"Ich kann nur an alle appellieren, sich impfen zu lassen"

| 22.11.2020

Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, erzählt im Interview, warum Corona und die Grippe nicht zu vergleichen sind, was sich Österreichs 47.000 Ärzte von der Politik wünschen, warum Angst kein guter Ratgeber ist und wieso es seiner Meinung nach keine Impfpflicht geben wird.

LEADERSNET: Herr Szekeres, Sie sind Humangenetiker, Facharzt für klinische Chemie und Labordiagnostik und Präsident der Österreichischen Ärztekammer. Was hat Sie daran gereizt, ein politisches Amt, wie jenes in der Ärztekammer, anzunehmen?

Szekeres: Es ist kein wirklich politisches Amt, sondern ich vertrete die Interessen der Ärztinnen und Ärzte und das hat mir immer schon Spaß gemacht. Und ich vertrete natürlich auch die Interessen der Patientinnen und Patienten, weil wir für ein leistungsfähiges Gesundheitssystem eintreten. Wir sehen aktuell, wie wichtig ein System ist, das gut funktioniert. Wir gehen in Österreich wesentlich besser mit den Kranken um, was auch daran liegt, dass wir ein Gesundheitssystem haben, das seinesgleichen sucht.

LEADERSNET: Wie viele Ärzte vertreten Sie als Ärztekammer-Präsident und wie sieht der Alltag eines Ärztekammer-Präsidenten aus?

Szekeres: Es gibt in Österreich 47.000 Ärztinnen und Ärzte, die ich vertrete. Das mache ich natürlich nicht alleine. In jedem Bundesland gibt es eine eigene Ärztekammer mit einem Präsidenten bzw. in Kärnten einer Präsidentin. Mein Alltag sieht so aus, dass ich im AKH in Wien ärztlich im Labor tätig bin, dazwischen, vornehmlich am Nachmittag und am Abend gibt es Termine, die ich in meiner Funktion wahrnehme.

LEADERSNET: Welche Aufgaben müssen Sie in dieser Funktion konkret wahrnehmen?

Szekeres: Man vertritt sämtliche Interessen der Ärztinnen und Ärzte und eng damit verbunden jene der Patientinnen und Patienten, sprich der Menschen. Das bedeutet natürlich auch, viele Kontakte auf politischer Ebene wahrzunehmen und Lobbying zu betreiben. Es gibt aber auch viel administrative Arbeit im Hintergrund. Wir erstellen beispielsweise die Liste aller Ärzte in Österreich. Das heißt, jeder, der einen Arztausweis bekommt, wird von uns verwaltet. Deshalb gibt es im Hintergrund auch hauptberufliche Mitarbeiter, wie etwa das Kammeramt mit Juristen oder die Mitarbeiter in der Presseabteilung.

LEADERSNET: Wie Sie vorhin erwähnt haben, vertreten Sie 47.000 Ärzte in Österreich. Was ist deren Wunsch an die Politik bezüglich des österreichischen Gesundheitssystems – gerade auch im Hinblick auf Corona?

Szekeres: Gerade im Moment wünschen wir uns maximale Unterstützung seitens der Regierung und speziell seitens des Finanzministeriums und der Sozialversicherung. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei allen Mitarbeitern im Gesundheitssystem ganz herzlich bedanken. Diese Zeiten sind besonders herausfordernd. Es ist unglaublich, was sie bisher geleistet haben und weiterhin leisten. Man läuft Gefahr, sich anzustecken und muss sich entsprechend schützen. Das war am Anfang gar nicht einfach. Wir hatten viel zu wenig Masken und Schutzausrüstung und trotzdem muss man sein Bestes tun, um für die Patientinnen und Patienten da zu sein. Die Zahl der Coronainfizierten – und damit auch die Zahl der Patienten im Spital – ist in letzter Zeit wieder gestiegen. Aber wir haben Kapazitäten, weil wir ein leistungsfähiges Gesundheitssystem haben. Wir wünschen uns trotzdem Verbesserungen. Aber das ist auch ein Jammern auf hohem Niveau.

LEADERSNET: Corona ist derzeit natürlich das alles beherrschende Thema. Der Regierung wird auch der Vorwurf gemacht, mit Angst zu arbeiten. Ist diese Kritik gerechtfertigt oder muss man vor Corona tatsächlich Angst haben?

Szekeres: Ganz zu Beginn der Pandemie haben wir über dieses Virus extrem wenig gewusst. Wir wussten nicht einmal, wie viele Menschen angesteckt sind oder waren und wer ansteckend ist. Wir haben nur gewusst, dass bei einem kleinen Prozentsatz der Patienten die Krankheit sehr schwer und im schlimmsten Fall auch tödlich verlaufen kann und dass die Krankheit offensichtlich sehr ansteckend ist. Mittlerweile haben wir einiges gelernt.

