"Der Druck auf den Markt geht nicht vom ORF aus, sondern von ausländischen Digitalplattformen"

| Redaktion 
| 26.09.2022

Im LEADERSNET-Interview spricht Harald Kräuter, Technischer Direktor des ORF, u.a. über eine neue Content-Strategie, den Stellenwert von großen Live-Übertragungen, technische Innovationen im Sendebereich, die Auswirkungen eines Werbeverbots im ORF sowie mögliche Kooperationen mit heimischen Medienhäusern.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Kräuter, als Technischer Direktor des ORF warten gerade in der heutigen Zeit enorme Aufgaben auf Sie. Wohin geht die technische Reise des öffentlich-rechtlichen Senders?

Kräuter: Der ORF hat eine ganz klare Zukunftsstrategie: Wir sind auf dem Weg vom klassischen Broadcaster zur multimedialen öffentlich-rechtlichen Plattform. Wie angekündigt, investieren wir im Rahmen unserer Young-Audience-Strategie, die wir in den letzten Wochen finalisieren konnten, in neuen, jungen Content. Mit Unterstützung der Marktforschung wurde dafür die erste user-zentrierte Content-Strategie in der Geschichte des ORF entwickelt. Und unsere neue Audioplattform ORF Sound, die alle Audioangebote des ORF unter einem Dach präsentiert, ist gerade gestartet.

LEADERSNET: Inwieweit soll auch für den ORF das Motto: "Online First" gelten?

Kräuter: Online First ist eine Herangehensweise, die für die gesamte Medien- und vor allem Informationslandschaft wichtig ist. Wir haben hervorragende Journalist:innen und produzieren verlässliche und seriöse Information rund um die Uhr. Online-Plattformen sind hier unbestritten der schnellste und flexibelste Ausspielweg. Der Gesetzgeber ist hier gefordert für den ORF eine zukunftsfähige Lösung zu finden, um auch weiterhin das beste Programm schnellstmöglich für unser Publikum anbieten zu können.

LEADERSNET: Live-Übertragungen von Großereignissen sind teuer, jedoch sehr beliebt. Welchen Weg werden Sie hier einschlagen? Lassen sich durch technische Raffinessen Seher:innen binden?

Kräuter: Der ORF genießt international auch bei Großproduktionen ein hohes Ansehen. Das geht von großen Sportereignissen wie den Skirennen in Kitzbühel oder Schladming bis hin zu Kulturveranstaltungen wie dem Neujahrskonzert. Die Pflicht des ORF gegenüber seinen Kund:innen ist es, hier verantwortungsvoll mit den Ressourcen umzugehen und dennoch qualitativ hochwertigstes Programm zu produzieren. Einen großen Teil der Verantwortung trägt dabei die Direktion für Technik und Digitalisierung. Die Broadcast-Technik entwickelt sich, analog zur Digitalisierung, stark weiter. Wir nutzen hier zunehmend die Möglichkeiten von Remote Production, 5G-Übertragungen und Cloud-Diensten, um diesen hohen Qualitätsstandard in wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten zu sichern. Wir achten dabei natürlich auf einen ressourcenschonenden Einsatz unserer Produktionsmittel. Einige unserer Produktionen wurden bereits mit dem Siegel "Green Producing" zertifiziert.

LEADERSNET: Wieviel digitale Informationen muss der ORF anbieten, um international konkurrenzfähig zu sein?

Kräuter: Aufgrund der aktuellen Krisen sehen wir, dass Frieden und Demokratie nicht selbstverständlich sind. Desinformation und Fake-News kümmern sich nicht um Landesgrenzen und destabilisieren die bekannte Ordnung. Die unabhängige Information des ORF genießt nach wie vor die höchsten Vertrauenswerte in Österreich. Aber nur wenn wir auf sämtlichen Geräten und Kanälen zeitgemäß und rasch unser Publikum erreichen können, bleibt der ORF relevant und konkurrenzfähig. Hier ist der Gesetzgeber also wirklich gefragt, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

LEADERSNET: Wie groß ist Ihr Team und wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Kräuter: Ich bin ein Teamplayer und lege meinen Führungsstil kooperativ und partizipativ an. Mir ist es wichtig, dass meine rund 800 Kolleg:innen wissen, wohin die Reise geht und was jede und jeder Einzelne dazu beitragen kann, damit wir als Unternehmen unsere Ziele erreichen, um noch besser für unsere Kund:innen da zu sein. Gerade in wirtschaftlich sehr anspruchsvollen Zeiten ist es mir sehr wichtig, dass Führungskräfte und Mitarbeitende ihre Verantwortung gleichermaßen wahrnehmen.

LEADERSNET: Der ORF ist Österreichs größtes Medienunternehmen. Wie können die Werbespending am nationalen Medienmarkt im Lichte der neuen technischen und digitalen Möglichkeiten aus Ihrer Sicht fair aufgeteilt werden?

Kräuter: Sie haben recht, der ORF ist Österreichs größtes Medienunternehmen. Der Druck auf den Markt geht dabei aber nicht vom ORF aus, sondern vor allem von ausländischen Digitalplattformen und von der Tatsache, dass wir einen sehr großen – ebenfalls deutschsprachigen – Markt im Nachbarland haben. Medienökonomen haben vor kurzem Modellrechnungen angestellt: bei einem TV-Werbeverbot im ORF würde das Werbegeld nicht am heimischen Markt bleiben, sondern weit über 50 Millionen Euro aus Österreich an internationale Plattformen fließen. Eine Einschränkung des Radiowerbemarktes würde die gesamte nationale Werbegattung in Frage stellen. Das zeigt, dass es einen Schulterschluss am Medienstandort Österreich braucht, um eine faire Lösung gegenüber den internationalen Onlinegiganten zu finden. Die Freigabe technischer Möglichkeiten, wie zum Beispiel "personalized Media" im Onlinebereich, oder eine gemeinsame Vermarktung könnten helfen, diese faire Lösung zu finden und gemeinsam zu entwickeln.

LEADERSNET: Wohin soll sich der ORF aus technischer Sicht mittelfristig entwickeln?

Kräuter: Eines der wesentlichsten Felder der Zukunft ist die Distribution. In der Schweiz wurde beispielsweise die Distributions-Abteilung zu einem der wichtigsten Departments im SRF. Im ORF haben wir in meiner Direktion aus diesem Grund gerade eine Stabstelle für Distribution eingerichtet. Eine Infrastruktur, die keine Inhalte zum Verbreiten hat, nützt uns nichts. Noch weniger nutzen uns Inhalte, die niemanden erreichen, weil man sie nicht verbreiten kann. Es ist daher umso wichtiger, dass der ORF die rechtlichen Rahmenbedingungen bekommt, um alle Menschen in Österreich zeit- und geräteunabhängig, sowie medienadäquat versorgen zu können. Nur so können wir unseren öffentlich-rechtlichen Auftrag weiterhin bestmöglich erfüllen.

www.orf.at

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