Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Österreichs Problem mit der Teilzeitarbeit

| Redaktion 
| 01.06.2025

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria. 

Die EU hat kürzlich offiziell bestätigt, was wir in Österreich leider schon lange wissen: Unser Land liegt beim Wirtschaftswachstum im EU-Vergleich auf dem letzten Platz. Besonders alarmierend ist das, weil allen – von links bis rechts – bewusst ist, dass nur durch wirtschaftliches Wachstum unser Sozialstaat, das Bildungssystem, die Schuldentilgung und der bisherige Wohlstand gesichert werden können.

Die neue – gerne auch als "Zuckerlkoalition" titulierte – Bundesregierung bemüht sich sichtlich um einen Sparkurs. Doch ehrlicherweise wird dieser zu einem Drittel durch neue Steuern finanziert. Große, dringend notwendige Reformen – etwa in den Bereichen Pensionen, Gesundheit und wirtschaftliche Anreize – lassen bislang auf sich warten. Eine dieser überfälligen Reformen betrifft die überbordende Teilzeitarbeit.

Teilzeitarbeit ist im Vergleich zur Vollzeitarbeit für die Wirtschaft nicht nur in steuerlicher und abgabenrechtlicher Hinsicht teurer, sondern verursacht auch mehr Aufwand in Verwaltung und Organisation. Für das Sozialsystem bedeutet Teilzeitarbeit eine geringere Beitragsleistung bei gleichzeitig vollem Leistungsanspruch – etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung. Langfristig gesehen droht den Betroffenen Altersarmut, was wiederum die öffentlichen Kassen belastet. Es besteht breiter volkswirtschaftlicher Konsens, dass ein Anstieg der Erwerbsbeteiligung – vor allem, wenn auch das tatsächliche Arbeitsvolumen steigt – das Wirtschaftswachstum fördert.

In Österreich hingegen führt vor allem der Anstieg der Teilzeitquote bei Frauen zwar zu einer statistisch höheren Erwerbsbeteiligung, nicht aber zu einer realen Erhöhung der geleisteten Arbeitsstunden. Lassen Sie mich zur Veranschaulichung einige Fakten anführen:

Im Jahr 2023 arbeiteten rund 30 Prozent der Erwerbstätigen in Österreich in Teilzeit – das ist die zweithöchste Quote in der gesamten EU. Besonders auffällig ist der Geschlechterunterschied: Etwa 51 Prozent der Frauen waren in Teilzeit beschäftigt, bei den Männern hingegen nur rund 14 Prozent. Zum Vergleich: Der EU-Durchschnitt liegt bei 29 Prozent für Frauen und 8 Prozent für Männer. Diese Zahlen offenbaren ein strukturelles Problem.

Was müsste also geschehen, um die Anreize für Teilzeitarbeit volkswirtschaftlich sinnvoll zurückzufahren?

1. Steuer- und Abgabenreform

Das derzeitige Lohnsteuer- und Abgabensystem wirkt demotivierend. Aufgrund der hohen und steilen Progression lohnt sich Mehrarbeit für viele schlicht nicht. Es braucht daher mehr Netto vom Brutto. Ein Beispiel: Wenn eine Teilzeitkraft ihre Arbeitszeit um 50 Prozent erhöht, erhält sie nicht 50 Prozent mehr Nettogehalt, sondern lediglich rund 32 Prozent – einer der schlechtesten Werte in der EU.

2. Senkung der Lohnnebenkosten

Eine Entlastung bei den Lohnnebenkosten würde sowohl Arbeitgeber:innen als auch Arbeitnehmer:innen motivieren. Dazu zählt auch, Arbeit über das reguläre Pensionsalter hinaus steuerlich attraktiver zu gestalten. Ein heikler, aber wichtiger Diskussionspunkt betrifft die Frage, wie solidarisch unser System langfristig sein kann – etwa, wenn jemand nur 10 Stunden pro Woche arbeitet, aber vollen Versicherungsschutz genießt, während andere jahrzehntelang 40 Stunden wöchentlich einzahlen. Ich bin überzeugt, dass das Solidaritätsprinzip weiterhin Gültigkeit haben muss, aber wir sollten es bewusst diskutieren.

3. Ausbau der Kinderbetreuung

Zentral ist der massive Ausbau von qualitätsvoller, flächendeckender Kinderbetreuung – idealerweise mit einem gesetzlichen Anspruch. Ohne ausreichende Betreuungseinrichtungen wird Vollzeitarbeit für viele Eltern, insbesondere Mütter, kaum realisierbar. Auch die Dauer und finanzielle Ausgestaltung der Elternzeit gehört auf den Prüfstand. Derzeit bietet Österreich eine lange, finanziell ausgeglichene Karenz von bis zu zwei Jahren – eine europaweit nahezu einzigartige Regelung. In Deutschland gibt es bis zu drei Jahre, allerdings mit reduziertem Elterngeld. In Spanien können Eltern zwar ebenfalls drei Jahre zuhause bleiben – jedoch ohne Bezahlung. In Frankreich existiert ein ähnliches Modell mit sehr niedriger finanzieller Unterstützung. Österreich müsste hier ein wirtschaftlich tragfähiges Gleichgewicht finden.

4. Reform des Kinderbetreuungsgeldes

Das System der verschiedenen Kinderbetreuungsgeld-Modelle – wie es in Österreich und Deutschland existiert – verdient eine kritische Analyse. Obwohl das Argument der Wahlfreiheit zwischen häuslicher Betreuung und Kindergarten oft angeführt wird, führen diese Förderungen vielfach zu einer finanziellen Abhängigkeit, meist der Mutter. Der Wiedereinstieg in den Beruf gelingt dann häufig nur in Teilzeit, was die eingangs erwähnten Probleme wiederum verstärkt. Diese Förderinstrumente sollten einer umfassenden Evaluierung unterzogen werden.

5. Weiterbildung und Fokus auf Vollzeitarbeit

Schließlich bedarf es eines kontinuierlichen, gezielten Weiterbildungsangebots, das die Arbeitskräfte – insbesondere nach einer längeren Auszeit – befähigt, wieder voll ins Berufsleben einzusteigen. Programme, die auf Vollzeitarbeit abzielen, sollten dabei klar priorisiert werden.

Es ist mir bewusst, dass viele dieser Themen emotional belegt sind – sei es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Dauer der Elternzeit oder die Debatte um die sogenannte "Herdprämie". Doch wenn wir an der aktuellen Entwicklung nichts ändern, wird sich auch die Teilzeitquote nicht ändern – mit weitreichenden Folgen für das Wachstum, das Sozialsystem und letztlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Wir müssen uns daher fragen: Können wir uns diesen Status quo als Gesellschaft noch leisten? Und was können und müssen wir als Unternehmen, aber auch jede und jeder Einzelne beitragen, um eine nachhaltige Veränderung zu bewirken?

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