"Ohne 'Trial & Error' gibt es keinen Fortschritt und keinen kreativen Prozess"

| Redaktion 
| 26.10.2023

Im LEADERSNET-Interview spricht Dieter Nemetz, Geschäftsführer von Nemetzguss und Künstler, u.a. darüber, wie seine Erfahrung im Geschäftsleben seine künstlerische Arbeit und umgekehrt beeinflusst, ob es Parallelen zwischen der Führung eines Unternehmens und der Schaffung von Kunstwerken gibt und wie diese Passion seine Mitarbeiter:innen sowie das Unternehmen beeinflusst. 

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Nemetz, wie kamen Sie dazu, sowohl im Geschäftsbereich als auch als Künstler tätig zu sein und wie beeinflusst Ihre Erfahrung im Geschäftsleben Ihre künstlerische Arbeit und umgekehrt?

Dieter Nemetz: Ich kann mit Stift und Papier in der Hand besser denken und mich ausdrücken. Das war schon immer so. Mein Vater war talentierter Zeichner und Ölmaler. Er malte Stilleben, Portraits und die 1901 gegründete Firma Nemetzguss 1974 in Öl. Was mich als Kind optisch und olphaktorisch tief beeindruckte. Ich verwende bis heute allein schon des Geruches wegen ausschließlich Ölfarbe statt Acryl. Als Jugendlicher hab' ich in einer Punkrockband Gitarre gespielt. Für unsere Konzerte und Partys zeichnete ich amüsante Einladungen und Plakate. Nicht immer ganz jugendfrei, aber weiland war man gottlob nicht so hysterisch wie heute.

Ein:e Techniker:in löst Probleme. Ein:e Zeichner:in auch. Sowohl Ingenieur:innen als auch Künstler:innen sind Kreative und keineswegs Antipoden wie vom heute durchpolitisierten Erziehungs-Kulturbetrieb insinuiert.

Wenn ich die Nase voll habe von den Fährnissen des Eisengießens zeichne ich abends ein Portrait oder einen Akt, bin währenddessen kurz entrückt und – wie von Zauberhand - wieder im Reinen mit der Welt....vor allem, wenn die Zeichnung gelingt.

LEADERSNET: Gibt es Parallelen zwischen der Führung eines Unternehmens und der Schaffung von Kunstwerken in Bezug auf den kreativen Prozess?

Nemetz: Ja, selbstverständlich. Des Eisengießers Kernkompetenz ist, 2D Zeichnungen technisch in 3D Eisenteile zu wandeln. Über Modelle und verlorene Sandformen fertigen wir hochwertige Gusskomponenten bis fünf Tonnen Stückgewicht für den europäischen Maschinenbau. Als Zeichner setze ich den reziproken Prozess um, imaginiere und zerlege das Modell oder die Natur in Geometrien und banne sie mit Kontur, Schraffur und Körper aufs 2D Blatt. Beides ist hochzufriedenstellend, weil mit "realem" Ergebnis belohnt. Das macht mich – neben meiner mit drei Töchtern feminin dominierten Familie - zu einem glücklichen Menschen.

LEADERSNET: Wie finden Sie die Balance zwischen Ihrer Rolle als Konzernleiter und Ihrer künstlerischen Tätigkeit? Welche Herausforderungen ergeben sich dabei?

Nemetz: Mit "einem Hintern auf zehn Kirtäg' tanzen" geht nicht, aber auf dreien gelingt's mitunter. Mit Plan, Priorisierung, Kalender und intaktem Freund-Feind-Schema werden Familie, Unternehmen und Kunst zum Holon. Mensch bleiben. Unternehmer:innen und Künstler:innen müssen den Fokus auf den Mensch legen. Nicht als Sozial-Plattitüde, sondern echt. Das spüren Mitarbeiter:innen, Modelle und Publikum.

LEADERSNET: Wie denken Sie, beeinflusst Ihre Kunst Ihre Mitarbeiter:innen und Ihr Unternehmen im Allgemeinen?

Nemetz: Mitunter verschenke ich Portraits und Aktbilder an Mitarbeiter:innen und die meisten sind so nett, so zu tun, als freuten sie sich darüber. Ansonsten fordere ich Kreativität und Humanismus ein und fördere im Unternehmen Lösungsorientierung anstatt Schuldigensuche im Problemfalle. Etwas produzieren zu können ist ein Privileg, das ich mit meinen Leuten teile. In meinem Betrieb wird gemeinsam geschaffen, hart gearbeitet und trotzdem viel gelacht. Das Salz des Lebens.

LEADERSNET: Denken Sie, dass Ihre künstlerische Tätigkeit Ihr unternehmerisches Denken und Ihre Führungsfähigkeiten beeinflusst hat? Wenn ja, wie?

Nemetz: Zeichnungen und Ölbilder misslingen mitunter. Meistens wegen zu detaillierter Ausformulierung, zu viel Perfektionismus, zu langem Herumgedoktere. Mein Mentor – der Maler Florian Jakowitsch, mit dem ich das Vergnügen und die Ehre hatte, jahrelang Akt zu zeichnen und viel Zeit zu verbringen, riet mir zu weniger Gefallsucht. Er sprach von "überschüssigem Können". "Mach' ned so schöne Büdeln, Dieter. Weglassen!". Richtig, aber schwieriger, als es klingt. Locker und flott nach der Natur hingeworfene Skizzen sind stärker und packender als perfekte Zeichnungen. Das trifft auch auf unternehmerische Entscheidungen zu. Es gibt einen idealen Zeitpunkt, wann etwas "reif" ist. Dieser liegt zwischen "zu Ende gedacht" und "spontan".

Fehlentscheidungen sind wichtig. "Der Papierkorb ist dein wichtigster Lehrer!" (Jakowitsch). Mit dem Scheitern muss man zurecht kommen und ehrlich umgehen. Ohne "Trial & Error" gibt es keinen Fortschritt und keinen kreativen Prozess! Heute wird das Scheitern leider schon den Schüler:innen als etwas Übles und - wie Arbeit schlechthin - als etwas zu Vermeidendes abgewöhnt, deshalb gibt es so furchtbar viel mehr Schein als Sein in Politik und Medien. Ein fataler Irrweg, der in Verdummung und Abhängigkeit führt und allerorten Nichtskönner:innen und Blender:innen hervorbringt

LEADERSNET: Was haben Sie aus Ihrer dualen Rolle als Geschäftsführer und Künstler gelernt, das für andere inspirierend sein könnte?

Nemetz: Furor und Gelassenheit.

LEADERSNET: Von welcher Kunstrichtung wird die momentane Wirtschaftslage besonders gut dargestellt?

Nemetz: Vom deutschen Expressionismus. Viel schwarz und viel bunt. Menschliche Technik- und Fortschrittsbegeisterung vor dem Abgrund von Niedergang und Krieg. Zum Teil krude Kapitalismuskritik. Damals mitunter zu Recht. Heute vornehmlich von Nutznießer:innen des von anderen erarbeiteten Wohlstandes im Munde geführt. Die aktuelle europäische Fehlentwicklung zu parasitärer Planwirtschaft, technikfeindlicher Erziehungs-Bürokratie und Verbotskultur erfährt leider kaum künstlerisch-bildnerischen Widerspruch, geschweige denn gebotene Kritik. Es wäre wieder mal Zeit für originäre Kunst. Mehr Freiheit!

www.nemetzguss.at

Franz Siedler
Du bist gut - ich weiß es aufgrund unser gemeinsamen
jahrelangen Maleraktivitäten - und auf dem richtigen Weg!
Gratuliere!!
Bernhard Wieser
Vielen Dank für dieses faszinierende Interview mit Herrn Nemetz! Seine Dualität als Geschäftsführer und Künstler bietet inspirierende Einblicke in die Verbindung von Kreativität und Unternehmertum. Seine Betonung von Menschlichkeit, Kreativität und dem Umgang mit Fehlern ist erfrischend. Wir könnten alle von solchen Perspektiven profitieren.
Bernd Bechtloff
Wunderbar pointiert, Herr Nemetz!
Vielen Dank dafür!

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