"KI ist kein Einsparungsprojekt"

| Redaktion 
| 18.10.2023

ORF-Technikdirektor Harald Kräuter erklärt im Interview wie "AIDitor" ORF-Journalisten effizienter arbeiten lassen soll und warum es durch KI Einsatz zu einem barrierefreierem Programm kommen könnte.

Künstliche Intelligenz (KI) macht vor der Medienbranche nicht Halt. In Redaktionen wird eifrig daran gearbeitet, die technologische Entwicklung in den Arbeitsalltag zu integrieren – so auch im ORF, wo Technikdirektor Harald Kräuter maßgeblich dafür verantwortlich zeichnet. Im Interview mit der Austria Presse Agentur (APA) erklärt er, wie KI im ORF bereits eingesetzt wird, was sich dadurch verändert und welche Auswirkungen auf Mitarbeiterstand und Budget zu erwarten sind.

APA: Herr Kräuter, der ORF hat sich in Sachen KI mit öffentlichen Äußerungen noch etwas zurückgehalten. Was passiert hinter den Kulissen? Woran wird gearbeitet?

Kräuter: Ich sehe drei wesentliche Bereiche, wo wir mit KI arbeiten werden: die Unterstützung der journalistischen Tätigkeit im Haus, eine weitere Effizienzsteigerung der Arbeitsprozesse und zur Erhöhung der Barrierefreiheit. Vorausgeschickt sei: Journalismus wird im ORF immer in der Verantwortung der Redakteurinnen und Redakteure liegen. Wir entwickeln zum Beispiel gerade den sogenannten "AIDitor". Es handelt sich dabei um ein Programm, das auf bestehende KI-Systeme zugreift und sie für das Haus zu einer Applikation zusammenfasst, die Journalistinnen und Journalisten dabei unterstützt, noch effizienter arbeiten zu können. Inhalte, die mit dem Programm bearbeitet werden, sind journalistisch hochwertiger Content, vorrecherchiert, und Sie werden natürlich nicht irgendwie frei aus dem Internet herausgezogen. Ein Beispiel: Wir können etwa eine Recherche nehmen, sie in den "AIDitor" importieren und bekommen einen fertigen Social-Media-Beitrag heraus. Es ist aber auch möglich, aus einem Radiobeitrag eine Kurzmeldung, eine Zusammenfassung auf Englisch oder eine Teletextmeldung auf Kroatisch zu erstellen. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass dieses Tool schon jetzt zu 80 Prozent den Kern der Geschichte erkennt und unterschiedliche Formulierungsvorschläge liefert. Zentrale Vorgabe ist bei allem natürlich die strenge Einhaltung aller redaktionellen Standards. Der Mensch steht immer am Beginn und am Schluss. Wir sind in einer Pilotphase und in enger Abstimmung mit dem Redaktionsrat.

APA: Sie haben auch Barrierefreiheit genannt. Was kann man sich in diesem Bereich erwarten?

Kräuter: Wir testen gerade unterschiedliche Tools zur Untertitelung unserer Programme. Wir loten aus, ob eine gewisse Fehlertoleranz vielleicht akzeptiert werden kann, wenn wir im Gegenzug noch mehr Sendungen und Programme untertiteln können, oder wir keine Fehler akzeptieren und das Programm nicht vollumfänglich untertitelt werden kann. Ich denke aber, dass wir jedenfalls wesentlich mehr Inhalte mit KI-Unterstützung barrierefrei anbieten werden können.

APA: Werden Mitarbeiter durch den Einsatz von KI eingespart?

Kräuter: Das KI-Projekt ist kein Einsparungsprojekt. Wir können dadurch unsere Kreativität besser ausleben, noch mehr Zeit in Recherche stecken und letztendlich mehr Kanäle mit breiteren Inhalten bespielen.

APA: In Sachen KI wird in der Branche immer wieder der Kooperationsgedanke beschworen, um gegen große Technologiekonzerne aus den USA oder China standhalten zu können. Wie verhält sich hier der ORF?

Kräuter: Es geht nur mit Kooperation. Es gibt eigene Arbeitsgruppen in der European Broadcasting Union (EBU), und auch auf diesem internationalen Level können wir gemeinsam die Kraft generieren, Entwicklungen der globalen Tech-Konzerne etwas entgegenzusetzen. Heuer haben wir die Technical Assembly der EBU bei uns in Wien abgehalten um das Thema KI und die Bedeutung für die europäische Medienbranche zu besprechen. Wir sind auch bereit, dieses Know-how für den Medienstandort Wien soweit möglich zur Verfügung stellen.

