Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Ohne glaubhafte Abschreckung keine Sicherheit

| Redaktion 
| 02.03.2025

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Es ist ein heikles Thema - eines, vor dem hierzulande nur allzu oft die Augen verschlossen werden. Ein Thema, das manche nicht einmal anfassen möchten. Zu heiß. Viel zu oft wird es stiefmütterlich behandelt und nur am Rande diskutiert. Und wenn es doch zur Sprache kommt, erntet man nicht selten Kritik.

Doch die Zeiten ändern sich - und es ist längst überfällig, das Thema offen auf den Tisch zu bringen. Ich sage es ganz klar: Wir müssen ehrlich, konstruktiv und zielgerichtet über eine militärische Aufrüstung diskutieren. Wir dürfen nicht länger so tun, als wäre alles in Ordnung. Es wird schon nichts passieren, so lautet oft die Annahme. Doch diese Annahme gehört, wie es derzeit scheint, der Vergangenheit an.

Ich möchte keine Panik verbreiten - das ist nicht meine Absicht. Doch eine ernsthafte Debatte über eine Aufrüstung können wir in Zeiten wie diesen weder vermeiden noch weiter aufschieben. Wir müssen eine ehrliche Diskussion darüber führen. Und das Argument, dies sei Kriegstreiberei, lasse ich nicht gelten. Im Gegenteil: Es geht um eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik in unsicheren Zeiten.

Die geopolitische Lage ist brisanter denn je. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine jährt sich zum dritten Mal und US-Präsident Donald Trump mischt die Karten völlig neu, was zu erwarten war. Denn Trumps Bündnis-Skepsis ist nichts Neues. Deshalb müssen wir uns intensiv mit entscheidenden Fragen auseinandersetzen: Wie verlässlich ist der amerikanische Schutzschirm in Zukunft? Wird es überhaupt noch Rückendeckung von den USA geben? Und wie gehen die einzelnen Staaten, wie geht Europa mit dieser Lage um?

Für unsere demokratischen Werte, für unseren Frieden

Fakt ist, derzeit kann Europa der Ukraine ohne Unterstützung der USA keine Sicherheitsgarantien geben - selbst im Falle eines Friedensabkommens. Europa muss Verantwortung übernehmen und nun einen anderen Weg einschlagen. Verantwortung für unsere demokratischen Werte, für unsere Zukunft und für den Frieden. Dies gilt es zu verteidigen.
Die Fähigkeit zur Selbstverteidigung ist jetzt das Gebot der Stunde, um Machtambitionen wie jenen von Russland zukünftig entschieden entgegentreten zu können.

Die Wahrheit ist oft unbequem, und sie bringt einem keine Sympathiepunkte, aber ich spreche sie aus: Wir müssen kriegsfähig sein. Was das bedeutet? Der erste und entscheidende Schritt ist die Fähigkeit zur Selbstverteidigung. Wir müssen in der Lage sein, uns zu wehren. Mit "wehren" meine ich in diesem Zusammenhang vor allem, dem Prinzip der Abschreckung zu folgen. Und damit Abschreckung wirkt, muss sie natürlich auch glaubwürdig sein - in allen Bereichen, aber vor allem im militärischen.

Wenn ich jedoch einen Blick auf mein Heimatland werfe, genauer gesagt auf die deutsche Bundeswehr, wirkt dort eigentlich nicht viel abschreckend. Ich selbst war in den Jahren 1984 und 1985 aktiver Soldat und bis zu meinem 40. Lebensjahr in der Reserve. In den 1980er Jahren verfügte die Bundeswehr über mehr als zwölf Heeresdivisionen mit 36 Brigaden - das waren über 490.000 Soldaten, mehr als 7.000 Kampf- und Schützenpanzer, mehr als 1.000 Kampfflugzeuge, 18 Flugabwehrraketenbataillone und eine Marine mit mehr als 100 Schiffen, darunter 24 U-Boote. All dies wurde mit 3,5 bis 4 Prozent des BIP finanziert – direkt aus dem laufenden Bundeshaushalt.

Heute hat die Bundeswehr gerade einmal 180.000 Soldat:innen und damit weniger als ein Zehntel der Ausrüstung von damals. Dieses Beispiel allein zeigt: Eine wirksame Abschreckung ist so nicht möglich. Ähnlich sieht es in vielen EU-Staaten aus - mit Ausnahme einiger nordischer Länder wie Finnland.

Verteidigungsausgaben auf drei bis vier Prozent des BIP anheben

Eine glaubwürdige Abschreckung werden wir nur erreichen, wenn wir aufrüsten. Die Verteidigungsausgaben müssen auf mindestens drei bis vier Prozent des BIP angehoben werden und diese Ausgaben aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Was jedoch klar ist, dass dies nur möglich ist, wenn in anderen Bereichen gespart wird. Gleichzeitig sollten wir auch einen weiteren Aspekt in Betracht ziehen: Die Verlängerung des Wehr- oder Zivildienstes auf ein Jahr.

Und nun komme ich zu einem Punkt, den Sie wahrscheinlich schon erwartet haben. Wann spricht er es endlich aus? Ein Thema, das hierzulande ein Tabu ist - eine heilige Kuh sozusagen. Das Wort, kombiniert mit einem Fragezeichen, darf eigentlich nicht laut ausgesprochen werden. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass sich Österreich endlich der Diskussion stellen muss, ob die oft beschworene Neutralität, die bei jeder Gelegenheit als Entschuldigung dient, wirklich noch zeitgemäß ist. Das lasse ich hier mal so stehen, so als Denkanstoß.

Der schwierigste Teil ist die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung

Jedoch nur über eine militärische Aufrüstung zu diskutieren, greift viel zu kurz. Wir müssen auch in vielen anderen Bereichen unsere Kapazitäten ausbauen: im Zivilschutz, bei der Infrastruktur und in der Cyberabwehr beispielsweise.
Der schwierigste Teil besteht jedoch darin, dass wir uns gesellschaftspolitisch viel intensiver mit der Thematik auseinandersetzen müssen. Wir müssen öffentlich machen, warum eine Abschreckung notwendiger denn je ist. Dies erfordert eine Neuausrichtung. Wir müssen von der Haltung 'Der Staat wird für alles sorgen' zurück zu einer Selbstverantwortung finden und erkennen, dass wir auch eine Verantwortung gegenüber dem Staat haben - nach dem oft zitierten Kennedy-Zitat: 'Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst.'

Ein wichtiger Aspekt wird ebenfalls sein, dass wir dafür sorgen müssen, dass Menschen in der Lage sind, Tatsachen von Falschmeldungen zu unterscheiden. Diese negative Entwicklung ist überaus besorgniserregend. Desinformation muss mit allen Mitteln und auf allen Ebenen bekämpft werden. Es muss zudem ein Weg gefunden werden, damit die Menschen Entscheidungsträgern wieder mehr Vertrauen schenken können. Wahrheiten müssen kommuniziert werden, denn wie Otto von Bismarck schon sagte: "Lügen können Kriege in Bewegung setzen, Wahrheit hingegen kann ganze Armeen aufhalten."

Wir müssen nicht nur in der Lage sein, mit Abschreckung zu drohen, sondern auch fähig und tatsächlich gewillt sein, Teile der notwendigen Maßnahmen umzusetzen. All dies sollte uns helfen, mit einem gesunden Selbstbewusstsein gegenüber Bündnispartnern wie den USA aufzutreten und vor allem in einem hoffentlich geeinten Europa allen potenziellen Gegnern von Anfang an die Stirn zu bieten. Hierfür müsste Deutschland auch endlich seine Scheu ablegen, eine Großmacht zu sein, und eine Führungsrolle übernehmen. Mehr dazu vielleicht in einem anderen Gastkommentar. All diese Überlegungen zur Aufrüstung werden von einem Grundsatz getragen: dem Wunsch nach unserer Freiheit. Denn "Frieden ohne Freiheit heißt Unterdrückung".

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