"Nur unabhängige Zentralbanken können die Inflation bremsen"

| Redaktion 
| 11.04.2023

Gastkommentar von Kyrylo Shevchenko, ehemals Präsident der Nationalbank der Ukraine.

Die Inflationsbekämpfung ist nach wie vor das Hauptziel der wichtigsten Finanzaufsichtsbehörden in der ganzen Welt. Ich bin davon überzeugt, dass sie 2023 eine Priorität sein wird. Dies bestätigen auch die neuesten Entscheidungen der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank, die ihre Leitzinsen im März weiter anhoben: Die Fed um 0,25 Prozent pro Jahr (auf 4,75-5 Prozent) und die EZB um 0,5 Prozent pro Jahr (auf 3-3,75 Prozent). Die vorsichtige Politik der OeNB hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das reale BIP Österreichs im Jahr 2023 um 0,6 Prozent wachsen wird, während für das benachbarte Deutschland ein Rückgang um 0,5 Prozent prognostiziert wird.

Erwarteter Schritt

Die Erhöhung der Leitzinsen ist ein erwarteter und vorhersehbarer Schritt. Selbst vor dem Hintergrund der Äußerungen seiner Gegner, die mit einem Bankenkollaps drohen. Warum?

Erstens, ein Bankenkollaps kann vermieden werden, wenn die Banken ihre Strategien richtig umstrukturieren. Zudem werden sie von den Regulierungsbehörden mit Liquidität unterstützt und können dadurch vorübergehende Einlagenabflüsse abdecken. Und, nach einer angemessenen Anhebung der Zinssätze werden sie in der Lage sein, ihre Passiva wiederherzustellen.

"Heilige Pflicht"

Zweitens können die Regulierungsbehörden das Inflationsziel nicht aufgeben. Das ist ihre "heilige Pflicht". Weil sich die Weltwirtschaft, die in den letzten Jahren schwierige Zeiten durchlebt hat, ohne Regulierung nicht erholen kann.

Der ukrainische Finanzmarkt befand sich in einer ähnlichen Situation, als die Nationalbank gezwungen war, den Leitzins im Juni 2022 nach dem Einmarsch Russlands von zehn Prozent auf 25 Prozent zu erhöhen. Auch für unsere Banken war es nicht einfach, den Trend umzukehren und eine schrittweise Erhöhung der Zinssätze für Einleger einzuleiten. Vielleicht war es sogar noch schwieriger als für ihre westlichen Kollegen, denn wir haben keine Abflüsse von Konten erlebt, und die Kreditvergabe hat sich aufgrund des Krieges verlangsamt, sodass kein dringender Bedarf an Mitteln bestand. Dennoch haben wir die Einlagenzinsen in der Ukraine erhöht. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, aber es zeigen sich bereits positive Veränderungen.

Für die USA und die EU wird das Inflationsziel von zwei Prozent weiterhin eine Priorität und für die Zentralbanken ein Ziel bleiben.

Wachsende Unabhängigkeit

Das Erreichen des Inflationsziels von zwei Prozent wird eine weitere Bestätigung für die wachsende Unabhängigkeit der Finanzaufsichtsbehörden sein, die unter schwierigen Umständen manövrieren und die Volkswirtschaften stabilisieren müssen. Zunächst im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie und dann angesichts der Verschlechterung des Energie- und Agrarsektors aufgrund des Ausbruchs eines groß angelegten Krieges in der Ukraine.

Die Situation in Österreich dient als ein Beispiel dafür. Während die durchschnittliche Inflationsrate in der EU bei 8,5 Prozent liegt, beträgt sie in Österreich elf Prozent, was für die Regulierungsbehörde eine große Herausforderung darstellt. Der Anstieg der Energie- und Dienstleistungspreise sowie die Verteuerung von Lebensmitteln hatten die größten Auswirkungen. Der Preisbeitrag von Energie und Nahrungsmitteln zur österreichischen Inflation erreichte im Jahr 2022 5 Prozent und wird laut der offiziellen Prognose der OeNB im Jahr 2023 auf 5,6 Prozent steigen. Aufgrund der steigenden Inflation sinken die Realeinkommen der österreichischen Haushalte im Jahr 2022 um weitere 3,1 Prozent. Für 2023 wird jedoch ein Lohnzuwachs von 7,2 Prozent prognostiziert, der dies zumindest teilweise ausgleichen wird.

Und es liegt auf der Hand, dass die Österreichische Nationalbank (OeNB) die aktuelle Situation kennt und sie objektiv analysiert. Eine kompetente Inflationssteuerung hilft, Ungleichgewichte in der Wirtschaft zu korrigieren. Und das Beispiel Österreichs ist hier anschaulich und nützlich.

