Wie kann sich Österreich bei totalem Gasstopp vor einer Rezession schützen?

| Tobias Seifried 
| 20.07.2022

Expert:innen fordern Masterplan für Versorgungssicherheit. Ansonsten könnte der Unmut in der Bevölkerung extreme Ausmaße annehmen.

Die wirtschaftlichen Aussichten haben sich seit der letzten Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) weltweit eingetrübt. Dies hat auch Folgen für die erwartete Erholung in Österreich. Vorlaufindikatoren deuten auf eine Konjunkturabschwächung hin, die 2022 vorwiegend die Industrie betreffe, so das WIFO in seiner aktuellsten Prognose. Dagegen werde der Tourismus 2022 überproportional zum Wirtschaftswachstum beitragen. Nach +4,8 Prozent im Vorjahr erwartet das WIFO in Österreich für 2022 und 2023 ein reales BIP-Wachstum von 4,3 Prozent bzw. nur noch 1,6 Prozent.

Bei Gasstopp droht Rezession

Der Aufschwung der Weltwirtschaft wird in beiden Prognosejahren durch mehrere Faktoren gedämpft. Dazu zählen die Nachwirkungen der COVID-19-Krise, der Ukraine-Krieg, der fortgesetzte Preisauftrieb, anhaltende Unterbrechungen der Lieferketten und die Straffung der Geldpolitik durch die Zentralbanken. Jeder dieser Faktoren könnte bereits für sich genommen die globale Expansion beeinträchtigen. Im aktuellen Umfeld treten sie jedoch gemeinsam in Erscheinung. Infolgedessen dürfte sich das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamen.

Sollte Russland tatsächlich den Gashahn komplett zudrehen, rechnen einige Expert:innen sogar mit einer Rezession. Vor einer solchen warnt auch der Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Karlheinz Kopf, hinsichtlich der derzeitigen Diskussion rund um die Folgen der Sanktionen gegen Russland: "Europas und insbesondere Österreichs und Deutschlands Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung hängen maßgeblich an der Gasversorgung aus Russland. Wer diese, aus nachvollziehbaren humanitären, völkerrechtlichen und demokratiepolitischen Motiven aufs Spiel setzt, sollte Alternativen an der Hand haben bzw. sich entschlossen um solche kümmern".

Kopf drängt auf rascheste Umsetzung

Aus jetziger Sicht werde Österreich auch im Jahr der angestrebten Klimaneutralität 2040 für verschiedene Erzeugungsprozesse noch Gas brauchen und das voraussichtlich in etwa im selben Umfang wie derzeit. Zu hoffen sei jedoch, dass es zukünftig kein Erdgas mehr, sondern Wasserstoff und Biomethan sein werde. Kopf: "Auf dem Weg dorthin wird allerdings Erdgas eine unverzichtbare Brückentechnologie bleiben. Wenn dieses, bis dahin weiterhin benötigte Erdgas, nicht mehr aus Russland kommt - und damit ist jederzeit zu rechnen - müssen kurz- und mittelfristige Alternativen sichergestellt sein. Sonst steuern wir wirtschaftlich, aber daraus folgend auch sozial, auf düstere Zeiten zu."

Aus Sicht des WKÖ-Generalsekretärs zeige sich, dass vor allem jene, die auf europäischer Ebene am vehementesten an der Sanktionsschraube gegen Russland gedreht haben, entweder die geringste Gasabhängigkeit von Russland, oder die Folgen eines möglichen Gaslieferstopps nicht mitbedacht hätten. "Österreich hingegen wurde für seine Mahnungen zur Vorsicht von anderen ständig als zögerlich und zu 'russlandfreundlich' kritisiert. Keiner der Kritiker hat der Bevölkerung jeden möglichen Preis für diese harte Haltung umfänglich offen genannt", so Kopf.

Um der drohenden Rezession aus einem gänzlichen russischen Gaslieferstopp zu entgehen, müsse raschest jede alternative Beschaffungsmöglichkeit genutzt werden, wobei Österreich in Bezug auf Intensität und Geschwindigkeit seitens des zuständigen Ministeriums noch Luft nach oben habe, so Kopf vor wenigen Tagen in einer Aussendung. Und das gelte auch für die Bereitschaft, über den eigenen ideologischen Schatten zu springen, wenn es um mittelfristig hilfreiche bzw. notwendige Infrastrukturmaßnahmen gehe. Aber dieselben Personen und Organisationen, die der Wirtschaft ständig das "Ausrollen des roten Teppichs für Putin" vorwerfen, würden gleichzeitig z.B. die Überlegungen, heimische Gasreserven zu fördern oder Produktions- und Leitungsinfrastruktur im "übergeordneten staatlichen Interesse" rasch auszubauen verteufeln und permanent genau dies zu verhindern versuchen, so der Generalsekretär der WKÖ.

"Bio-Fracking"

In der Politik mehrten sich zuletzt die Stimmen, die sich für ein Anzapfen der heimischen (Schiefer-)Gasreserven aussprechen beziehungsweise gegen ein striktes Denkverbot sind. Dies soll jedoch über sogenanntes "Bio-Fracking" erfolgen. Die Montanuniversität Leoben hat nämlich eine Methode entwickelt, bei der bei der Förderung von Schiefergas keine schädliche Chemie eingesetzt wird. Diese umweltschonende Erdgasförderung hat sich die Hochschule auch patentieren lassen. In der aktuellen Notsituation würde aber selbst das nicht weiterhelfen. Denn bis über diese Methode hierzulande Gas gefördert werden könnte, würde es bis zu fünf Jahre dauern. Das mussten auch die Forscher:innen der Montanuni eingestehen. Und auch die OMV zeigte sich zuletzt bezüglich der Gasreserven im Weinviertel zurückhaltend bzw. wenig eigeninitiativ. Solange die Republik keinen Auftrag erteile, werden wir das Projekt nicht wieder aufnehmen, so der Energiekonzern.

Masterplan für Versorgungssicherheit

Auch die chemische Industrie fordert ein umfassendes Gas-Krisenmanagement und einen Masterplan für Versorgungssicherheit. Der von der Europäischen Kommission am Mittwoch vorgestellte Notfallplan gehe auf das Worst Case Szenario eines Gaslieferstopps ein. Und auch in Österreich müsse nun ein strukturiertes und breites Krisenmanagement aufgestellt werden, um das Land bestmöglich auf den Ernstfall vorzubereiten. Es brauche dabei ein Gesamtkonzept mit aufeinander abgestimmten Maßnahmen sowie eine offene und transparente Krisenkommunikation. "Wir regen einen umfassenden Masterplan an, wie die Gasversorgung in Österreich in den nächsten Monaten und darüber hinaus gesichert werden soll. Je besser wir für den Winter aufgestellt sind und die Menschen in die notwendigen Schritte einbeziehen, desto stärker bleibt der Zusammenhalt der westlichen Staaten gegen die russische Aggression," so Hubert Culik, Obmann des Fachverbandes der Chemischen Industrie.

Dieser Masterplan müsse sämtliche relevante kurz- und mittelfristige Aspekte umfassen, beispielsweise eine fundierte Mengenplanung - sowohl bei Gas als auch alternativen Energieträgern wie Heizöl oder Biomasse - gemeinsam mit Einsparmaßnahmen. Genauso müssten weitere rechtliche Begleitmaßnahmen etwa zu finanziellen Unterstützungen und Emissionsregelungen erarbeitet werden. Und schließlich seien detaillierte Notfallpläne für das Worst Case Szenario erforderlich.

Fazit

Eine echte Alternative Österreich schnell vom russischen Gas unabhängig zu machen, gibt es den meisten Expert:innen zufolge nicht. Dennoch müssen die Entscheider:innen auf nationaler und europäischer Ebene alles daran setzen, dass einzelne Länder in keine Rezession schlittern. Denn laut diversen Kommentator:innen des politischen Geschehens könnte der Unmut dann auch in der Bevölkerung anderer EU-Länder Ausmaße erreichen, wie wir sie von den Gelbwestenprotesten in Frankreich kennen.

www.wko.at

www.wifo.ac.at

www.unileoben.ac.at

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