"Neuer" ID.3 im Test - Warum nicht gleich so, VW?

| Tobias Seifried 
| 17.07.2023

Nach gerade einmal zweieinhalb Jahren wurde der kompakte Stromer stark überarbeitet. Dabei wurden viele, aber nicht alle Kritikpunkte beseitigt, wie LEADERSNET im Rahmen eines ausführlichen Tests in Erfahrung bringen konnte.

Als Volkswagen vor rund zweieinhalb Jahren mit dem ID.3 sein erstes Elektroauto, das auf einer eigens dafür entwickelten Plattform (Modularer Elektrobaukasten, MEB) basiert, auf den Markt brachte, waren die Erwartungen groß. Der Stromer wurde als großer Hoffnungsträger fürs E-Zeitalter und potenzieller Nachfolger des Bestsellers Golf gehandelt. Doch der ID.3 wurde seinen Vorschusslorbeeren nicht gerecht. Die Software war unausgereift, was dazu führte, dass sich viele Kund:innen fühlten wie Testfahrer:innen eines nicht fertigen Autos. Hinzu kam eine Materialanmutung im Innenraum, die dem (hohen) Preis alles andere als gerecht wurde. Das großflächig zum Einsatz kommende Hartplastik erinnerte eher an alte Dacias als an einen Volkswagen, der in Deutschland produziert wird. Ferner konnte der ID.3 auch mit seiner Ladeleistung (bei den kleinen Akkus) nicht so richtig punkten.

VW scheint jedenfalls schnell eingesehen zu haben, dass beim ID.3 Handlungsbedarf besteht und hat den kompakten Stromer nach nicht einmal drei Jahren stark überarbeitet. LEADERSNET konnte den "neuen" ID.3 bereits ausgiebig testen. Dabei zeigte sich, dass sich Europas größter Autobauer viele Kritikpunkte seiner Kund:innen und der Fachpresse zu Herzen genommen hat.

Optik und Innenraum

Außen fällt die Überarbeitung zwar nicht allzu umfangreich aus, dennoch wirkt der ID.3 nun seriöser und erwachsener. Das liegt vor allem an der neu gestalteten Frontpartie mit den optimierten Kühlluft-Öffnungen, dem modifizierten Stoßfänger und dem Plus an lackierten Flächen. Die vordere Haube, unter der sich nach wie vor leider kein zusätzlicher Stauraum (Frunk) findet, wirkt jetzt länger, weil die schwarze Leiste unter der Windschutzscheibe wegfällt und Vertiefungen an den Seiten die Front zusätzlich strecken. Am Heck leuchten die zweigeteilten Rücklichter erstmals auch in der Heckklappe; bisher waren die inneren Teile nur Attrappen.

Innen hat sich viel bei der Qualitätsanmutung sowie der Software getan. So gibt es im Cockpit endlich weiche unterschäumte Oberflächen. Auch die neu modellierten Türinnenverkleidungen verfügen über weichere sowie größere Oberflächen. Hinzu kommen farblich abgesetzte Nähte, welche die Wertigkeit ebenfalls erhöhen. Für die Türverkleidungen und Sitzbezüge verwendet VW das Microfasermaterial Artvelours Eco, das zu 71 Prozent aus Rezyklat besteht, und ebenfalls einen sehr guten Eindruck hinterlässt. Gleiches gilt für das vegane Lenkrad, das sich haptisch kaum von einem Lederlenkrad unterscheidet. Zudem trägt es dazu bei, dass nun die Innenausstattung durchgängig tierfrei ist. 

An den Abmessungen und am Platzangebot hat sich freilich nichts geändert. Aber hier spielt der nur 4,26 Meter lange ID.3 ohnehin ganz vorne mit, was vor allem an der E-Plattform mit den Batterien im ebenen Boden und dem langen Radstand liegt.

