Es ist ein überaus unbequemes Thema – eines, vor dem in Österreich oft zurückgeschreckt wird. Jedenfalls ist das mein Eindruck. Es handelt sich um ein Thema, das schnell Emotionen hochkochen lassen kann. Und es scheint so, dass die Angst vor Veränderung zu groß ist. Ein Motto, das in Stein gemeißelt zu sein scheint: "Einfach weiter so, geht schon."
Doch gerade das ist das Problem. Das geht sich nicht mehr aus, wie man hierzulande so schön kundtut. Aber nun ist es wirklich an der Zeit, Klartext zu sprechen. Ich möchte es hier ganz deutlich machen: Wir brauchen in Österreich eine ehrliche, tiefgehende und zielführende Diskussionskultur. Die Bereitschaft, verschiedene Standpunkte zu vertreten, eine Meinung zu haben.
Im Moment klafft dort, wo eine konstruktive Debatte notwendig wäre, eine riesige Lücke auf. Und diese Lücke versucht man so schnell wie möglich zuzuschütten – mit einer Abwürgekultur, die hierzulande durchaus gepflegt und gehegt wird. Nur nicht diskutieren. Stopp, schnell weiter zum nächsten Thema – am besten zu einem Wohlfühlthema.
Das Problem ist aber, und davor sollte niemand die Augen verschließen: Ohne Diskurs keine Entwicklung, und ohne Entwicklung kein Fortschritt. In kaum einem anderen europäischen Land scheint die Angst und Scheu vor einer offenen Diskussion so ausgeprägt zu sein wie hier in Österreich. Dabei geht es nicht um Provokation, ganz im Gegenteil, sondern um ein gemeinsames Finden von Antworten. Antworten auf Fragen, die unsere Zukunft betreffen.
Von Neutralität und anderen Heiligtümern
Nehmen wir die sogenannte immerwährende Neutralität – Österreichs heilige Kuh. Kaum ein Begriff wird in der heimischen Politlandschaft so oft genannt und gleichzeitig so selten hinterfragt. Bei jedem Jubiläum, bei jeder außenpolitischen Debatte, ja selbst bei Bedrohungen wird sie wie ein heiliger Gral vor sich hergetragen.
Dabei ist die Neutralität rechtlich längst nicht so in Stein gemeißelt, wie viele meinen. Sie ist in einem Bundesverfassungsgesetz verankert, zählt jedoch nicht zu den Grundprinzipien der Verfassung. Und doch: Eine Diskussion darüber ist in Österreich nahezu unmöglich. Warum ist das so? Warum dürfen wir nicht einmal hinterfragen, was diese Neutralität heute bedeutet? Ob sie uns schützt oder vielmehr blockiert? Ob sie zur sicherheitspolitischen Realität passt oder ein historisch-romantisches Relikt ist? Einige Länder setzen sich offen mit ihrer Sicherheitspolitik auseinander. Österreich hingegen versteckt sich – nicht hinter Argumenten, sondern hinter Tabus.
Denkverbote
Dass Österreich eine ungenutzte Kraftwerksruine in Zwentendorf stehen hat, wissen die meisten. Dass seit der Volksabstimmung 1978 jegliche Diskussion über Atomkraft im Keim erstickt wird, ist leider ebenso bekannt. Ich selbst bin kein Befürworter der Atomkraft, aber ich bin ein Verfechter von offenen und ehrlichen Diskussionen. Und genau diese findet hierzulande kaum statt. Weder zur Versorgungssicherheit noch zu den Herausforderungen der Energiewende, noch zur Frage, wie wir langfristig unabhängig von fossilen Energiequellen werden wollen. Warum ist das eigentlich so?
Nur bis zur Landesgrenze
Ein weiteres Beispiel ist das Verhältnis zu Deutschland. Kaum wird ein Vergleich mit Deutschland gezogen, folgt eine sofortige Abwehrhaltung: "Wir sind nicht Deutschland!" – am besten intoniert mit drei Ausrufezeichen!!!
Kritik am eigenen Land? Wird sofort mit Verweis auf die Probleme der Nachbarn abgetan. Eine Auseinandersetzung? Fehlanzeige. Ist es Stolz? Ist es Unsicherheit? Oder schlicht eine unendliche Unlust an Selbstreflexion?
Was ich damit sagen will: In Österreich herrscht kein Mangel an Problemen, aber ein Mangel an Debatten. Es wird ausgewichen, verschoben, heruntergespielt, man versteckt sich hinter altbewährten Mustern. Und wer es doch wagt, wird rasch in eine Ecke gestellt, vielleicht als Besserwisser:in oder als Panikmacher:in.
Es braucht jedoch Mut zur Kontroverse und es braucht Mut zu Diskussionen. Beispielsweise über unser Pensions- oder Sozialsystem. Über die Bildung, die statt auf Zukunft auf Stillstand setzt.
Der schwierigste Teil ist, wie so oft, der gesellschaftspolitische. Wir müssen lernen, Meinungen auszuhalten und Argumente zuzulassen. Nicht jede:r, der:die eine unbequeme Frage stellt, will gleich das System stürzen. Und nicht jede Kritik ist ein Angriff. Es geht darum, gemeinsam etwas zu bewegen. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir weiterhin auf Sicht fahren und aus dem Tunnel nicht hinauskommen. Damit riskieren wir auch, dass uns der Wandel überrollt. Die Welt dreht sich weiter, und zwar schneller denn je. Wer stehen bleibt, fällt zurück.
Ich weiß, dass das alles jetzt unbequem klingt, aber genau das ist der Punkt. Diskussionen sind oft unbequem, sie sind fordernd, sie zwingen zum Denken. Aber sie sind der einzige Weg, um nicht nur die Gegenwart mit historischen Artefakten zu verwalten, sondern die Zukunft aktiv zu gestalten.
Ich könnte die Beispiele fortsetzen, aber die Frage ist eine andere: Warum werden in Österreich oft Diskussionen abgewürgt? Vielleicht wissen Sie es, meine geneigten Leser:innen – und ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie mir helfen könnten, eine Antwort darauf zu finden. Lassen Sie uns den ersten Schritt machen. Denn eine echte Neutralität und eine echte Unvoreingenommenheit brauchen wir vor allem in der Diskussionskultur und nicht in der Verweigerung von Debatten.
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