Gastkommentar
Von Wahlzuckerln und bitteren Pillen

| Redaktion 
| 03.03.2024

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Die österreichische Sprache verfügt über einige wirklich sehr schöne Ausdrücke, bei denen das in Deutschland geschulte Ohr hellhörig wird. Aktuell kursiert regelmäßig eines davon in den Medien, nämlich das Wahlzuckerl! Nun ist davon auszugehen, dass die meisten meiner geneigten Leser:innen wissen, worum es sich dabei handelt, aber lassen Sie es mich bitte für meine deutschen Landsleute kurz erklären. Es beschreibt zum Glück keine nervösen Zuckungen, die einen angesichts der anstehenden Wahlen durchlaufen könnten, nein. In Anlehnung an das artverwandte Bonbon wollen wahlwerbende Parteien oder Personen mithilfe von Wahlzuckerln bestimmte Wähler:innenschichten zu ihren Gunsten beeinflussen.

Wahlzuckerl wirken sich negativ aus

Anders gesagt: das Wahlzuckerl ist ein – meistens auf dem Einsatz von Steuergeld begründetes – Versprechen, welches einzelnen Gruppen Vorteile in Aussicht stellt, sei es durch Änderung oder Umsetzung von Gesetzen oder das Ankündigen von Förderungen. Und so verführerisch süß der Begriff Wahlzuckerl auch ist, analog zur Auswirkung von zu vielen Zuckerln auf die Zähne wirken sich Wahlzuckerl in den meisten Fällen negativ auf den Staat, die Staatsverschuldung somit für alle Bürger:innen aus.

Erst kürzlich schlugen etwa die Sozialpartner zur Lösung der Eigenheim- und Wohnungsbaukrise vor, den Häuslebauern bis zu 100.000 Euro zu schenken. Nun ja, wer wäre über ein solches Geschenk nicht entzückt? Dass der Staat sich dies eigentlich nicht leisten kann, steht auf einem anderen Blatt. Diese Idee war jedenfalls mehr als nicht durchdacht. Wenn man von durchschnittlichen Kosten von 200.000 bis 500.000 Euro für eine Wohnung ausgeht, so muss für das selbst errichtete Eigenheim noch viel mehr kalkuliert werden. Wer dies zuvor nicht finanzieren konnte, der kann auch mit 100.000 zur Verfügung gestellten Euros keine weiteren 300.000 bis 700.000 Euro aufstellen, weil die strikten Vergaberegeln für Kredite dies verunmöglichen. Ich denke, ohne hier weiter in die Tiefe zu gehen, ist klar, worauf ich hinauswill. Der österreichische Staat hat sich zum Glück auf diese konkreten Ideen nicht eingelassen, hat aber doch ein 1 Milliarde Euro schweres "Wohnbaupaket" angekündigt.

Weitere Beispiele gefällig? Denken wir etwa an die Renten(=Pensions-)erhöhung von 9,7 Prozent, oder an Subventionen für Landwirte, Strompreisbremse, Energiekostenzuschüsse und vieles andere mehr. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass sich jede einzelne bedachte Gruppe über Erhöhungen, Zuschüsse, Förderungen oder Erleichterungen freut. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass diese Freude meist nicht lange währt, denn dafür bezahlen müssen – spätestens nach der Wahl – wir alle. Allein deshalb sollte man sich vor allzu schön verpackten Geschenken in Acht nehmen, denn sie könnten vergiftet sein – das wusste schon meine Großmutter. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch durchaus attestieren, dass – vor allem seit Corona – viele Unternehmen von der "Droge" Subventionen begeistert sind und sicherlich bei jedem kleinen Wehwehchen nach der Politik um Hilfe schreien.

Bittere Pillen

Was kann nun aber der:die Einzelne dagegen ausrichten? Wir alle, Bürger:innen wie Unternehmer:innen, sollten darauf drängen, dass die Parteien bis zum Ende der Legislaturperiode, für die sie von uns gewählt wurden, solide arbeiten. Wir sollten viel stärker einfordern, dass sie sich nicht stattdessen schon Monate vorher in einen Wettkampf der Parteien werfen, dessen scheinbarer Zweck es ist, sich gegenseitig mit Wahlgeschenken zu übertrumpfen. Wahlgeschenke, die sich ohnehin größtenteils als nicht realisierbar und sinnlos entpuppen. Wir müssen selbst Vorsicht walten lassen, mehr Eigenverantwortung übernehmen, nicht einfach nach dem Staat schreien und uns nicht von schönen (und meist leeren) Versprechungen blenden lassen, sondern wir sollten die Parteien an ihren tatsächlichen Programmen messen und dem, was sich damit realisieren ließe oder eben nicht.

JTI Austria blickt im heurigen Jubiläumsjahr auf 240 Jahre Unternehmensgeschichte und Tradition der Austria Tabak zurück. Dies können wir nur, weil wir es immer schon verstanden haben, kurzfristigen Versuchungen – und seien sie noch so süß – zu widerstehen. Was zählt, sind Werte wie Verlässlichkeit und Stabilität, anstatt Opportunismus und Situationselastizität. Dies sollten sich die Politiker:innen und die wahlwerbenden Parteien vor Augen halten, dass das Einhalten von Vereinbarungen und Versprechen das probatere Mittel gegen Politikverdrossenheit wäre – und nicht das Verteilen von Wahlzuckerln, die sich maximal als bittere Pille erweisen.

www.jti.com


Kommentare auf LEADERSNET geben stets ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors bzw. der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion. Im Sinne der Pluralität versuchen wir unterschiedlichen Standpunkten Raum zu geben – nur so kann eine konstruktive Diskussion entstehen. Kommentare können einseitig, polemisch und bissig sein, sie erheben jedoch nicht den Anspruch auf Objektivität.

Entgeltliche Einschaltung

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV