"Es ist eine Frage der Zeit, bis auch KMUs sich zum Thema ESG Gedanken machen sollten"

| Dejan Filipovic 
| 17.10.2023

Im LEADERSNET-Interview spricht Michael Dessulemoustier-Bovekercke, Geschäftsführer von Mazars, über die neuen EU-Standards, die ab 2024/2025 verpflichtend werden, worauf Firmen bei ESG-Strategien achten müssen und wie sein Unternehmen den Betrieben in Zukunft unter die Arme greifen kann. 

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Dessulemoustier-Bovekercke, Mazars ist ein internationales Unternehmen, das auf Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und IT Consulting spezialisiert ist. Wo liegt der Unterschied zu anderen Firmen, die vielleicht ein ähnliches Konzept/Modell verfolgen?

Michael Dessulemoustier-Bovekercke: Mazars ist im Gegensatz zu anderen großen internationalen Beratungshäusern kein hierarchisches Unternehmen, sondern eine weltweite Partnerschaft. Dies bedeutet, dass neben gemeinsam gesteuerten Aufgaben, wie beispielsweise Ausbildung und Fortbildung oder Qualitätsmanagement, die Ergebnisse in der weltweiten Partnerschaft geteilt werden. Wir arbeiten daher in vielen Bereichen mit internationalen Teams und können so Spezialist:innen aus unterschiedlichen Standorten in einem Projekt gemeinsam einsetzen. Dies ist ein Teil unseres Verständnisses als internationales Beratungsunternehmen.

LEADERSNET: Durch die Einführung neuer Regularien in verschiedenen Ländern hat das Thema Nachhaltigkeit in der Unternehmenswelt erheblich an Bedeutung gewonnen. Ab dem Jahr 2024 bzw. 2025 werden die neuen EU-Standards zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) für etwa 2.000 Unternehmen in Österreich verbindlich. Was bedeutet das für die KMUs in Zukunft?

Dessulemoustier-Bovekercke: Die veränderten Bestimmungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der CSRD und der ESRS adressieren in einem ersten Schritt große Unternehmen, das sind solche, die in den letzten beiden Jahren mehr als 40 Millionen Euro Umsatz auswiesen und mehr als 250 Mitarbeitende beschäftigten. Ebenso müssen Banken bereits heute diese Vorgaben umsetzen und daher im Rahmen ihres Geschäftes auf ein nachhaltiges Wirtschaften achten. Weiters wird aktuell auf Ebene der EU an einer Lieferketten-Richtlinie gearbeitet. Diese neue Richtlinie, die zwar erst nach 2025 in Kraft treten wird, führt dazu, dass große Unternehmen auch ESG Information von ihren Lieferant:innen einholen werden.

Von Seiten der Banken besteht daher die Erwartungshaltung, dass im Rahmen von Finanzierungen auch KMUs ihre Daten zum nachhaltigen Wirtschaften bekannt geben und von Seiten der großen Industrieunternehmen werden ebendiese KMUs als Zulieferbetriebe genauso gefordert werden, nachhaltiges Handeln in der Lieferkette nachzuweisen.

Aktuell ist daher der österreichische Mittelstand gefordert, seine bedeutsamen Themen und die wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance zu erheben sowie Strategien zu entwickeln, welcher Beitrag zur Erreichung des EU-weiten Klimaziels 2050 geleistet werden kann und darüber ab 2025 auch zu berichten. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis auch mittlere und kleine Unternehmen sich zu diesen Aufgaben Gedanken machen sollten, da sie diese Information für ihre Finanzierungen und ihre Kund:innen bereitstellen müssen.

LEADERSNET: Was passiert, wenn Unternehmen die Verpflichtung zur Berichterstattung nicht ernst nehmen?

Dessulemoustier-Bovekercke: Selbstverständlich wird in den ersten Jahren die Einführung der Berichterstattung und die unternehmensinterne strategische Beschäftigung mit ESG Themen nicht nur einen Aufwand mit sich bringen, sondern auch ein Kostenfaktor sein. Aus unserer Wahrnehmung und Abschätzung der zukünftigen Entwicklung erwarten wir aber erhebliche Nachteile, wenn sich Unternehmen mit den Inhalten der Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht auseinandersetzen.

Einerseits wird die Attraktivität des Unternehmens am Bewerber:innnen-Markt deutlich reduziert, wenn Personen adressiert werden, für die eine Auseinandersetzung mit Umwelt- und Sozialthemen von zentraler Bedeutung ist. Ebenso besteht auch im Bereich der Finanzierung ein Risiko, da zu erwarten ist, dass Banken sehr bald auch von KMUs ESG-Informationen bei der Bemessung der Finanzierungskonditionen erheben werden. Können diese nicht geliefert werden, wird dies eine Auswirkung auf die Konditionen haben.

Andererseits werden sich Unternehmen, die nicht aktiv über ESG Themen berichten, auf Kundenseite gegenüber ihrem:r Mitbewerber:in deutlich schlechter positionieren können und damit geringere Marktmöglichkeiten vorfinden, da sie jene Daten, die für die Berichterstattung über die Lieferkette erforderlich sind, nicht bereitstellen können. Es liegt daher an den Unternehmen und deren Management aus den kommenden Verpflichtungen eine Chance zu machen und damit trotz zu erwartender Kosten den Unternehmenserfolg zu steigern und nicht durch Untätigkeit in eine schlechtere Position zu kommen.

LEADERSNET: Welche Rolle nimmt hier Mazars ein bzw. wie können Sie diesen Betrieben unter die Arme greifen?

