Verschwendetes Potenzial: "Nur 2,7 Prozent unserer Besetzungen sind jenseits der 55"

| Redaktion 
| 14.11.2023

Gastkommentar von Andrea Bertl, Geschäftsführerin des Recruiting-Marktführers epunkt.

Zu teuer. Zu oft krank. Zu langsam. "Wir Menschen haben das Stereotyp in uns, dass Ältere weniger leistungsfähig sind, dass sie nicht mehr flexibel sind und sich nicht anpassen können", hat es AMS-Vorstand Johannes Kopf kürzlich in der ZIB2 auf den Punkt gebracht. Wie real Altersdiskriminierung in Österreich ist, zeigt eine Studie des Sora-Instituts im Auftrag des AMS: Rund 10 Prozent der Betriebe laden Jobsuchende nicht ein, wenn sie älter als 50 Jahre oder bereits längere Zeit auf Jobsuche sind.

Was mich immer wieder erstaunt: Die demografische Entwicklung der arbeitenden Bevölkerung kennt nur eine Richtung – keine Bevölkerungsgruppe wächst so stark wie die Generation 50+. Eigentlich müssten ältere Arbeitnehmer heiß umworben sein – haben sie doch einerseits die Coolness, die jahrzehntelanger Umgang mit unterschiedlichsten Menschen und Herausforderungen ihnen verleiht und auf der anderen Seite wertvolles Know-how in ihrem Tätigkeitsbereich.

Erst wenn's brennt, gehen die Türen auf

Als Recruitingunternehmen können wir die Herausforderungen für Bewerber 55+ bestätigen. Die "Silver Workforce" kommt so gut wie gar nicht im Wunschprofil der Unternehmen vor. Nur 2,7 % unserer Besetzungen im Jahr 2022 waren Personen dieser Altersklasse. Erst durch Nachhaken, in sehr engen Kandidatenmärkten oder bei der Notwendigkeit eines speziellen Know-hows werden diese Kandidaten zu Gesprächen eingeladen.

Zu teuer, zu oft krank, nicht mehr motiviert, nicht up to date, nicht mehr lernwillig?

Das größte Problem der „Generation Gold" auf Jobsuche hat nichts mit ihren Qualifikationen zu tun. Es besteht aus Stereotypen und überholten Vorurteilen – Unconscious Bias in der Diversity-Dimension Alter, die uns alle einmal betreffen werden. In einer Umfrage haben uns 103 Personalverantwortliche verraten, wie sie zu Age Diversity und der Generation 55+ im Recruiting stehen: Trotz Arbeitskräftemangel sagen 54 Prozent der Betriebe Nein zu Bewerbern jenseits der 55.

Warum? Werfen wir einen (kritischen) Blick auf die Klassiker:

  • Zu teuer: Durch die Anerkennung von Vordienstzeiten in Kollektivverträgen ist das Einkommen älterer Mitarbeiter tatsächlich höher als jenes der jüngeren. Dafür steht wertvolles Know-how zur Verfügung (das als externe Beratungsleistung teuer zugekauft werden müsste).
  • Zu oft krank: Die Statistiken der Krankenkassen sprechen da eine deutliche Sprache. Jüngere sind öfter krank. Wahr ist, dass Ältere länger im Krankenstand sind, wenn es sie trifft, die Zahl der Krankenstandstage sind aber plus/minus identisch.
  • Weniger leistungsfähig: Wer nur auf die körperliche Leistungsfähigkeit schaut, hat Recht: Im Altersverlauf nehmen v. a. unsere sensorischen und motorischen Fähigkeiten ab. Auch die fluide Intelligenz (Informationen schnell verarbeiten, Probleme lösen) lässt bereits ab 35 leicht nach. Aber die kristalline Intelligenz (Wissen, Erfahrungsschatz) nimmt im Verlauf unseres (Berufs-) Lebens zu und kann diesen Abfall kompensieren.
  • Unkündbar: Grundsätzlich kann jeder Arbeitnehmende unabhängig seines Alters nach dem Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) eine Kündigung bei Gericht anfechten, wenn diese sozialwidrig ist. Ein besonderer Kündigungsschutz wie bei Betriebsratsmitgliedern, die nur mit Zustimmung des Gerichts gekündigt werden können, besteht seit 2017 nicht mehr.

Gut gemischt ist halb gewonnen: 5 Gründe, warum Fachkräfte 55+ für Unternehmen Gold wert sind

  1. Je diverser die Belegschaft, desto breiter das Erfahrungsspektrum und umso höher die Produktivität der Teams: Ältere sind Profis für Strukturen und Prozesse, Jüngere bringen neue Ansätze aus Schule und Uni mit. Unterschiedliche Erfahrungen verbessern v. a. bei komplexen Projekten die Arbeitsleistung im Team.
  2. Gegenseitige Kompetenzerweiterung und Know-how-Transfer an konkreten Arbeitsaufgaben: Mit Generationenvielfalt kann Wissensmanagement effektiv betrieben werden. So entstehen wertvolle generationsübergreifende Mentoring-Beziehungen.
  3. Ältere Mitarbeitende verfügen durch ihre Erfahrung oft über weitreichende Netzwerke und eine hohe emotionale Intelligenz.
  4. Eine hohe Fluktuation schadet Firmen finanziell wie auch moralisch. Studien beweisen, dass altersgemischte Teams dafür sorgen, dass generationenübergreifend die Loyalität gegenüber dem Unternehmen ebenso wie die Bereitschaft, lange dort zu bleiben, signifikant steigt.
  5. Die Persona im eigenen Haus: Die Generation 55+ besitzt in Österreich die größte Kaufkraft aller Altersgruppen. Dieses Alterssegment im eigenen Team abzubilden, kann sehr hilfreich dabei sein, diese Zielgruppe zu erreichen.

Die vollständigen Ergebnisse der Umfrage gibt es hier. Sie sind auf der Suche nach erfahrenen Fachkräften? Melden Sie sich gerne bei uns.  

www.epunkt.com  


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