Keine größeren Energiepreisspitzen

Trotz fiskalischer Stützungsmaßnahmen ist es dem Land gelungen, sein Haushaltsdefizit unter 3 Prozent des BIP zu senken und die Voraussetzungen für ein reales BIP-Wachstum von 0,6 Prozent im Jahr 2023 zu schaffen. Dies gilt trotz der Tatsache, dass für das benachbarte Deutschland in diesem Jahr ein Rückgang des realen BIP um 0,5 Prozent erwartet wird.

Wenn die OeNB das im Februar vorgegebene Tempo beibehält, wird sie ihre Inflationsprognose von 6,9 Prozent bis Ende 2023 erreichen können. Wichtig wird sein, dass es während der Heizperiode keine größeren Energiepreisspitzen gibt und dass der Getreidekorridor funktioniert, um die Lebensmittelpreise weltweit stabil zu halten. Unter diesen Voraussetzungen dürften auch die anderen Inflationsprognosen der Österreichischen Nationalbank erfüllt werden: 4 Prozent im Jahr 2024 und 3,1 Prozent im Jahr 2025. Dies beweist die Bedeutung der unabhängigen Geldpolitik der Regulierungsbehörde, die in Wien natürlich begrüßt wird.

Die Finanzaufsichtsbehörden in den USA wie in Europa sind gezwungen, die überschüssige Liquidität zu binden, die im Rahmen der quantitativen Lockerung (QL) während der Pandemie in den Markt gegeben wurde. Es gibt keinen anderen Weg.

Lassen Sie mich noch einmal betonen: Als sich das Coronavirus in der Welt ausbreitete, war die quantitative Lockerung eine notwendige Maßnahme. Die Zentralbanken waren gezwungen, ihre Volkswirtschaften mit Liquidität zu unterstützen und die Geldmenge zu erhöhen.

Überschüssige Liquidität abbauen

Jetzt ist es an der Zeit, die überschüssige Liquidität abzubauen und die Zinsen anzuheben.

Ich glaube, dass der Weltmarkt diese Zeit ohne katastrophale Erschütterungen überstehen wird. Es ist nicht zu erwarten, dass sich die globale Finanzkrise, wie wir sie 2008 erlebt haben, wiederholen wird.

Es geht heute um andere Instrumente, die eine andere Größenordnung haben. Dies ist ein wichtiger Hinweis für diejenigen, die jetzt versuchen, der Öffentlichkeit Angst zu machen, indem diese behaupten, dass die Fed, die EZB und andere Regulierungsbehörden gezwungen sein werden, eine neue globale Emissionsrunde durchzuführen und ihre bisherigen Bemühungen, die Geldmenge zu binden, vollständig zunichtezumachen. Das wird nicht der Fall sein, denn es werden andere Instrumente eingesetzt.

Vor 15 Jahren funktionierte die quantitative Lockerung – die Zentralbanken kauften in großem Umfang Wertpapiere zurück. Jetzt aber werden Kreditmechanismen eingesetzt, was bedeutet, dass die Rückzahlung der Mittel gewährleistet sein muss. Dazu gehören kurzfristige Kredite an Banken mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr, langfristige Anleihen, Währungsswaps der Federal Reserve (gegen die EZB, die Bank of England, die Schweizerische Nationalbank, die Bank of Canada) und die Kreditvergabe durch die US-Zentralbank – Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC).

Die Mittel werden in der ersten Phase zugeführt und im Laufe der Zeit wieder zurückgegeben (abgezogen).

Die jetzt zur Stabilisierung der Finanzen eingeleitete Kreditvergabe wird sich daher kurzfristig auf die Inflation auswirken, und es lohnt sich nicht, darüber zu spekulieren.

Die geldpolitischen Maßnahmen der Zentralbanken haben einen positiven Einfluss auf die Inflation. Die unabhängige und hochprofessionelle Politik der bereits erwähnten Österreichischen Nationalbank veranschaulicht dies sehr gut. Es würde mich freuen, wenn sich die Regulierungsbehörden in anderen Ländern nicht einmischen würden und diese ihre Arbeit unabhängig fortsetzen könnten, was uns alle dem 2 Prozent-Ziel näherbringen würde. Dies ist eben nur möglich, wenn die Unabhängigkeit der Zentralbanken gewahrt bleibt und politischer Druck auf sie verhindert wird. Denn nur unabhängige Zentralbanken können die Inflation bremsen und die Weltwirtschaft stabilisieren.


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