Die Pharmabranche erlebt derzeit eine tektonische Verschiebung: Während Krebsmedikamente wie Mercks Keytruda weiterhin Umsatzrekorde brechen – 2023 überschritt das Präparat erstmals die 30-Milliarden-Dollar-Marke – gerät eine andere Produktkategorie immer stärker in den Fokus der Analyst:innen: Medikamente zur Gewichtsreduktion.
Was vor wenigen Jahren noch als Lifestyle-Nische galt, ist heute ein Milliardenmarkt mit politischem und gesundheitlichem Sprengstoff. Die dänische Firma Novo Nordisk und der US-Konzern Eli Lilly stehen an der Spitze dieser Entwicklung – und enteilen dem Rest der Branche mit beachtlichem Tempo.
200 Milliarden Dollar in Sichtweite
Laut dem renommierten Marktforschungsunternehmen Evaluate könnten Eli Lilly und Novo Nordisk im Jahr 2030 zusammen einen Umsatz von rund 200 Milliarden US-Dollar erzielen. Ein beträchtlicher Teil davon entfiele auf sogenannte GLP-1-Agonisten, also Medikamente, die ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt wurden, sich aber auch zur Gewichtsreduktion als hocheffektiv erwiesen haben.
Österreich ist – wie viele Länder Europas – derzeit noch vorsichtig bei der breiten Anwendung solcher Präparate. Dabei könnten sie nicht nur das Leben einzelner Patient:innen massiv verbessern, sondern langfristig auch das Gesundheitssystem entlasten. Denn Übergewicht ist längst keine Randerscheinung mehr: Weltweit gelten rund 2,5 Milliarden Menschen als übergewichtig, fast 900 Millionen als fettleibig. In Österreich sind laut Statistik Austria rund 20 Prozent der Erwachsenen fettleibig, Tendenz steigend.
Vom Diabetesmedikament zum Lifestyle-Blockbuster?
Produkte wie Wegovy (Novo Nordisk) und Zepbound (Eli Lilly) zeigen, wie schnell ein medizinischer Durchbruch den Markt dominieren kann. Beide Mittel basieren auf der Wirkung des Hormons GLP-1, das im Körper das Sättigungsgefühl verstärkt, den Blutzucker senkt und den Appetit reduziert.
Was einst ein enges Anwendungsgebiet bei Diabetespatient:innen hatte, entwickelt sich nun zu einem gesellschaftlich und wirtschaftlich bedeutsamen Produktsegment. Doch der Erfolg wirft Fragen auf: Sind diese Medikamente medizinisch notwendig – oder reine Schönheitshelfer? Die Antwort darauf hat weitreichende Folgen, vor allem für Krankenkassen.
In vielen Ländern – auch in Österreich – werden die Kosten für Abnehmspritzen nicht erstattet, da Adipositas häufig nicht als behandlungsbedürftige Krankheit, sondern als individuelles Lebensstilproblem eingestuft wird. Dabei zeigen erste Studien, dass GLP-1-Präparate nicht nur beim Abnehmen helfen, sondern auch das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle deutlich senken können. Eine großangelegte Studie von Novo Nordisk (SELECT-Studie, 2023) ergab etwa eine 20-prozentige Reduktion schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse bei stark übergewichtigen Patient:innen.
Gegenüberstellung Novo Nordisk und Eli Lilly © LEADERSNET
Monopolstellung mit Ablaufdatum?
Derzeit haben Novo Nordisk und Eli Lilly einen technologischen und marktwirtschaftlichen Vorsprung, den kaum ein anderer Konzern so schnell einholen kann. Die beiden Firmen profitieren von jahrelanger Forschungsarbeit im Bereich Diabetes und verfügen über einen gewaltigen Datenschatz zu Wirksamkeit und Sicherheit der GLP-1-Medikamente. Damit besitzen sie nicht nur die besten Produkte, sondern auch das Vertrauen von Behörden, Ärzt:innen und Investor:innen.
Konkurrenten wie Roche, Amgen oder Pfizer stehen noch am Anfang ihrer Entwicklungen in diesem Bereich. Expert:innen rechnen damit, dass ernst zu nehmende Konkurrenz frühestens ab 2030 auf den Markt drängen wird.
Neue Generation, neue Milliarden
Eli Lilly hat zudem einen weiteren Vorsprung: Das Unternehmen arbeitet erfolgreich an der ersten GLP-1-Pille gegen Fettleibigkeit, was die Anwendung deutlich vereinfachen und die Akzeptanz massiv erhöhen würde. Novo Nordisk hatte zuletzt Rückschläge bei neuen Wirkstoffen hinzunehmen – was sich auch im Aktienkurs widerspiegelte (dieser büßte mehr als die Hälfte seines Wertes ein).
Trotzdem bleibt der dänische Konzern stark positioniert – nicht zuletzt, weil Novo Nordisk in Österreich bereits mit starken Vertriebsstrukturen präsent ist und in mehreren EU-Ländern Pilotprogramme für die Integration der Präparate in die Regelversorgung vorbereitet.
Die anderen Pharmariesen: Solide, aber ohne Showeffekt
Abseits des Rennens um die Abnehmspritzen punkten andere Pharmakonzerne mit klassischen Wachstumstreibern. Abbvie profitiert weiterhin vom Erfolg entzündungshemmender Medikamente wie Skyrizi oder Rinvoq. Johnson & Johnson setzt auf ein neuartiges Krebspräparat, das laut Evaluate zum Blockbuster avancieren könnte.
Roche, mit Hauptsitz in Basel und Forschungsstandort in Wien, bleibt solide im oberen Mittelfeld der Branche. Das Unternehmen verfügt über ein breit aufgestelltes Portfolio – etwa im Bereich Augenmedizin (Vabysmo) und Neurologie – und dürfte auch künftig zu den Top Ten zählen.
Novartis, der zweite Pharmariese mit starker Präsenz in der Schweiz und Österreich, hinkt hingegen hinterher. Evaluate traut dem Konzern derzeit nicht zu, neue Produkte mit bahnbrechendem Potenzial zu liefern. Innovationen wie bei den GLP-1-Präparaten fehlen – bislang.
Conclusio
Der globale Pharmamarkt wird derzeit neu sortiert – und das Schlachtfeld ist das Körpergewicht. Wer in den nächsten Jahren die besten, sichersten und breit zugänglichen Mittel gegen Adipositas auf den Markt bringt, wird nicht nur Milliarden verdienen, sondern auch die Gesundheitsdebatte neu gestalten. Österreich spielt als Absatzmarkt dabei (noch) eine Nebenrolle – könnte aber bei einer evidenzbasierten Neupositionierung von Adipositas als chronischer Erkrankung wirtschaftlich und gesundheitspolitisch profitieren.
www.strategy-plan.at
www.tkafunds.com
www.lilly.com
www.novonordisk.at
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