Spanien möchte eine verkürzte Arbeitswoche in einem landesweiten Pilotprojekt testen und auch hierzulande gibt es schon Vorreiter. Béatrice und Martin Verdino haben bereits vor zwei Jahren den Schritt gewagt und in ihrer Wiener Kreativ-Agentur ein neues Arbeitszeitmodell eingeführt. Jetzt ziehen die beiden Unternehmer:innen Bilanz: Was bringt die Vier-Tage-Woche wirklich und gab es dadurch in der Corona-Pandemie vielleicht sogar Vorteile?
Die Arbeitstage von Montag bis Donnerstag dauern seit 1. Mai 2019 eine Stunde länger, nämlich neun Stunden. Der Freitag war dafür frei. Zumindest dann, wenn man nicht für die Bereitschaft eingeteilt war, um dringende Kundenanfragen oder Probleme zu bearbeiten. Einmal im Monat kommt das Team am Freitag zusammen, um abseits der operativen Aufgaben über Innovation in allen Bereichen nachzudenken. Das betrifft innovative Lösungen für Kunden und Projekte genauso wie das eigene Unternehmen und sogar die eigene Person – dann nämlich, wenn man am Innovation Friday für sich Neuland betritt und sich weiterbildet.
Der Prozess ist in mehreren Schritten abgelaufen
"Gestartet sind wir mit einer Beta-Phase. So hatten wir die Möglichkeit, bei Bedarf Optimierungen vorzunehmen“, erinnert sich Geschäftsführer Martin Verdino an die Einführung des Smart-Work-Modells. "Es war wichtig, unsere Arbeitsprozesse zu evaluieren und kritisch zu hinterfragen, ob wir wirklich jedes Meeting brauchen oder kürzer halten können", ergänzt Fondatrice Béatrice Verdino
Mittlerweile haben sich alle im Team an die Vier-Tage-Woche gewöhnt und gemerkt, dass die Straffung von Abläufen und der starke Fokus auf digitale Prozesse besonders während der Corona-Pandemie viele Vorteile gebracht hat. "Wir haben generell einen Fokus auf 'digital first', und durch die Einführung des Bereitschaftstags, der immer schon im Remote oder im Homeoffice stattgefunden hat, ist uns die Umstellung auf bis zu 100 Prozent Remote Work sicher leichter gefallen als anderen", sehen sich die beiden Unternehmer bestätigt.
Effizienzsteigerung und mehr Bewerbungen
Auch eine Effizienzsteigerung bei Projektarbeiten und Prozessen konnten Béatrice und Martin Verdino beobachten: "Wir arbeiten fokussierter, weil wir weniger Zeit zur Verfügung haben. Dabei sind es eigentlich nur vier Stunden, ein halber Arbeitstag. Die Zeit verplaudert man anderswo vielleicht in der Kaffeeküche oder während eines Meetings."
Ein Freitag ohne den hektischen Agenturalltag biete den beiden "Verdinos" nicht nur die Möglichkeit, in Ruhe strategische Überlegungen für ihr Unternehmen anzustellen, sondern ihren Mitarbeitern auch wirkliche Erholung – in Zeiten der Pandemie und der Lockdowns besonders wichtig für die mentale Gesundheit. Innovative Arbeitszeitmodelle scheinen für Arbeitnehmer eine immer größere Rolle zu spielen: Seit der Umstellung auf Smart Work erhält die Agentur im Durchschnitt rund 70 Initiativbewerbungen pro Quartal.
"Wir hatten schon vor der Pandemie, die natürlich Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat, eine starke Zunahme an Bewerbern, die unbedingt zu uns wollten, dies im Bewerbungsprozess nachdrücklich betont haben und auch bereit waren, auf einen Job zu warten. Neben unserer klaren Positionierung in Healthcare und Responsible Business hat sicher auch die Vier-Tage-Woche Einfluss darauf", erklärt Martin Verdino den Anstieg an Bewerbungen. Über 200 Initiativbewerbungen erhielt die Agentur 2020, heuer sind es bis April 2021 bereits über 100.
Auch die Kunden sind positiv gestimmt
Üblicherweise ist eine Agentur in der Kommunikationsbranche nahezu rund um die Uhr erreichbar. Dass es auch anders geht, beweist die Auswertung der Support-Anfragen am Freitag, die regelmäßig vorgenommen wird. "Unsere Kunden tragen das Modell mittlerweile sehr gut mit. Und wenn der Hut brennt, ist unser Bereitschaftsdienst auch am Freitag erreichbar", bestätigt Martin Verdino die Akzeptanz des Modells.
2020 gab es bei insgesamt 51 Freitagen lediglich acht Supportanfragen von Kunden, wovon sechs als "Notfälle" eingestuft und alle in weniger als zwei Stunden gelöst wurden. In einem Supportformular werden alle wesentlichen Informationen abgefragt, damit jeder Mitarbeiter im Bereitschaftsdienst rasch und effizient eine Lösung finden kann.
"Digital first" denken sich mittlerweile auch die Kunden: kamen 2019 noch rund 16 Prozent der Supportanfragen per Telefon, seien es 2020 gar keine mehr gewesen. Alle Kunden haben das Supportformular verwendet. "Es braucht bei Mitarbeitern und auch bei Kunden das richtige Mindset für unsere Vier-Tage-Woche", räumt Béatrice Verdino ein. "Aber unsere Kunden haben den Vorteil, dass 'bis Ende der Woche' bei uns 'bis Donnerstag' bedeutet. Damit kann eine weitere Bearbeitung bei ihnen am Freitag starten und nicht erst nach dem Wochenende." (jw)
www.verdino.com
Sicher auch notwendig, nachdem letztes Jahr fast die gesamte Belegschaft Verdino verlassen hat ;)
Was ist mittlerweile Euer Resumé dazu? War das trotz oder wegen des Konzepts, dass die Leute gegangen sind?
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