"Die Honorare auf den Streamingplattformen sind ein Fliegenschiss"

Beim siebten Casinos Austria Kultur.Talk im Vorfeld des 35. Donauinselfests diskutierten Experten über die Auswirkung der digitalen Transformation auf die Musikindustrie.

Ist die digitale Transformation Fluch oder Segen für die Musikindustrie? Darüber diskutierten beim siebten Casinos Austria Kulturtalk im Vorfeld des 35. Donauinselfests auf der Wiener Summerstage mit Moderatorin Dani Linzer (Kronehit) am Montagabend Casinos Austria Vorstandsdirektor Dietmar Hoscher, Musikerin Birgit Denk, Produzent Thomas Rabitsch, Musikmanagerin Carina Sattlberger (Ink Music), Musiker Erik Trauner (Mojo Blues Band) und Musikexperte Andy Zahradnik (GfK Entertainment).

Einerseits werden Künstlerinnen und Künstler so leicht bekannt wie noch nie zuvor, andererseits sinken die Einnahmen durch die Macht der Streamingdienste. Nach der Piraterie zu Zeiten von Napster haben sich mit Amazon, Spotify und Co. nun legale Dienste durchgesetzt, die den Markt revolutionieren und den Künstlerinnen und Künstlern zumindest geringe Einnahmen sowie günstige Marketingplattformen und eine Flut von Analysedaten ermöglichen. Mit einem Börsenwert von rund 24 Milliarden US-Dollar wagte sich Spotify am 3. April 2018 mittels Direktplatzierung (Direct Public Offering) im Alleingang ohne die Unterstützung großer Investmentbanken an die Wallstreet.

Kreativität ist gefragt, um von der Kraft der Streamingdienste zu profitieren

In die Diskussion leitet Donauinselfest-Projektleiter Thomas Waldner ein: "Mit bis zu 80 Prozent österreichischen Acts auf Europas größtem Open-Air-Festival mit freiem Eintritt ist das Donauinselfest der Lautsprecher der heimischen Branche. Mit dem Rock The Island Contest veranstaltet das Donauinselfest eine der größten Initiativen zur Nachwuchsförderung. Die Möglichkeiten der digitalen Transformation sind besonders spannend, um junge Musiker auf ihrem Erfolgsweg zu fördern."

Die Diskrepanz zwischen Klicks und Einkommen betrachtet Casinos Austria-Vorstandsdirektor Dietmar Hoscher kritisch, erkennt aber große Vorteile: "Bekanntheit konnte noch nie so einfach aufgebaut werden. Allerdings müssen die Künstlerinnen und Künstler auch abseits der Streamingdienste Monetarisierungsquellen erschließen." Eine Ausdünnung der Vielfalt durch die Konformität der Streamingangebote sieht er als weiteres Risiko, das letztendlich weniger Auswahl für die Konsumenten bedeute.

"Streaming verändert die Musik, weil das Trägermedium Einfluss auf die Art der Produktion hat", gab Musikerin Birgit Denk zu bedenken. Beispielsweise würden typische Kompositionselemente wie die "Bridge" entfallen, um die Zahl der Mehrfachhörer zu steigern. Die Musiklänge reduziere sich auf 2:15 Minuten, erzählt sie aus dem fortgeschrittenen Markt in Skandinavien.

30 Sekunden entscheiden über die Monetarisierung

Als konsumierter Stream zählen Songs auf den meisten Plattformen erst nach einer Hördauer von 30 Sekunden. 0,0039 US-Dollar werden auf Spotify pro Stream gezahlt, bei der Alphabet-Tochter YouTube sind es überhaupt nur 0,0007 US-Dollar. Statt einem raschen Verdienst mit einem Hit müssen Musiker mit geringeren, kontinuierlichen Einnahmen kalkulieren, rechnet Produzent Thomas Rabitsch vor.

Musikmanagerin Carina Sattlberger ist überzeugt davon, dass jede Musik ihren eigenen Kanal brauche und Streaming kein Allheilmittel in der Promotion sei. Sie schätzt jedoch die aggregierten Daten, um sie in die Planung einfließen zu lassen. Zudem begrüßt sie den Rückgang an illegalen Downloads durch die Premium-Services und sieht eine positive Wechselwirkung zwischen Streaming und dem Kauf physischer Tonträger. "Nachdem die Menschen im Streaming Musik entdecken und dann das Konzert besucht haben, kaufen sie noch immer Tonträger als persönliche Erinnerung", ist sie überzeugt.

Reales Konzerterlebnis vs. digitalen Konsum

Charts-Experte Andreas Zahradnik erkennt den "Austrian Delay", durch den der österreichische Markt im internationalen Vergleich noch unterentwickelt ist: Der physische Markt komme hierzulande auf einen Marktanteil von 60 Prozent. Streaming gehe vor allem zu Lasten der Downloads. Top-Titel würden in Österreich zwischen 200.000 und 300.000 Mal pro Woche gestreamt. Er gibt zu bedenken: "Auf ein Plattencover können sich Fans Autogramme und Widmungen geben lassen. Das vermögen Streaming-Plattformen nicht." Die Musiknutzung sei durch die neuen Angebote so hoch wie noch nie. "Jetzt müssen wir eine Wertschöpfungskette bauen", ruft Zahradnik auf.

Für Erik Trauner von der Mojo Blues Band ist das reale Konzerterlebnis nicht mit dem digitalen Konsum vergleichbar, das nicht so emotionalisierend ist: "Die Honorare auf den Streamingplattformen sind ein Fliegenschiss, der kein Künstlerleben finanziert."

Im Publikum wurden Andi Appel von resonance promotions, RMS-Austria-Geschäftsführer Joachim Feher, ORF-Technikdirektor Michael Götzhaber, ORF-Radiodirektorin Monika Eigensperger, A1-Werbeleiterin Claudia Huber, Wiener-Stadthalle-Prokuristin Magdalena Hankus, Helga Kienast von Rauschfrei Records, Electric-Church-Gründer Robert Otto, Unternehmer Rudi Semrad, Produzent Herwig Ursin, Walter Gröbchen von monkey Music, die Musiker Andi Fasching und Hermann Posch sowie Konzertveranstalter Alfred Pulletz gesehen. Wer sonst noch mit dabei war, sehen Sie in unserer Galerie. (as)

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