Ich glaube, Angst ist nie ein guter Ratgeber. Man sollte aber wissen, wie man damit umgeht und wie man eine Ansteckung verhindern kann. Ich glaube, dass wir den Menschen inzwischen schon oft genug gesagt haben, dass sie Abstand halten und in geschlossenen Räumen eine Maske tragen sollen – insbesondere wenn viel gesprochen wird. Wenn man nicht lüften kann, sollte man die Anzahl der Menschen in einem Raum beschränken. Im Freien besteht praktisch keine Gefahr, wenn man ein bisschen Abstand hält. Man muss natürlich auf die Händehygiene achten. Kurz gesagt: Man muss darauf achten, dass man sich nicht ansteckt. Nicht nur, damit man nicht selber krank wird, sondern damit man auch andere nicht anstecken kann.

Das Risiko bei der ganzen Infektionskette ist, dass 99 Prozent der Menschen in Österreich diese Krankheit noch nicht hatten und sich somit noch anstecken können. Deshalb ist Vorsicht geboten. Ich weiß, dass es Angst gibt. Ich weiß auch, dass es deshalb zu psychischen Problemen kommt. Deshalb ist es wichtig, dass man sich bewusst ist, wie man lebt und auf was man achten muss, um eine Ansteckung zu verhindern.

LEADERSNET: Gerade in sozialen Medien wird immer wieder die Theorie verbreitet, dass COVID-19 mit der Grippe zu vergleichen sei. Ist dieser Vergleich zulässig?

Szekeres: Nein, man kann die Grippe nicht wirklich mit Corona vergleichen. Warum ist das so? Gegen die Grippe gibt es beispielsweise eine Schutzimpfung und es gibt erprobte Behandlungsmöglichkeiten. Diese Corona-Infektion ist hingegen neu. Wir haben keine wirkungsvollen Handlungsoptionen. Das heißt, es gibt kein Medikament dagegen und es gibt keine Schutzimpfung dagegen. Zudem ist die Anzahl der Schwersterkrankten höher. Natürlich kann man auch an der Grippe schwer erkranken. Aber wie bereits erwähnt, kann man sich gegen die Grippe impfen lassen. Derzeit gibt es sowohl auf Bundesebene als auch in Wien eine Impfkampagne. Ich kann nur an alle appellieren, sich gegen die Grippe impfen zu lassen. In Wien ist die Grippeimpfung für alle gratis und auf Bundesebene ist sie für Kinder gratis. Die Impfung schützt vor einer schweren Infektion und gerade in Zeiten wie diesen, wo es mehrere Infektionskrankheiten gleichzeitig gibt, kann man sich zumindest gegen jene schützen, für die es eine Impfung gibt.

LEADERSNET: Die Grippeimpfung gibt es schon seit vielen Jahren, dennoch hat sich die überwiegende Mehrheit der Österreicher in den vergangenen Jahren nicht impfen lassen. Im vergangenen Jahr lag die Impfquote bei gerade einmal zehn Prozent. Fürchten Sie, dass auch bei einer Corona-Impfung Ähnliches zu erwarten sein wird, wenn es keine Impfpflicht gibt?

Szekeres: Das Thema Impfpflicht ist insofern schwierig, weil einerseits die Politik diese nicht möchte, aber auch viele Menschen dagegen sind. Der Erfolg der Impfung hängt am Ende davon ab, wie viele Menschen sich impfen lassen. Wenn es viele sind, wird es den sogenannten Herdenschutz geben. Das wäre der Schlüssel, um diese Pandemie zu beenden. Auf das hoffe ich sehr, weil das alles keine lustige Situation ist. Je früher das alles vorbei ist, umso besser ist es für uns – sowohl seelisch als auch wirtschaftlich.

Weltweit arbeiten derzeit rund 160 Firmen an der Entwicklung eines solchen Impfstoffs. Einige sind hier schon sehr weit fortgeschritten. In der letzten Phase dieser Zulassung muss man überprüfen, ob die Impfung wirklich vor Ansteckung schützt und welche Nebenwirkungen es gibt. Wenn erwiesen ist, dass es einen Schutz gegen eine Corona-Infektion gibt und die Nebenwirkungen überschaubar sind, dann kommt es zu einem Zulassungsverfahren. Und nur sichere und zugelassene Impfstoffe dürfen verabreicht werden und dann macht es auch Sinn, sich impfen zu lassen.

