"Die Zukunft ist keine 'schon oder nicht Auto' Entscheidung - es braucht gescheite Intermodalität"

| Tobias Seifried 
| 22.06.2023

Gemeinsam mit der Holding Graz und den Wiener Linien als Veranstalter:innen diskutierte die Austrian Roadmap2050 mit führenden Expert:innen von traditionellen und jungen Mobilitätsunternehmen, wie die Mobilitätswende gelingen kann.

Dass der gesellschaftliche Wandel das Mobilitätsverhalten und damit auch die Anforderungen an das Verkehrssystem verändert, steht außer Frage. Wie die unaufhaltsame Mobilitätswende gelingen kann, ist aber noch nicht eindeutig geklärt. Denn die großen Mobilitätsunternehmen stehen vor großen Herausforderungen, die aufgrund von aktuellen Krisen wie dem Arbeitskräftemangel, geopolitische Spannungen oder der Teuerung noch größer werden. Zuletzt ist die Frage nach Mitarbeiter:innen mehr denn je zur Schlüsselaufgabe geworden.

Gemeinsam mit der Holding Graz und den Wiener Linien als Veranstalter:innen beleuchtete die Austrian Roadmap2050 im Rahmen zweier Panels mit führenden Expert:innen die Anforderungen der kommenden Jahre an Österreichs Mobiltätsinfrastruktur. Die Veranstaltung fand im TUtheSky statt, der sich mittlerweile zur "Signature Location" für die Austrian Roadmap2050 entwickelt hat.

"Herausforderungen für den öffentlichen Verkehr"

Das erste Panel konnte quasi als "Elefantenrunde" bezeichnet werden. Hier diskutierten Vertreter:innen von lange in der Infrastruktur tätigen Unternehmen, die täglich im öffentlichen Verkehr für die Mobilität von vielen Millionen Österreicher:innen sorgen. Die beiden größten Städte des Landes wurden durch Alexandra Reinagl, CEO der Wiener Linien und Wolfgang Malik, CEO der Holding Graz vertreten. Dazu begrüßte Moderator und Roadmap Gründer Niko Pelinka die Vorständin der ÖBB Infrastruktur Silvia Angelo.

Reinagl ging gleich auf das wichtige Thema der Mitarbeiter:innen ein: "Lasst uns über Fachkräfte reden, nicht nur über Antriebstechnologien!" Das Thema der Arbeitskraftressource sei in der Diskussionen der Infrastruktur in den letzten Jahren ins Hintertreffen geraten, weil die Diskussionen meistens nur um Antriebstechnologie gehe. Der Fachkräftemangel sei sehr groß. Die Unternehmen würden laut der Wiener Linien-Chefin jedoch im Regen stehen gelassen, was die Grundausrüstung von Menschen für einen Arbeitsplatz im Verkehrsbereich betreffe. Alexandra Reinagl: "Deswegen haben wir zahlreiche Programme, die beginnen, so erstaunlich es klingt, beim sinnerfassenden Lesen."

"Unsere Antwort auf die neuen Work Life Balance Erwartungen ist ein Incentivierungsprogramm als Teil unserer HR Maßnahmen, z.B. Jahreskarten für den Verkehrsverbund. Wir erarbeiten gerade eine neues Employer Branding Programm, das beginnt ganz simpel mit Deutschkursen für neue Grazer:innen. Wir versuchen mit vielen Mitteln ein Arbeitgeber mit Weitsicht zu sein", schlägt Malik in eine ähnliche Kerbe. Das Problem an Arbeits- und Fachkräftemangel sei nicht kleinzureden.

Das sieht auch Silvia Angelo ähnlich: "Wir haben keinen Arbeitskräftemangel, sondern einen Fachkräftemangel. Wir haben unter anderem eine künstliche Knappheit geschaffen, weil es über die Jahre nicht gelang, Frauen in MINT-Berufe zu bringen." Die einseitige Zuwanderungsdiskussion unterdrücke komplett die Notwendigkeit, Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren, die einen Beitrag leisten wollen.