Dessulemoustier-Bovekercke: Mit mehr als 200 ESG-Expert:innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterstützen wir aktuell genau jene Unternehmen, die erstmals eine Pflicht zur Berichterstattung ab 2025 haben, diese Herausforderungen zu meistern. Die Erfahrung in den laufenden Projekten zeigt uns, dass insbesondere ein pragmatischer und effizienter Ansatz in der Umsetzung der EU-Vorgaben für Unternehmen in der Größenordnung zwischen 250 und 1000 Mitarbeitende von zentraler Bedeutung ist. Oft werden diese Betriebe als Familienunternehmen geführt, die üblicherweise schon von Grund auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit ihrem Verhalten zugrunde legen, jedoch keine Übung in den formalen und technischen Vorgaben der Berichterstattung haben. Ebenso sind die teilweise bereits bestehenden Maßnahmen in keine strategischen Überlegungen eingebunden und die Erhebung von dazu passenden ESG-Daten ist noch nicht strukturiert. Unsere Aufgabe verstehen wir daher darin, diesen Unternehmen beim Erkennen der bedeutsamen Themen, Definieren ihrer Auswirkungen, Chancen und Risiken, Erarbeiten einer Strategie, Festlegung von KPIs, Implementierung eines Datenmanagements sowie Aufbereitung einer Berichterstattung nach den Vorgaben der CSRD und ESRS zu ESG-Themen zu helfen, sodass alle diese Maßnahmen auch die Prüfung ab dem Jahr 2025 bestehen.

LEADERSNET: Worauf müssen Unternehmen in Zukunft bei ESG- Strategien achten?

Dessulemoustier-Bovekercke: Die Vorgaben der CSRD in der Umsetzung in nationales Recht werden von den betroffenen Unternehmen verlangen, dass sie im Rahmen ihrer Jahresberichte auch erklären, welchen Beitrag sie zur Erreichung des Klimaziels 2050 der EU leisten. Zur Erinnerung – es geht also darum, welche Maßnahmen jeder Betrieb setzt, damit bis 2050 die Klimaerwärmung auf maximal 1,5 Grad begrenzt werden kann. Um hier einen Beitrag zu leisten, ist es daher notwendig, eine Strategie zu entwickeln, die einerseits bestmögliche Bestrebungen nicht nur in Bezug auf Umwelt, sondern auch in Bezug auf Soziales und Steuerung, ermöglicht, andererseits aber auch die Wirtschaftlichkeit und Effizienz mit einbezieht. Eine wichtige Rolle spielt daher zuallererst die Frage, wo von bin ich als Unternehmen betroffen und welche Auswirkungen hat mein Verhalten auf die Umwelt? Diese Erhebung von bedeutsamen Themen ist essenziell für eine pragmatische, zielgerichtete und effiziente Entwicklung von strategischen Zielen und Maßnahmen. Die Frage des Energieverbrauchs wird zum Beispiel bei einem produzierenden Betrieb eine ganz andere Rolle spielen, als bei einem Beratungsunternehmen!

Unternehmen sind daher sehr gut beraten, wenn sie sich auf jene Themen konzentrieren, die bedeutsam in Bezug auf ESG sind und somit auch eine große Auswirkung auf den Beitrag sind, den das Unternehmen leisten kann. Daher kommt der Wesentlichkeitsanalyse zu Beginn eine bedeutsame Rolle zu. Wenn diese gut, strukturiert und auch korrekt durchgeführt wird, kann das Thema Nachhaltigkeitsstrategie und darauffolgend auch die Berichterstattung durchwegs effizient umgesetzt werden.

LEADERSNET: Wie schauen die Pläne von Mazars für 2024 und die (noch) weitere Zukunft aus?

Dessulemoustier-Bovekercke: Mazars versteht sich als einer der dynamischen Challenger unter den Beratungsunternehmen. Dies bedeutet, dass wir zu den relevanten Fragen der Unternehmen innovative und umsetzbare Vorschläge anbieten und als verlässlicher Partner in Beratung und Prüfung zur Seite stehen. Erst vor kurzem ist es uns gelungen, unser Team im Bereich Banken und Versicherungen deutlich zu verstärken. Auch unser Nachhaltigkeits-Team konnten wir in einem sehr angespannten Marktumfeld ausweiten. Wir sind daher neben den bereits etablierten Beratungsunternehmen eine echte, verlässliche und qualitätsvolle Alternative im Bereich Nachhaltigkeit, Audit, Financial Services, Tax und IT, die jedoch auf Partnerebene einen direkten Zugang zu den Kund:innen gewährleistet. Für das aktuelle Wirtschaftsjahr 2023/24 erwarten wir ein deutliches, über dem Marktniveau, liegendes Wachstum. Damit bieten wir vor allem unseren jungen Menschen eine Chance für ihre persönliche Weiterentwicklung.

LEADERSNET: Was kann der "Geschäftsführer" Dessulemoustier-Bovekercke von der Privatperson Dessulemoustier-Bovekercke lernen?

Dessulemoustier-Bovekercke: Ganz privat fühle ich mich als ein ausgesprochener Familienmensch, für den die Bereitschaft zu helfen, für die Familie da zu sein, in schwierigen Situationen Halt zu geben und wenn erforderlich ungefragt zu helfen mehr als eine Selbstverständlichkeit ist. All dies kann ich auch als Partner von Mazars täglich im Umgang mit unseren 250 Mitarbeitenden in Österreich und unseren Kund:innen glücklicherweise täglich leben. Darüber hinaus bin ich als ausgesprochener Optimist auch einer, der überzeugt ist, dass wir trotz aller Unsicherheiten, die täglichen Herausforderungen meistern werden - privat im täglichen Leben genauso wie als Berater und Prüfer für unsere Kunden:innen.

www.mazars.at

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