LEADERSNET: Würden Sie als Arzt auch empfehlen, sich zu bewegen und sportlich zu betätigen, um das "Immunschild" aufrecht zu erhalten?

Szekeres: Ja, das empfehle ich sehr. Man muss nur aufpassen, dass man im Rahmen dieser sportlichen oder sonstigen Aktivitäten anderen nicht zu nahe kommt. Ich rede jetzt nicht von Familienmitglieder, aber man sollte versuchen zu verhindern, dass man sich ansteckt. Das kann bei manchen Sportarten der Fall sein. Aber sich gesund ernähren und sich zu bewegen, macht immer Sinn.

LEADERSNET: Von den 47.000 Ärztinnen und Ärzten, die Sie vertreten, sind viele auch selbstständig. Sind die derzeitigen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie aus Ihrer Sicht wirtschaftlich vertretbar?

Szekeres: Die Ärztinnen und Ärzte haben auch während der Lockdown-Phase offen gehabt und da teilweise ihr Erspartes ausgegeben, damit sie die Ordinationen am Laufen halten können. Wir hoffen sehr auf eine Unterstützung seitens der Sozialversicherung und der Regierung, die es noch nicht gegeben hat, obwohl die Mediziner nicht nur Ansteckungen riskiert haben und alles dafür getan haben, um gerade das zu verhindern.

Wobei ich zugeben muss, die Ärztinnen und Ärzte sind sicher nicht die Ärmsten in unserem Land, aber es macht keinen Sinn, gerade dort zu sparen und diesen Verlust, den sie hatten, nicht zu ersetzen. Während bei anderen, die zugemacht haben, der Verlust ersetzt wurde.

Die Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet und es ist ihnen ein Anliegen, den Patienten zu helfen und das haben sie auch gemacht – unter widrigen Umständen. Sie haben beispielsweise elektronisch Rezepte ausgestellt und via Telefon krankgeschrieben. Ich hoffe, dass das auch zukünftig möglich sein wird. Auf diesem Weg ist es uns gelungen, die Infektionen in den Spitälern und in den Ordinationen weitgehend zu verhindern. In anderen Ländern hat es im Gesundheitswesen Hotspots gegeben, wo sich das Gesundheitspersonal und die Patienten gegenseitig angesteckt haben, mit fatalen Folgen. Das war in Österreich nicht der Fall und das ist gut so. Ich möchte noch einmal die Gelegenheit nutzen, um mich bei allen zu bedanken, die da mitgeholfen haben. Angefangen beim Gesundheitspersonal bis hin zu den Patientinnen und Patienten, die sehr diszipliniert sind und beispielsweise nur nach telefonischer Anmeldung zum Arzt gehen. Wir sollten uns bemühen, dass das weiterhin so gut läuft.

www.aerztekammer.at

Über Thomas Szekeres

Thomas Szekeres wurde im Juni 2017 zum Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer gewählt. Er folgt ein dieser Position auf Artur Wechselberger.

Szekeres promovierte 1988 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien zum Doktor der gesamten Heilkunde und erhielt an derselben Universität 1994 seinen Facharzt für klinische Chemie und Labordiagnostik. 1994 habilitierte er darüber hinaus zum Universitätsdozenten für Medizinische und Chemische Laboratoriumsdiagnostik. 2003 schloss Szekeres seinen PhD an der Universität Trnava ab und erhielt schließlich 2005 seinen zweiten Facharzt in Humangenetik.

Seit 1997 ist Szekeres Oberarzt am Klinischen Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik der Medizinischen Universität Wien. 2012 wurde der heute 58-Jährige zum Präsidenten der Ärztekammer Wien gewählt. Diese Funktion hat er immer noch inne.

*Quelle: Wikipedia

Dieser Kommentar ist noch nicht freigegeben.

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

Über Thomas Szekeres

Thomas Szekeres wurde im Juni 2017 zum Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer gewählt. Er folgt ein dieser Position auf Artur Wechselberger.

Szekeres promovierte 1988 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien zum Doktor der gesamten Heilkunde und erhielt an derselben Universität 1994 seinen Facharzt für klinische Chemie und Labordiagnostik. 1994 habilitierte er darüber hinaus zum Universitätsdozenten für Medizinische und Chemische Laboratoriumsdiagnostik. 2003 schloss Szekeres seinen PhD an der Universität Trnava ab und erhielt schließlich 2005 seinen zweiten Facharzt in Humangenetik.

Seit 1997 ist Szekeres Oberarzt am Klinischen Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik der Medizinischen Universität Wien. 2012 wurde der heute 58-Jährige zum Präsidenten der Ärztekammer Wien gewählt. Diese Funktion hat er immer noch inne.

*Quelle: Wikipedia

leadersnet.TV