Bedienung und Software

Zur aufgewerteten Serienausstattung zählen u.a. ein 12 Zoll großer Touchscreen und die Mittelkonsole inklusive USB-C-Anschlüssen. Bei der Software hat VW ordentlich nachgelegt, weshalb der ID.3 diesbezüglich nun endlich so vorfährt, wie er es von Anfang an hätte tun sollen. Highlight markiert dabei der sogenannte intelligente e-Routenplaner, der auf einer längeren Strecke die Ladestopps so berechnet, dass das Ziel möglichst schnell erreicht wird – dabei bezieht das System neben dem Ladezustand der Batterie auch die aktuelle Verkehrslage und die Prognosen ein. Zudem werden besetzte Ladesäulen erkannt und gar nicht erst vorgeschlagen. Im Test funktionierte das wirklich sehr gut. Sonderziele lassen sich über die "We Connect ID. App" ins Auto übertragen. Software-Updates werden künftig "over the air" eingespielt. Zudem sind Funktionen wie das Navigationssystem, die automatische Distanzregelung ACC, die 2-Zonen-Climatronic und ein Upgrade auf 30 Farben Ambientelicht über "Functions on Demand" auch nachträglich buchbar – auf Wunsch im Monats- oder Jahresabo. In diesem Geschäftsmodell sehen mittlerweile viele Autobauer eine zusätzliche Einnahmequelle.

Bei der Bedienung sind dem ID.3 aber einige Macken geblieben. Dazu zählen die unbeleuchteten Slider für die Temperatur- und Lautstärkenreglung, die nach wie vor zu sensibel reagierenden Sensortasten am Multifunktionslenkrad sowie der fehlende klassische Lautstärkenregler. Dafür funktioniert die Sprachsteuerung, die mit "Hey ID" aktiviert wird, weitestgehend verlässlich. Häufig muss dennoch der Touchscreen herhalten, bei dem die Menüstruktur überarbeitet wurde. So befindet sich nun immerhin das Lademenü auf der ersten Ebene. Dennoch lenkt das System nach wie vor vom Verkehrsgeschehen ab. Das 5,3 Zoll große bzw. kleine Fahrer-Display ist zwar übersichtlich gestaltet. Hier wäre es aber wünschenswert, dass man auch den Gesamt- und Tageskilometerstand ablesen könnte. Viel Lob verdient hingegen das optional erhältliche Augmented-Reality-Head-up-Display, das Infos wie Geschwindigkeit oder Navigationsanweisungen direkt in die Windschutzscheibe spiegelt. 

Fahren

Dass die VW-Ingenieur:innen bei Abstimmung, Lenkung, Fahrwerk und Co. ihr Handwerk verstehen, haben sie bereits beim Vor-Faceliftmodell bewiesen. Hier bestand also wenig Handlungsbedarf. Gleiches gilt für den Antrieb, für den im Testwagen ein 150 kW (204 PS) starker Heckmotor, der seine Kraft an die Hinterachse überträgt, verantwortlich zeichnete. Da das Drehmoment von 310 Nm E-Auto-typisch ab der ersten Umdrehung bereitsteht, geht es zwar nicht brutal, jedoch ansatzlos und nachdrücklich nach vorne. Für den Sprint von 0 auf 100 km/h braucht der rund 1,8 Tonnen schwere ID.3 7,3 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit wird zugunsten der Reichweite auf 160 km/h begrenzt. Nicht minder bemerkenswert ist, wie leise der kompakte Stromer fährt. Selbst das von vielen E-Autos bekannte Surren des Elektromotors ist kaum zu hören. Abroll- und Windgeräusche werden erst bei höherem Tempo schlagend, halten sich aber auch da in Grenzen. Insgesamt hat VW den ID.3 eher straff abgestimmt. Dieser Eindruck wurde durch die am Testwagen aufgezogenen 20 Zoll Räder weiter verstärkt. In der Stadt könnte er durchaus etwas komfortabler ausgelegt sein. Hier schafft aber auf Wunsch das optionale Adaptivfahrwerk Abhilfe. 

Verbrauch und Reichweite

Als Energiequelle dient eine 58 kWh Batterie, die an Schnellladestationen mit bis zu 120 kW geladen werden kann und laut Hersteller eine WLTP-Reichweite von bis zu 429 Kilometer ermöglichen soll. Den Normverbrauch gibt VW mit 15,2 kWh auf 100 km. Im Test haben wir diesen Wert nicht ganz erreicht. Für eine rund 270 km lange Fahrt von Wien ins östliche Oberösterreich ohne nachladen, wobei der Tempomat auf der Autobahn auf 130 km/h eingestellt war, hat es jedoch locker gereicht. Bevor es zurück nach Wien ging, haben wir den ID.3 auch Überland und im Stadtgebiet bewegt. Insgesamt kamen wir auf einen Verbrauch von 17,3 kW auf 100 km, was ein guter Wert ist. Wenn man die volle Performance ständig abruft und auf der Autobahn schneller fährt, oder es starke Minusgrade hat, ist der Akku natürlich deutlich rascher leer. Wir haben das Fahrzeug im Test so bewegt wie ein "normales" Auto. Und da liegt die realistische Reichweite bei normalen Temperaturen bei rund 370 Kilometer.

