Interview mit Sonja Brandtmayer
"Wirtschaft hat viel mit Psychologie zu tun – daher braucht es wieder positive Stimmung"

| Redaktion 
| 26.08.2025

Im LEADERSNET-Interview spricht Sonja Brandtmayer, Stellvertreterin des Vorstandsvorsitzenden der Wiener Städtischen, u. a. über Auswirkungen des Klimawandels auf die Versicherungsbranche, Chancen für Frauen in Führungspositionen, die wachsende Bedeutung von Alters- und Gesundheitsvorsorge sowie die Notwendigkeit einer Pensionsreform. 

LEADERSNETSehr geehrte Frau Brandtmayer, Sie sind seit zwei Jahren stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Wiener Städtischen. Können Sie uns ein paar Kennzahlen zur Wiener Städtischen nennen und erklären, für welche Bereiche Sie verantwortlich sind?

Sonja Brandtmayer: Die Wiener Städtische ist eine der führenden Versicherungen in Österreich, wir bieten in allen wesentlichen Sparten – Sach-, Lebens- und Krankenversicherung – Lösungen für Private und Firmen mit einem Prämienvolumen von rund 3,6 Milliarden Euro an. Dabei verstehen wir uns als regionalen Versicherer, der in allen Bundesländern mit eigener Landesdirektion und flächendeckend mit Berater:innen vertreten ist. Auch mit zunehmender Digitalisierung ist uns die Kundennähe ganz besonders wichtig. Neben dem Gesamtvertrieb zählen Marketing, Werbung, Digitalisierung sowie der Markt in Slowenien zu meinen Zuständigkeitsbereichen.

LEADERSNETWie sind Sie in diese Position gekommen?

Brandtmayer: Im Kern sind es drei Punkte, die meine berufliche Laufbahn – egal ob in der Wirtschaft oder Politik – prägen. Erstens ist es wichtig, neugierig und lernwillig zu sein, sich nicht mit dem Status quo zufriedenzugeben. Zweitens ist eine offene und wertschätzende Kommunikation für mich eine wichtige Voraussetzung für jede erfolgreiche Zusammenarbeit und schließlich der Aufbau und die Pflege eines beruflichen Netzwerks. Selbstverständlich ist die Unterstützung von Mentor:innen ein entscheidender Faktor, um beruflich voranzukommen. Ich hatte das große Glück, sowohl Frauen als auch Männer an meiner Seite zu haben, die mich gefördert haben – und das nicht nur beruflich, sondern auch menschlich.

LEADERSNETSie sind eine echte Powerfrau und waren ein Leben lang in männerdominierten Positionen tätig. Was empfehlen Sie jungen Frauen für ihren beruflichen Weg?

Brandtmayer: Tendenziell gibt es eine zunehmende Akzeptanz und Förderung von Frauen in sogenannten traditionell männlichen Branchen, auch die Sichtbarkeit von Frauen hat zuletzt zugenommen. In Kombination mit der verstärkten Präsenz von Frauen in Führungspositionen werden vor allem jüngere Generationen ermutigt, sich ebenfalls zu engagieren. Gleichzeitig gibt es immer mehr Netzwerke und Mentoring-Programme, die speziell Frauen unterstützen. FRiDA, das Frauennetzwerk der Wiener Städtischen, greift beispielsweise Themen wie Karriereförderung und Antidiskriminierung auf und fördert Gleichstellung und Gleichbehandlung im Unternehmen.

LEADERSNETAls Managerin der Wiener Städtischen sind Sie für Strategieplanung und Positionierung des Unternehmens zuständig. Wie positionieren Sie sich in Anbetracht von wirtschaftlich angespannten Zeiten und im Lichte der Digitalisierung?

Brandtmayer: Unser Geschäftsmodell ist sehr krisenfest, das haben die vergangenen Jahre bewiesen. Inhaltlich sehe ich vor allem in der Altersvorsorge enormes Potenzial. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der zunehmenden kritischen Beurteilung des Pensionssystems innerhalb der Bevölkerung wird dieses Thema unweigerlich an Bedeutung gewinnen. Als größter Lebensversicherer in Österreich sehen wir hier mittelfristig großes Wachstumspotenzial. Der Schaden-Unfall-Bereich bleibt stark wettbewerbsgetrieben und wird mit der Wirtschaftsentwicklung wachsen. Unser prioritärer Fokus liegt auf der Kundenzentrierung, das heißt, den Bedarf und die Bedürfnisse der Kund:innen umfassend zu analysieren und optimale individuelle Lösungen anzubieten.

LEADERSNETDie Wiener Städtische besitzt ein großes Immobilien-Portfolio und somit auch einen Hebel beim Thema "Nachhaltigkeit". Inwieweit ist nachhaltige Ausrichtung ein Zukunftsthema für die Wiener Städtische?

Brandtmayer: Als Versicherung verwalten wir Kundengelder in Milliardenhöhe, da macht es natürlich einen Unterschied, ob dieses Kapital in fossile Energieträger oder in nachhaltige Veranlagungen wie Solar- und Windparks investiert wird. Wir verstärken unser Engagement in nachhaltige Investments schon seit Jahren, das betrifft auch das Thema Immobilien, wobei wir nachhaltig in diesem Bereich nicht nur als ressourcenschonend verstehen, sondern auch sozial. Denn wir konzentrieren uns auf das Segment leistbares Wohnen – etwa im Wiener Nordbahnviertel.

LEADERSNETWie hat sich der nationale Versicherungsmarkt verändert? Welche Trends sind zu erkennen?

Brandtmayer: Ein klarer Trend ist der Nachholeffekt in der Schaden-Unfallversicherung, den wir 2024 gesehen haben – die Wiener Städtische ist dabei deutlich über dem Markt gewachsen. In der Krankenversicherung beobachten wir weiterhin eine sehr hohe Kundennachfrage. Die Gesundheitsvorsorge war in den vergangenen Jahren ein verlässlicher Wachstumsträger – und das setzt sich weiter fort. Auch in der Lebensversicherung sehen wir eine deutliche Belebung. Das Vertrauen in das staatliche Pensionssystem ist gering – ernsthafte Reformen bleiben nach wie vor aus. Unserer Einschätzung nach ist künftig das größte Wachstum in der Personenversicherung zu erwarten, also in der Lebens- und Krankenversicherung.

LEADERSNETWir erleben aktuell eine wirtschaftliche Hoch- und Talfahrt in allen Bereichen. Wie wirken sich Klimawandel, Energiepreise, Kriege, aber auch Zölle auf die aktuelle Performance von nationalen Versicherern aus?

Brandtmayer: Der Klimawandel belastet die Versicherungsbranche immer stärker. Allein im Vorjahr wurde in Österreich deutlich mehr als eine Milliarde Euro an versicherten Schäden an Kund:innen bezahlt – das ist ein zentraler Beitrag zur Schadensbewältigung. Die derzeit herrschende wirtschaftliche und politische Unsicherheit ist natürlich wenig hilfreich für eine konjunkturelle Erholung. Das Privatkundengeschäft läuft weiterhin stabil, im Industriebereich gehen hingegen die Umsätze zurück.

LEADERSNETWie können wir wieder positive Vibrations in die Wirtschaft bekommen und wie sehr sind wir von Stimmungen abhängig?

Brandtmayer: Wir alle wissen, dass Wirtschaft viel mit Psychologie zu tun hat. Blicken Menschen und Unternehmen positiv in die Zukunft, tätigen sie Investitionen. Daher ist es so wichtig, wieder positive Stimmung zu verbreiten. Auch wenn es derzeit aufgrund der geopolitischen Lage und der schwachen Konjunktur vielleicht schwerfällt, brauchen wir wieder positive Narrative. Denn Österreich ist nach wie vor ein attraktiver Wirtschaftsstandort.

LEADERSNETWohin soll sich die Wiener Städtische – Ihres Erachtens nach – entwickeln?

Brandtmayer: Die Wiener Städtische ist als Dienstleisterin österreichweit Sicherheitspartnerin für Menschen und Firmen. Wir wollen unsere Beratungstätigkeit und Servicequalität weiter steigern, mit dem Ziel, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Auch wenn wir zuletzt vielfach für unsere Beratungsleistungen ausgezeichnet wurden, ist es unser Anspruch, die persönliche Beratung – in Kombination mit digitalen Tools – weiter zu stärken und auszubauen.

LEADERSNETZum Abschluss bitte ich Sie um ein politisches Statement: Was müssen wir als österreichische Gesellschaft tun, um wirtschaftlich wieder erfolgreich zu sein und um den Wohlstand für die Zukunft zu erhalten?

Brandtmayer: Ich bin fest überzeugt, dass es jetzt höchst an der Zeit ist, eine umfassende Pensionsreform anzugehen. In Anbetracht dessen, dass eine Umsetzung aufgrund des Vertrauensschutzes ohnehin bis zu 15 Jahre dauern wird, müssten jetzt die Weichen für ein generationengerechtes Modell gestellt werden. Diese Reform würde nicht nur das staatliche Pensionssystem entlasten, sondern auch finanzielle Spielräume für Zukunftsprojekte, etwa für Bildung, ein effizientes Gesundheitssystem, grüne Transformation etc. schaffen – und damit auch unseren Wohlstand sichern.

LEADERSNET: Vielen Dank!

www.wienerstaedtische.at

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