämpfen mussten. (jw)

Kaitlyns Vortrag beim Forward Festival zum Nachschauen


www.accenture.at


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