Was beim effizienten Fahren hilft, ist die sehr gut abgestimmte Rekuperation, deren Stärke man über den Wählhebel (B-Modus) beeinflussen kann. Das ist aber nicht notwendig, denn die automatische Einstellung, die Navi-, GPS- und Sensordaten nutzt, funktioniert derart souverän, dass es in manchen Situationen fast gespenstisch wirkt. So wird die Geschwindigkeit vor Ortseinfahrten, Kreisverkehren oder vorausfahrenden Autos stets nahezu perfekt und äußerst harmonisch reduziert. Die dabei zurückgewonnen Energie (Rekuperation) fließt wieder in den Akku zurück. Um das Laden komfortabler zu machen, unterstützt der ID.3 nun die sogenannte "Plug & Charge"-Technologie, bei der sich das Auto - wie bei Teslas Superchargern - an der Ladesäule selbst autorisiert und der Ladevorgang automatisch startet. Zudem ist der überarbeitete Stromer für bidirektionales Laden vorbereitet.

Kosten (Richtigstellung*)

Trotz der vielen Verbesserungen und der erweiterten Serienausstattung ist der ID.3 beim Anschaffungspreis nach wie vor keine Okkasion. Dieses Schicksal teilt er sich aber mit vielen Elektroautos. Unseren Testwagen mit 58 kWh Batterie und 150 kW Leistung gibt es ab 40.990 Euro*. Hier ist der E-Mobilitätsbonus des Importeurs noch abziehbar, was den Preis auf 38.590 Euro reduziert. Wer die Voraussetzungen erfüllt, kann zudem die staatliche Förderung abziehen und landet damit bei 35.590 Euro. Zum Vergleich: Tesla verlangt für das günstigste Model 3 nach mehreren Preissenkungen aktuell 42.990 Euro (hier kommen noch knapp 1.000 Euro Ziel- und Behördengebühr oben drauf) und BYD hat den Einstiegspreis des Atto 3 soeben auf 34.980 Euro (da sind die Importeurs- und staatliche Prämie bereits eingerechnet) reduziert. Und Skoda verkauft den deutlich größeren Enyaq IV, der ebenfalls auf dem MEB basiert, ab 39.980 Euro (Stand: 17. Juli 2023) - aber mit schwächerem Motor. Die auf der selben Stellantis-Mischplattform stehenden Opel Astra Electric und Peugeot e-308 sind ab Sommer bestellbar und werden - wie ein Blick nach Deutschland zeigt (dort gibt es bereits die Preise) - rund 45.000 Euro (ohne Förderung) kosten. Die Unterhaltskosten sind bei Elektroautos generell günstiger als bei Verbrennern und wer zuhause laden kann, fährt auch bei den Energiekosten - trotz gestiegenen Strompreisen -, preiswerter.

Für den ID.3 spricht, dass er in Europa produziert wird - derzeit in Zwickau und Dresden. Zudem startet ab Herbst die Produktion im VW-Stammwerk Wolfsburg. So werden europäische Arbeitsplätze gesichert. Das Tesla Model 3 (für den österreichischen Markt) oder der BYD Atto 3 laufen hingegen in China vom Band. Skoda fertigt den Enyaq aber ebenfalls in einem unserer Nachbarländer - im tschechischen Stammwerk in Mlada Boleslav. Die kompakten Stromer von Opel und Peugeot laufen ebenfalls in Europa vom Band.

www.volkswagen.at

*Hier war im Bericht zunächst zu lesen, dass bei den 40.990 Euro der Importeursbonus bereits eingerechnet sei. Das ist aber nicht der Fall. Nach Abzug des Importeursbonus sinkt der Preis des ID.3 mit 58 kWh Batterie und 150 kW Leistung auf 38.590 Euro, inklusive staatlicher Förderung auf 35.590 Euro.

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV