Matthias Winkler im exklusiven Interview: "Es sind leider nicht alle Arbeitsplätze haltbar"

Der CEO der Sacher Hotels Betriebsgesellschaft mbH sprach mit LEADERSNET über den Balanceakt zwischen Kündigungen und Kurzarbeit, die besondere Situation der Stadthotellerie, und wie ein Familienbetrieb wie das Sacher aus der Krise kommt.   

Städtetourismus ist in Zeiten von Corona wenig gefragt. Die Sacher-Hotels müssen nun Maßnahmen setzen und haben angekündigt, 140 Mitarbeiter kündigen zu müssen. LEADERSNET hat mit Matthias Winkler, CEO der Sacher Hotels Betriebsgesellschaft mbH, über die Situation der Wiener Stadthotellerie, wie er versucht, drastische Einschnitte wie die anstehenden Kündigungen so sozial und verantwortungsvoll wie möglich zu gestalten, und was er sonst noch tun muss, um schnellstmöglich aus der Krise zu gehen, gesprochen. 

LEADERSNET: Wie steht es um die aktuelle Situation der Wiener Stadthotellerie im Corona-Geschehen?

Winkler: Der Tourismus weltweit, so auch in Österreich, ist massiv von der Krise betroffen. Die internationalen Gäste fehlen, das kann auch der stärkere Inlandstourismus nicht ausgleichen. Einige wenige Standorte verzeichnen sogar Steigerungen, die meisten aber haben viele Gäste verloren, auch wenn ein paar Tourismus-Photos vom Sommer vermeintlich ein anderes Bild zeichnen.

Die Stadthotellerie ist davon ganz dramatisch betroffen. Auch dieses Bild ist international ident, doch in Wien ganz besonders schlimm. Wien, Salzburg auch, lebt von international Reisenden. Alleine im Sacher stammen normalerweise 92 Prozent der Gäste aus dem Ausland, diese können zum Großteil derzeit gar nicht kommen oder wollen nicht reisen. Daher sind nur rund 10-15 Prozent unserer Zimmer gebucht, rund 40-50 Prozent unserer Sitzplätze in Restaurants, sind reserviert. Das ist zwar besser als noch im Juli, aber immer noch viel zu wenig um wirtschaftlich sinnvoll arbeiten zu können.  

LEADERSNET: Wie sehen die nächsten Monate aus?

Winkler: Der Ausblick auf die kommenden Monate verheißt nichts Gutes, die Entwicklung bleibt auf dem geschilderten Niveau, ist nach wie vor sehr volatil und damit instabil. Je weiter der Blick in die Zukunft schweift, desto unsicherer werden die Prognosen, ganz wesentlich abhängig von den Entwicklungen rund um das Virus. Wir werden 2020 bestenfalls 25-30 Prozent unserer Umsätze erreichen können. Das bedeutet letztlich, dass wir große Verluste machen werden.

LEADERSNET: Wie lange wird diese Krise anhalten?

Winkler: Das wissen wir nicht, ich glaube, es weiß letztlich niemand. Wir wissen aber aus früheren Krisen, dass der internationale Tourismus nach "9/11" oder nach der "Finanzkrise 2008" jeweils 4-5 Jahre gebraucht hat um sich zu erholen. Mit dieser Zeitspanne, 4-5 Jahre, müssen wir also jedenfalls rechnen, denn diese Krise ist nicht nur eine Gesundheitskrise und eine Wirtschaftskrise, es ist jetzt auch eine Vertrauenskrise: es wird lange dauern, bis das Vertrauen in sicheres Reisen wiederhergestellt ist.

LEADERSNET: Kann man ein Fünf-Sterne-Hotel in der Stadt mit einer unter 50-Prozent-Belegung führen?

Winkler: Ich würde sagen, 50 Prozent sind die unterste Grenze, deutlich darunter ist kein wirtschaftlich sinnvoller Betrieb möglich. Nicht bei einem Hotel unserer Größe mit verschiedenen Restaurants und Cafés.

LEADERSNET: Wie planen Sie durch diese Krise zu kommen?

Winkler: Einerseits sind wir ganz besonders unseren Stammgästen für deren Treue dankbar, gleichzeitig müssen wir mit neuen Ideen und neuen Konzepten versuchen, neue Zielgruppen, neue Zielmärkte in Fahrdistanz zu erschließen. Wir haben die Sacher Séparées auferstehen lassen, man konnte eine Suite zum Frühstück, zum Mittag- oder Abendessen mieten. Vom Erfolg waren wir selbst überwältig, mehr als 400-mal konnten wir diese Idee verkaufen. Wir haben besondere Angebote für Wienerinnen und Wiener, derzeit  333 Euro für ein 3-Gang Dinner im Sacher mit anschließender Übernachtung und Frühstück für zwei. Diese Idee, eine Nacht im Hotel in der eigenen Stadt, hat schon in Salzburg toll funktioniert. Diese und ähnliche Konzepte haben wir umgesetzt bzw. bereiten wir gerade vor. Sacher hat nun auch ein Eis, verkauft im Eiswagen und wir denken darüber nach, wie wir Sacher in höchster Qualität nach Hause liefern können.
Es kommt uns jetzt zu Gute, dass wir die Gewinne der letzten Jahre gut investiert haben, mehr als 26 Millionen in das Sacher Wien und mehr als 34 Millionen in das Sacher Salzburg. In beiden Häusern sind wir optisch und technisch am letzten Stand.

LEADERSNET: Andererseits?
    
Winkler: Bei 30 Prozent der Umsätze sind nicht 100 Prozent der Arbeitsplätze haltbar, trotz Kurzarbeit. 70 Prozent aller Kolleginnen und Kollegen können im Sacher bleiben, großteils in Kurzarbeit und trotz geringem Geschäftsaufkommen, aber etwa 25-30 Prozent unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können wir jetzt nicht weiter beschäftigen. Das ist ein drastischer Einschnitt für alle, den wir versuchen so sozial und verantwortungsvoll zu gestalten. Wir haben neben der wirtschaftlichen Verantwortung ja auch eine soziale: Niemand über 50 wird gekündigt, alle Lehrlinge bleiben, alle Kollegen in Eltern- oder Altersteilzeit bleiben und jeder, der uns verlassen muss, bekommt eine freiwillige Abfertigung. Zusätzlich haben wir noch einen Härtefallfonds eingerichtet, um soziale Schieflagen so gut es geht zu vermeiden. Sobald wir es uns wieder leisten können stellen wir die Wiederaufnahme ins Sacher in Aussicht, unter Anrechnung der Vordienstzeiten. Es bleibt aber ein besonders schmerzlicher Einschnitt, den wir lange versuchten zu vermeiden, jetzt ist er unvermeidlich geworden!

Für alle anderen, die bei uns bleiben können, gilt es das Sacher neu starten, mit Optimismus und unternehmerischem Mut, mit viel Innovationskraft nach vorne sehen, dann können wir durch diese Krise kommen - gemeinsam mit treuen Stammgästen und vielen neuen Gästen.  

LEADERSNETFiebermessen, Testen und Co.: Welche Maßnahmen sind zur Bekämpfung der Pandemie und zur Sicherheit der Kunden gesetzt worden?

Winkler: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen Maske, durchgehend, seit wir im Mai aufgesperrt haben. Das war zwar bis vor wenigen Tagen nicht zwingend vorgeschrieben, wir taten und tun es trotzdem, weil uns die Sicherheit unserer Mitarbeiter und unserer Gäste das höchste und wichtigste Gut ist.

Alle Kolleginnen und Kollegen testen regelmäßig einmal pro Woche, auch das zur Sicherheit unserer Gäste. Wir trainieren Abstand, wir waschen und desinfizieren an jeder Ecke, wir haben die Mindestabstände unserer Tische sogar noch vergrößert – alles zur Sicherheit unserer Gäste und Mitarbeiter.

Wir bieten unseren Gästen auch an, sich registrieren zu lassen. Dann könnten wir im Fall des Falles sofort verständigen, sollte sich ein Covid Fall ereignen. Ich selbst komme gerade vom Testen, bzw. habe ein negatives Ergebnis.

LEADERSNET: Gibt es spezielle Ideen für die Wintersaison?

Winkler: Schon im Mai haben wir die Initiative "Schanigarten 365" gestartet, d.h. die Sommerschanigärten sollten im Winter stehen bleiben. Damit können wir unseren Gästen Plätze im Freien anbieten, es kostet die Steuerzahler gar nichts und wir Gastronomen sparen uns die Kosten des Auf- und Abbaus bzw. der Lagerung. In der Zwischenzeit sind die Wirtschaftskammer und das Tourismusministerium aufgesprungen und die Städte haben Zustimmung und Verständnis signalisiert. Wien hat unsere Idee umgesetzt, dafür danken wir den Politikern.

LEADERSNET: Wie gehen Sie mit dem Preisdumping der Wiener Hotellerie um?

Winkler: Es gibt leider immer wieder einzelne schwarze Schafe, die zuerst den Markt und dann bzw. damit sich selbst kaputt machen. Unserer Leistungen sind ja dieselben, unsere Preise eng kalkuliert, wir können im Preis gar nicht nachgeben.

LEADERSNET: Wien ohne Bälle oder mit Maskenbällen? Wie schätzen Sie die Lage ein?

Winkler: So schmerzhaft es klingt, ich kann mir Indoor Großveranstaltungen mit Tanz leider derzeit nicht vorstellen, ich befürchte, es wird keine Bälle geben können. Es müssen aber die Gesundheitsbehörden beurteilen, welches Risiko gehbar ist. Und diese Entscheidung sollte schnellst möglich fallen, damit wir planen können.

LEADERSNET: Muss man die Situation der Stadthotellerie weiterhin als eine Reise ins Ungewisse sehen?

Winkler: Mit Sicherheit ins Ungewisse. Es bleibt auf viele Monate, wahrscheinlich sogar Jahre ein schwieriges Unterfangen. Dennoch ist jede Krise auch eine Chance. Ich will es nicht schönreden, ich versuche nur auch die Möglichkeiten zu sehen. Jene, die schnell und flexibel mit der Krise umgehen, werden bestehen bleiben und Sacher wird dazugehören, dafür arbeiten wir mit allen unseren wunderbaren Mitarbeitern täglich unter schwierigen Bedingungen.

LEADERSNET: Sie wurden bereits an prominenter Stelle als Nachfolgekandidat in der WKO gehandelt. Sind Sie an einer solchen Karriere interessiert?

Winkler: Zu keinem Zeitpunkt hatte ich daran gedacht. Es auch nicht geplant. Es auch nicht gewollt. Und ich habe mit niemandem darüber gesprochen. Ich denke, es gibt viel geeignetere Menschen, die das viel besser können. Das Sacher ist eine große Aufgabe und reicht derzeit für 14 bis 16 Stunden Tage. Dennoch werden wir uns immer wieder mit Ideen einbringen, wir taten das mit Schanigarten 365 und werden es zukünftig vielleicht mit neuen Ladenöffnungszeiten tun.

LEADERSNET: Wie beurteilen Sie den Status quo die staatlichen Milliarden-Hilfskredite betreffend?

Winkler: Das wird leider parteipolitisch zer-diskutiert und ein paar Wutmenschen werden da immer wieder vor den Vorhang gezaubert. Unserer Spitzenpolitik hat sich immer aktiv gemeldet, unsere Tourismusministerin Köstinger und Bundeskanzler Kurz höchstpersönlich, haben sich vor Ort und in zahlreichen Gesprächen ein Bild der Lage gemacht, lange zugehört und die Branche involviert beim Erarbeiten von Lösungen. Natürlich hätte das eine oder andere noch schneller umgesetzt werden können, dennoch haben die Rettungsmaßnahmen ihre erste Hilfe Wirkung erzielt und jetzt geht es darum, wieder gemeinsam, speziell betroffenen Branchen wie dem Tourismus auf die Beine zu helfen und durch die Krise zu bringen. Wir haben nun auch eine "Taskforce Stadthotellerie" mitgegründet, die sich speziell um die Probleme der Stadthotellerie kümmern soll und ein Maßnahmenpaket vorlegen soll, was es zum Überleben gebraucht wird. Letztlich geht es nur gemeinsam: Unternehmen und seine Mitarbeiter, Gäste und Kunden, der Staat und seine Rahmenbedingungen. Um diesen wirtschaftlichen Schulterschluss geht's genau jetzt. Gelingt dieser, wird die Krise eine Chance gewesen sein. (jw)

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