Digital – und danach?

In ihrer monatlichen Kolumne, wirft Höllinger, GF des BFI Wien, einen anderen, unerwarteten Blick auf aktuelle Fragen der Digitalisierung. Heute: Warum die Evolution fixer Bestandteil unserer Geschäftskultur werden muss.

Vielleicht irritiert der Titel ja – „Da ist Österreich nur auf Rang 12 des Digitalisierungsindex der EU-Kommission“ und ich schreibe über „Digital- und danach“? Das klingt ja quasi so, als würde digital schon alt aussehen.

Nein, das ist nicht der Grund für meine Themenwahl. Es gibt noch viel zu tun in punkto Digitalisierung, kein Zweifel: viele von uns stehen noch am Anfang eines Weges. Sind erst im Begriff, die vielen neuen Möglichkeiten zu nutzen, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Es ist mir nur in den letzten Wochen aufgefallen, dass in den diversen Medien bezüglich des Begriffs „Digitale Transformation“ und dem damit einhergehenden „Change“ kritische Stimmen laut werden.

Und bei näherer Betrachtung glaube ich zu verstehen, worauf diese Kritiker hinaus wollen: „Change“, das klingt immer wieder so, als wäre nun sozusagen ein einzelnes Programm abzuwickeln. Vom Ist-Zustand in einen neuen, adäquateren Soll-Zustand. Sie kennen das aus dem klassischen Management, all diese Aspekte von der „Weg-Energie“ und der „Hin-Energie“, Komfort-Zonen, Change Resistance und all dem. Und „Transformation“, das klingt letztlich genauso. Nach der Notwendigkeit aus einem Zustand ohne Digitalisierung in einen Zustand mit Digitalisierung zu kommen.

Neuer Abstraktionslevel

Das scheint alles sehr plausibel, muss sich aber doch einige Fragen gefallen lassen: Digital – und was dann? Warum benötigen wir zu jedem neuen Thema immer ein Change-Vorhaben, um uns besser an Markt und Möglichkeiten anzupassen?  Und warum sind unsere Organisationen nicht so gestaltet, dass ständige Weiterentwicklung und Anpassung im Sinne einer Evolution fixer Bestandteil sind?

Wenn wir diese Fragen ernst nehmen, lässt sich rasch ein neuer, aus meiner Sicht höchst relevanter, Abstraktionslevel finden: in einer Welt mit einem rasant zunehmenden Tempo an Innovationen auf immer mehr Gebieten – denken wir z.B. außer an Digitalisierung auch an Biotech oder etwa neue Werkstoffe, etc. etc. – ist es doch höchste Zeit, unsere Organisationen tiefgehend zu überdenken. Weiterentwicklung, Verbesserung – egal ob kontinuierlich oder in Sprüngen – muss quasi fix im „genetischen Programm“ der Organisation verankert werden.

Eine der zentralen Fragen – wenn nicht sogar DIE zentrale Frage dabei – könnte sein: Welche Probleme unserer (potenziellen) Kunden wollen wir lösen? Wo werden andere, passendere, noch bessere Lösungen gebraucht? Und: Mit welchen der aktuell zur Verfügung stehenden Mittel könnte man diese Lösungen gestalten? Welche Mittel fehlen, deren Herstellung wir uns zumindest als Vision zum Leitbild von Entwicklungen machen können?

Es sind derartige Fragen, die zu Innovation führen. Zu Innovation in relevanten Bereichen – Problemlösungen für Menschen, für Kunden. Dabei können sich Probleme, Wünsche, Phantasien und (neue) Möglichkeiten und Lösungsansätze gegenseitig befruchten.

Die Schritte zu einer derart agierenden Organisation sind nicht einfach, weil sie so manchen Mythos des Managements und der Führung in Frage stellen. So wird beispielsweise die zur Wahrheit hochstilisierte Illusion als solche enttarnt, dass Erfolg deterministisch herstellbar wäre – auf Basis von Vorgaben und Plänen. Anstelle dessen tritt die Sicht, die die Komplexitätstheorie längst erkannt hat: Jede Handlung, durchaus zielgerichtet gewählt, bringt immer auch Unvorhergesehenes hervor. Das zwingt uns zu ständigen kleinen „Stichen“, die letztlich die Qualität von gut gewählten Experimenten haben. Diese Sichtweise führt etwa zur oft zu Recht geforderten Fähigkeit, mit „Fehlern“ bzw. Misserfolgen produktiv umgehen zu können.

Wenn wir Unternehmen und deren Angebote als „sich entwickelnde Organismen“, die etwas Sinnvolles zur Welt beitragen, betrachten und alles daran setzen, unter Einsatz unserer kollektiven Intelligenz dieses Prinzip zu etablieren, dann werden wir nicht nur auf die Digitalisierung, sondern auch auf alle anderen, folgenden Entwicklungen angemessen vorbereitet sein. Jede Investition in die grob angerissenen grundlegenden Eigenschaften unserer Organisationen ist eine, die uns bei der Digitalisierung hilft aber eben auch bei dem, was uns unbekannter Weise „danach“ erwartet.

Sie haben spannende Themen zum Spannungsfeld der Digitalisierung, die Sie mit uns teilen möchten? Lassen Sie uns darüber diskutieren. Ich freue mich auf Ihre Zuschriften unter geschaeftsfuehrung@bfi.wien.

www.bfi.wien

leadersnet.TV