Als weitere Hürde, was den Schienen-, Tram- und Busverkehr betrifft, wurden noch die Fahrzeuge, seien sie elektrisch angetrieben oder mit Wasserstofftechnologie, die ebenfalls große Chance in der CO2 Reduktion bietet, genannt. Laut den Expert:innen würden in Europa der Industrie auch oftmals die Lieferfähigkeit in relevanten Größen fehlen, um den Hebel umzulegen. "Wir stehen nicht fünf vor 12, was die Erreichung der gesetzten Ziele betrifft, sondern eins vor 12 oder gar schon bei 12 Uhr", so Reinagl.

"Innovative Mobilitätskonzepte und digitale Helfer"

Im zweiten Panel diskutierten Daniel Fuchs-Bauer, Head of Public Policy & Business Development ACH-CEE Tier Mobility, Gregor Eckhard, Chief Operating Officer Easelink und Farhad Shikhaliyev, Country Manager Bolt Austria, u.a. über Innovationen im Mobilitätssektor. Diese drei Unternehmen sind zusammen gerade einmal 22 Jahre alt und entstanden aus der neuen Motorisierung und/oder der Digitalisierung. Zum Vergleich: Die ÖBB alleine feiert heuer ihren 100. Geburtstag. Hier ging die "Roadmap" der Frage nach, wie abhängig Tier, Easelink und Bolt in ihrem Erfolg von den Unternehmen in der Mobilität, die es seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten gibt, sind. Weiters ging es auch um ihre Kernideen, mit denen die jungen Firmen die Mobilitätswende vorantreiben möchten.

Fuchs-Bauer sagte: "Ich wurde vom Autopendler zum Zugfahrer." Die Lösung des Scooters für die letzte Meile sei nicht nur CO2 sparend, sondern bedeute auch einfach Spaß beim Fahren und an der Mobilität in der Stadt. "Europa ist im Bereich der geteilten Mikromobilität ein Vorreiter: Ein wenig Zwang ist oft notwendig, um technologischen Fortschritt zu erreichen. Europas Städte werden führend bei der Anwendung der E Mobilität sein".

Laut Farhad Shikhaliyew  sei die Zukunft keine "schon oder nicht Auto" Entscheidung, sondern die Lösung heiße gescheite Intermodalität. "Wir glauben, dass die Zukunft einst ohne eigenen Autos stattfinden wird", so der Bolt-Country Manager und weiter: "In meinen 4,5 Jahren bei Bolt habe ich in Österreich sechs Gesetzesänderungen erlebt. Das Gewerbe ist überreguliert. Angebot und Nachfrage sollten den Wettbewerb tragen, aber nicht die Überregulierung. Bei Wiener Taxiprüfungen werden im Zeitalter von Google Maps und GPS immer noch Sackgassen abgefragt. Die größte Herausforderung an die Gesellschaft: man muss sich vom eigenen Auto verabschieden können." Bolt könne einen Beitrag leisten, die Städte durch weniger CO2 Ausstoß zu einem lebenswerten Platz zu machen, so Shikhaliyew.

Gregor Eckhard untermauerte die wichtige Bedeutung von Lademanagement: "Wir sind wirklich ein Link zwischen den Industrien, wir sind ein kleiner Beitrag, die Industrie als Ganzes zu modernisieren. Wir bauen die Ladeplatte in die Straße oder in Carports, haben aber auch schon im öffentlichen Bereich geplant. Da mussten wir uns mangels an Normen an der Kanaldeckelnorm für die Überfahrt orientieren", so der CEO von Easelink. Der entscheidende Step in die Zukunft seien laut ihm Smart Grids – automatisches Laden sei nicht einseitig, sondern stehende Fahrzeuge seien auch in ihrer Gesamtheit Kraftwerke und Stromspender.

Networking mit Ausblick

Mit Blick über die Bundeshauptstadt im 11. Stock des TU Towers in der Lehargsee diskutierten dann die rund 120 Gäste der "Roadmap" noch in den beginnenden Abend mit Blick über die Stadt

LEADERSNET war bei der Veranstaltung. Einen Eindruck können Sie sich hier machen. 

www.roadmap2050.at

www.tuwien.at

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