Reich und Arm im Vergleich
Weihnachten, Einkäufe und die "Mittelwertlüge"

| Tobias Seifried 
| 17.12.2024

Ausgaben für Geschenke präsentieren sich im Schnitt zwar als krisenresistent, bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber eine enorme Schere zwischen Gut- und Geringverdiener:innen. Letztere verschenken gar nichts oder kaufen bei Billigplattformen wie Temu ein. So erweist sich der Mittelwert als trügerischer Maßstab in Krisenzeiten.

Nachdem sich das Instituts für Handel, Absatz und Marketing (IHaM) der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) zuletzt mit der Frage beschäftigt hat, was die Österreicher:innen an Weihnachten am meisten nervt (LEADERSNET berichtete), ist es dieses Mal einem ernsteren Thema auf den Grund gegangen. Konkret hat man das Einkaufsverhalten im Vorweihnachtstrubel von Reich und Arm verglichen. Die Geschenkeinkäufe präsentieren sich zwar auch heuer im Durchschnitt betrachtet als weitgehend krisenresistent, eine differenzierte Sichtweise sei den Forscher:innen zufolge jedoch angebracht. So habe bereits der "Sankt Martins-Report 2024" des IHaM aufgezeigt, dass die Teuerungskrise das untere Einkommensquartil (=25 Prozent der einkommensschwächsten Haushalte in Österreich mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen (HNE) unter 2.000 Euro besonders hart getroffen hat und noch immer trifft. Zu den Haushalten im unteren Einkommensquartil zählen demnach vergleichsweise überdurchschnittlich viele Single-Haushalte, arbeitslose Personen sowie einerseits sehr junge Personen und andererseits Pensionist:innen. 

Einblicke hinter die "Mittelwertlüge"

Bei Weihnachtsgeschenken müssen Haushalte im unteren Einkommensquartil heuer auf der Ausgabenbremse stehen. Und mehr noch: 17 Prozent der Haushalte mit einem Monatsnettoeinkommen unter 2.000 Euro kaufen heuer keine Weihnachtspräsente. In absoluten Zahlen entspricht dies knapp 180.000 Haushalten. Im Vorjahr waren dies mit 15 Prozent bzw. 160.000 Haushalten (HNE unter 2.000 Euro pro Monat) etwas weniger. Im obersten Einkommensquartil (=25 Prozent der einkommensstärksten Haushalte mit einem Nettoeinkommen über 5.000 Euro p.M.) werden heuer lediglich drei Prozent keine Weihnachtsgeschenke einkaufen – nach vier Prozent im Vorjahr.

Geschenkausgaben im obersten Einkommensquartil deutlich höher

Die Ausgaben für Weihnachtspräsente liegen der Analyse zufolge im unteren Einkommensquartil über alle Haushalte gerechnet heuer bei rund 290 Euro pro Haushalt (nicht pro Haushaltsmitglied). Das sind um 30 Euro weniger als im Vorjahr. Hingegen geben die einkommensstärksten Haushalte mit einem Monatsnettoeinkommen über 5.000 Euro heuer voraussichtlich mit rund 920 Euro mehr als dreimal so viel und im Vergleich zum Vorjahr auch durchschnittlich um 20 Euro mehr für Weihnachtsgeschenke aus. Im Durchschnitt geben die privaten Haushalte heuer zu Weihnachten rund 540 Euro für Präsente aus.

IHaM Studie© IHaM

Summiert man die geplanten Geschenkausgaben der Haushalte im untersten und obersten Einkommensquartils jeweils auf, zeigt sich, dass das einkommensschwächste Viertel der Privathaushalte in Österreich für Präsente heuer in Summe rund 300 Mio. Euro und das einkommensstärkste Viertel rund 950 Mio. Euro ausgeben wird, so das IHaM. In Relation zu den gesamten Geschenkausgaben der Österreicher:innen 2024 (rund 2,23 Mrd. Euro) entfallen somit 13 Prozent auf das untere Einkommensviertel und 43 Prozent auf das oberste Viertel.

Unteres Einkommensquartil kauft häufiger bei Temu Geschenke ein

21 Prozent der Haushalte im unteren Einkommensquartil (HNE unter 2.000 Euro) bestellen heuer Weihnachtspräsente (auch) laut eigenen Angaben bei der asiatischen Online-Plattform Temu – vor allem, weil es billiger ist als in Ladengeschäften einzukaufen. Drei Viertel der Temu-Käufer:innen geben an, dass sie sich sonst die Weihnachtsgeschenke nicht leisten könnten.

Im oberen Einkommensquartil (HNE über 5.000 Euro) kaufen demnach lediglich 13 Prozent der Haushalte bei Temu ein, obwohl diese Einkommensklasse deutlich online-affiner sei und vergleichsweise häufiger Weihnachtsgeschenke via Internet bestelle – aber eben nicht bei asiatischen Online-Plattformen, sondern vermehrt bei Amazon (50 Prozent der Haushalte).

Der Mittelwert als trügerischer Maßstab in Krisenzeiten

"Die Prognosen zum Weihnachtsgeschäft 2024 zeigen zumeist mit Durchschnittswerten nur die 'halbe Wahrheit' – tatsächlich eine 'Mittelwertlüge', die Homogenität suggeriert und soziale Realitäten kaschiert. Denn die Kluft zwischen den einkommensschwächsten und den einkommensstärksten Haushalten ist gerade in der Vorweihnachtszeit offensichtlich. Während die Haushalte im unteren Einkommensquartil nach wie vor unter den Nachwehen der Teuerungskrise leiden und bei ihren Weihnachtseinkäufen sparen bzw. diese ganz ausfallen lassen (müssen), gibt das oberste Einkommensquartil mehr denn je für Weihnachtspräsente aus", resümiert Ernst Gittenberger vom IHaM der JKU die aktuellen Analyseergebnisse zu den Weihnachtseinkäufen.

Christoph Teller, Institutsvorstand des IHaM, ergänzt: "Die Diskussion um das Weihnachtsgeschäft 2024 zeigt, wie sehr finanzielle Restriktionen das Kaufverhalten beeinflussen. Aus unseren Forschungsreihen ersehen wir, dass viele Haushalte mit geringem Einkommen heuer sparen (müssen) oder auf günstige Plattformen wie Temu zurückgreifen. Diese Verhaltensänderungen sind weniger bewusste Entscheidungen als vielmehr Anpassungen an begrenzte finanzielle Möglichkeiten. Diese Entwicklungen zeigen, wie wirtschaftlicher Druck traditionelle Einkaufsgewohnheiten verändert. Durchschnittswerte können diese Unterschiede nicht abbilden und verdecken die vielfältigen Dynamiken, die von unterschiedlichen Einkommensgruppen ausgehen. Aus unseren Studien geht auch hervor, dass Konsument:innen zwar oft betonen, regional einzukaufen (bzw. einkaufen zu wollen), der Preis jedoch letztlich das zentrale Kaufkriterium bleibt. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit rücken ethische oder nachhaltige Entscheidungen in den Hintergrund, wenn sie mit höheren Kosten für Konsument:innen verbunden sind. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität unterstreicht die Komplexität des Konsum- bzw. Einkaufsverhaltens in Krisenzeiten."

www.jku.at/iham

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