Gastkommentar Marian Adolf
Wer auf Faktenchecks pfeift, pfeift auf die Wirklichkeit

Gastkommentar von Marian Adolf, Kommunikationswissenschaftler und Professor (FH) am Department of Communication der FHWien der WKW.

Facebook-Gründer und Meta-CEO Mark Zuckerberg ließ kürzlich mit der Ankündigung aufhorchen, künftig keine Faktenchecks mehr auf der Plattform durchführen zu wollen. Zuckerberg kündigt damit nicht nur Verträge mit Partnerorganisationen oder Angestelltenverhältnisse mit Firmenmitarbeiter:innen. Er kündigt der Realität.

Als Begründung führt Zuckerberg an, dass Fact Checking der Zensur Vorschub leiste, und Facebook nun zu seinen Wurzeln der freien Rede zurückkehren werde. Abgesehen von dem Umstand, dass Facebook nicht als Bollwerk der politischen Meinungsäußerung, sondern als Anbahnungsportal für flirtwillige Student:innen gegründet wurde, unterläuft Zuckerberg noch ein zweiter, ungleich größerer Fehler: Er verwechselt fact checking mit Zensur.

Vielmehr sind Faktenchecks der Versuch, Behauptungen über die Wirklichkeit mit dieser Wirklichkeit abzugleichen. Und ja, da gibt es einige erkenntnistheoretische Fallstricke, über die man stolpern kann. Notwendig wurden Faktenchecks, weil es in der sozialmedialen Kommunikation – anders als in früheren Formen der öffentlichen Kommunikation – keine Qualitätskontrolle gibt. Buchstäblich jeder, der es ins Internet schafft, kann dort behaupten, was er will: dass Elvis bei McDonald’s an der Kassa arbeitet, dass Franz Klammer ein begnadeter Eiskunstläufer war, oder dass es Yetis gar nicht gibt. Und weil wir alle nur begrenzte Möglichkeiten haben, all die zahllosen Behauptungen auf sozialen Netzwerken und anderswo zu prüfen, und weil manche Behauptungen schwerwiegende Folgen haben können, mussten sich soziale Netzwerke der Verantwortung stellen, solche vorgeblichen Fakten "checken" zu lassen. In einer Welt der globalen, digitalen Kakophonie wird eine Behauptung erst durch den Check überhaupt zu einem Faktum – so wie man dem Nachwuchs die Geschichte vom aufgeräumten Kinderzimmer erst dann glaubt, wenn man es mit eigenen Augen sieht.

Somit können Fakten eventuell zensiert (AT) werden, aber niemals Zensur sein.

Es ist schwer, Zuckerbergs Kehrtwendung nicht als Kniefall vor der Regierung Trump II zu verstehen, als vorauseilender Gehorsam eines Unternehmens vor der Unberechenbarkeit eines exzentrischen Machthabers. Immerhin hat er es mit einem Präsidenten zu tun, der ankündigte, Grönland gegebenenfalls mit Waffengewalt zu annektieren. Vor so jemandem kann man sich schon fürchten. Das Problem liegt jedoch darin begründet, dass Zuckerberg hier nicht nur eine unternehmerische Entscheidung trifft. Vielmehr kündigt er der Realität auch gleich für alle jene knapp 3,3 Milliarden Menschen auf, die seine technischen Plattformen mit Kommunikation und Leben erfüllen. Immer wieder wurde davor gewarnt, die für demokratisches Gemeinwesen so wichtige Infrastruktur der Kommunikation nicht in die Hände privater, profitorientierter Unternehmen zu legen. Denn was dabei rauskommt, sehen wir jetzt.

www.fh-wien.ac.at


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