LEADERSNET: Die US-amerikanische Zollpolitik versetzt die Weltwirtschaft seit Wochen in Aufruhr. Wie beurteilen Sie die Folgen für den Standort Österreich im Allgemeinen und den Handel im Speziellen?
Rainer Will: Wir erleben derzeit eine grundlegende Neuordnung des Welthandels. Für Österreich bedeutet das – insbesondere im Lebensmittelhandel – vorerst Entwarnung. Unsere starke Regionalisierung macht uns resilient. Dennoch sind die Auswirkungen globaler Handelskonflikte nicht zu unterschätzen. Die USA haben Zölle in Milliardenhöhe verhängt, China kontert, und Europa muss jetzt mit klarem Kurs und Selbstbewusstsein auftreten. Wir sollten gezielt verhandeln, statt reflexartig zu kontern. Europa hat mit seiner Marktmacht, etwa beim Zugang zu digitalen Dienstleistungen, wichtige Trümpfe in der Hand. Diese sollten wir nutzen – strategisch klug und ohne Panikreaktionen.
LEADERSNET: Welche Erwartungen hat der Handel an die neue Bundesregierung?
Will: Die Erwartungen sind hoch, schließlich befinden wir uns im dritten Jahr der Rezession. Der Handelsverband hat gemeinsam mit rund 90 Prozent der Handelsunternehmen in Österreich einen 50-Punkte-Plan entwickelt. Wir fordern gezielte Entbürokratisierung, eine Senkung der Lohnnebenkosten und die Abschaffung überholter Regelungen wie der Mietvertragsgebühr. Österreich braucht endlich eine echte Handelsagenda – nicht nur eine Industrieagenda. Wir sind mit über 700.000 Beschäftigten der größte private Arbeitgeber und erwarten uns klare, spürbare Maßnahmen, die unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken.
LEADERSNET: Was wären konkrete Maßnahmen im Arbeitsmarktbereich?
Will: Ein Beispiel: Warum müssen nur private Angestellte die Gratisschulbusfahrt mitfinanzieren? Wir brauchen eine faire Verteilung von Abgaben auf breitere Schultern, etwa durch Einbindung anderer Berufsgruppen. Es geht nicht darum, den Sozialstaat zu schwächen, sondern um Anreize und mehr Netto vom Brutto. Zudem braucht es Mut zu Reformen in der Verwaltung. Behörden sollten beraten, statt bestrafen. Unternehmer:innen stoßen auf zu viele Hürden – das hemmt Investitionen und Innovation und kostet uns bis zu 15 Milliarden Euro jährlich.
LEADERSNET: Gerade im Lebensmittelhandel klagen Produzent:innen über immensen Preisdruck. Übersieht der Handel den Druck, unter dem die Lieferant:innen stehen? Zuletzt hat auch das Fairnessbüro im Landwirtschaftsministerium den Handel wegen 239 Verstößen getadelt.
Will: Keineswegs. Wir nehmen die Rückmeldungen ernst und waren selbst Mitinitiator des Fairnessbüros. 239 Beschwerden pro Jahr erscheinen viel – stehen aber Gesprächen mit 100.000 Lieferant:innen gegenüber, das sind also nicht einmal 2,4 Promille. Viele Beschwerden beziehen sich zudem auf Themen wie Obstkisten oder betreffen gar nicht den klassischen Lebensmitteleinzelhandel. Gleichzeitig steht auch der Handel unter Druck – etwa durch internationale Markenartikelriesen, die sich den europäischen Markt wie eine Torte aufteilen, Stichwort "Territoriale Lieferbeschränkungen". Deshalb überlegen wir ebenfalls, Beschwerden beim Fairnessbüro einzubringen. Es geht uns um Fairness in beiden Richtungen.
LEADERSNET: Der Lebensmittelhandel ist stark konzentriert – vier große Player dominieren. Wie können kleinere Anbieter gestärkt werden?
Will: Kleine Händler:innen leiden besonders unter hohen Miet- und Personalkosten sowie übermäßiger Bürokratie. Dennoch gibt es funktionierende Modelle – etwa Kaufleute, die über Einkaufskooperationen mit großen Ketten wie Spar oder Nah&Frisch zusammenarbeiten. Gerade in strukturschwächeren Regionen sind solche Nahversorger unverzichtbar. Und anders als in vielen Branchen ermöglichen große Konzerne hier oft überhaupt erst das Überleben der Kleinen – durch gemeinsame Einkaufs- und Logistiklösungen.
LEADERSNET: Im Möbel-, Schuh- und Bekleidungshandel mehren sich die Insolvenzen. Was kann man gegen diesen Negativtrend tun?
Will: Die Branche leidet massiv unter den Folgen der Inflations- und Energiekrise: gestiegene Miet- und Lohnkosten, teure Kredite, sinkende Frequenz. Über 1.100 Insolvenzen allein im Vorjahr sprechen eine klare Sprache. Dazu kommt der Onlinehandel, der besonders im Non-Food-Bereich stark gewachsen ist. Viele stationäre Händler:innen können da nicht mehr mithalten. Die Innenstädte verlieren dadurch an Attraktivität – mit Auswirkungen bis zu den Kommunalsteuern. Wir brauchen hier dringend Standortpolitik, die die Frequenz in die Zentren zurückbringt – von Behörden über Schulen bis zu guter Infrastruktur.
LEADERSNET: Stichwort Onlinehandel: Welche politischen Maßnahmen braucht es gegen die unfaire Konkurrenz durch große Onlineplattformen?
Will: Das Problem ist enorm. Unter dem Deckmantel der Zollfreigrenze von 150 Euro sind im Vorjahr 4,6 Milliarden Billigstpakete nach Europa geliefert worden – oft falsch deklariert, häufig sogar gesundheitsgefährdend. Der jährliche Steuerschaden allein in Österreich beträgt etwa 900 Millionen Euro. Hier braucht es entschlossene Maßnahmen: sofortige Abschaffung der Zollfreigrenze, mehr Mittel für den Zoll, moderne Kontrolltechnologie, die Einführung einer Bearbeitungsgebühr für Fernostpakete und eine striktere Umsetzung bestehender Gesetze. Der Handelsverband hat auch eine Beschwerde gegen Temu eingebracht – wegen irreführender Rabattaktionen, künstlicher Verknappung und Verstößen gegen Transparenzregeln. Wir fordern: Gleiche Regeln für alle – online wie offline. Plattformen, die wiederholt und nachweislich gegen EU-Recht verstoßen, sollten zumindest temporär gesperrt werden.
LEADERSNET: Wie schätzen Sie den Zustand des heimischen Handels im Jahr 2025 ein – ist das Glas halb voll oder halb leer?
Will: Ich bin vorsichtig optimistisch. Das Weihnachtsgeschäft 2024 war stark, und auch der Onlinehandel zieht wieder an. Dennoch bleibt die Konsumzurückhaltung spürbar – viele Menschen sparen, Unsicherheiten sind groß. Die Zinssenkung der EZB macht Hoffnung, aber die Konjunktur ist weiterhin schwach. In einzelnen Branchen – etwa Textil oder Möbel – sehen wir nach wie vor stagnierende Umsätze. Der Handelsverband hat viele wichtige Punkte ins Regierungsprogramm eingebracht. Jetzt braucht es aber Umsetzung. Dann wird es auch dem Handel besser gehen. Ich bleibe zweckoptimistisch – und hoffe auf Taten, nicht nur Ankündigungen.
www.handelsverband.at
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