APA: Also auch den Privaten?

Kräuter: Das wäre eine Möglichkeit. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hat angekündigt, eine KI-Initiative starten zu wollen. Wir sind sehr gerne bereit, unsere Erfahrungen einzubringen.

APA: Gibt es genug fachkundiges Personal für die Entwicklung und Anwendung von KI im ORF?

Kräuter: Wir haben einige Menschen, die sich intensiv damit auseinandersetzen. Im Bereich der Programmierung wird 40 Prozent des Codings bereits durch KI-Unterstützung erledigt. Wir steigern das Wissen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Haus, holen uns aber auch Fachkräfte von außen - etwa für den Bereich Cybersecurity oder den mit 2024 startenden Player ORF ON. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang Diversität. Es gibt mit Astrid Zöchling erstmals eine Hauptabteilungsleiterin für den Bereich IT. Vermehrt mit Frauen in Führungspositionen zusammenzuarbeiten ist mir ein großes Anliegen, das ich auch konsequent in meiner Topmanagementebene vorantreibe.

APA: Wird KI dem ORF Einsparungen ermöglichen?

Kräuter: Das ist schwer abzuschätzen, KI ist wie gesagt in erster Linie kein Einsparungsprojekt. Wir brechen die Technologie gerade auf einzelne Themenbereiche herunter und schauen, was sie dort jeweils bringt. Die Effizienz wird aber jedenfalls steigen. Prinzipiell gibt es - mit Blick auf die wirtschaftliche Situation des ORF - kein zusätzliches Geld für Technologie im Haus. Neue Bereiche wie ORF ON werden mit Budget ausgestattet, das aus dem klassischen Broadcasting-Bereich abgezogen wird. Dieser konventionelle Broadcast-Bereich muss weiterhin noch effizienter agieren, damit wir die neuen digitale Medien bestmöglich bespielen können.

APA: Haben Sie den Eindruck, die Politik hat das Feld bereits als wegweisend erkannt?

Kräuter: Ja, ich glaube, die Politik hat das erkannt. Europa wird gerne als Regulierungsweltmeister bezeichnet. Wir exportieren manchmal - zugespitzt formuliert - eher unsere Regulierungsrichtlinien als die Technologie selbst. Der globale Fortschritt ist bei KI aber so schnell, dass man sich mit der Regulierung ohnehin schwer tun wird, Schritt zu halten. Das soll aber nicht heißen, dass ein Level-Playing-Field und die Einhaltung unserer Standards, vor allem in Hinblick auf persönliche Daten nicht wichtig wären, es gilt aber ein geeignetes Maß an Regulierung und Fortschritt gleichermaßen zu finden.

APA: Was sind abseits von KI die großen Technikherausforderungen, mit denen Sie derzeit konfrontiert sind?

Kräuter: Ich nehme als ORF-Technikdirektor auch das Aufgabengebiet der Digitalisierung war. Die technische Radio-, Fernseh- und Onlineproduktion wurden bereits multimedial zusammengelegt. Der Change-Prozess ist gelungen. Wesentlich war, dass wir den Onlinebereich auf komplett neue Beine gestellt haben. Er läuft nicht nur nebenbei mit, sondern steht im Mittelpunkt. Wir haben Strukturen geschaffen, damit das auch solide passieren kann. Auch haben wir komplett neue Supportstrukturen geschaffen. Wir bauen Havarieszenarien auf, damit wir technische Probleme überspielen können und nicht sofort beheben müssen. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Wenn bei einer ZIB eine Kamera ausfällt, gibt es nun beispielsweise Konzepte, durch die wir anstatt mit drei Kameras auch mit zwei Kameras die Sendung fortsetzen können. Zwar haben wir dann dramaturgisch unterschiedliche Einschränkungen, können die ZIB aber bis zum Ende abwickeln, ohne die Sendung frühzeitig abbrechen zu müssen. Diese Maßnahmen entwickeln wir auch, weil das Personal aus wirtschaftlichen Gründen für einen durchgehenden technischen Support nicht immer zur Verfügung steht.


 

Die Fragen stellte Lukas Wodicka/APA.

www.orf.at

www.apa.at

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