Kriegstüchtigkeit

| Redaktion 
| 12.11.2023

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Vor wenigen Tagen verlautbarte der Deutsche Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius: "Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein." Diese Aussage allein, noch dazu aus dem Munde eines Deutschen, lässt schon aufhorchen. Was aber noch mehr verwunderte war, dass zwar (selbstverständlich) vor allem von linker und Friedensbewegungs-Seite Kritik daran geübt wurde, die allerdings nur sehr verzögert und auch weitaus verhaltener ausfiel, als dies noch vor fünf Jahren der Fall gewesen wäre.

"Kriegstüchtigkeit"

Was ist passiert? Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, spätestens jedoch seit dem schrecklichen Überfall der Hamas auf Israel wissen große Teile der Bevölkerung, dass ein Land wohl in der Lage sein muss, sich zu verteidigen. Hinzu kommen die Erfahrungen im Zuge der Evakuierungen aus Afghanistan sowie die Erkenntnis, dass Verteidigung derzeit nur mit Hilfe der USA möglich ist – ein "Partner", welcher jedoch entsprechend der politischen Verhältnisse auch nicht immer zur Verfügung stehen wird. Diese Erkenntnis der Verteidigungsmöglichkeit trifft viele Staaten, die baltischen Staaten etwa schon 2014, anlässlich der Annexion der Krim an Russland. Sei es drum, besser spät als nie.

Was aber bedeutet nun "Kriegstüchtigkeit" in diesem Zusammenhang? Meine geneigten Leser:innen wissen, dass ich versuche, mich allen Fragen logisch zu näheren, was ich auch hier tun will. Vorausschicken möchte ich jedoch, dass meine Ausführungen auf alle (EU) Staaten inklusive Österreich zutreffen, denn die Auffassung, die Neutralität würde Österreich vor diesen Anstrengungen schützen, halte ich für eher abwegig.

In einem Artikel der NZZ konnte ich zum Thema Kriegstüchtigkeit folgendes lesen: Deutsche töten und werden getötet. So einfach ist die Antwort jedoch keineswegs.

Finanzielle Mittel

Zuallererst bedarf es gewisser finanzieller Mittel, um eine entsprechende Kriegstüchtigkeit herzustellen. Leider wird es der Bundesrepublik Deutschland trotz der einmaligen Summe von 100 Milliarden Euro wieder nicht gelingen, das Minimumziel von zwei Prozent des BIPs für Verteidigungsausgaben zu erreichen. Dieser Betrag stellt aber die Untergrenze dar, um die Ausrüstung der Truppenteile zumindest innerhalb von vier oder fünf Jahren halbwegs sicherzustellen und damit die Kriegstüchtigkeit herzustellen. Das Credo muss sein: Gebt der Truppe, was sie braucht! Dazu bedürfte es jedoch erst struktureller Änderungen, weg vom Bürokratismus hin zu einer "Kampfarmee".

Dazu muss die Industrie zumindest in Teilen auf "Kriegsproduktion" umgerüstet werden, um überhaupt halbwegs akzeptable Munitionsvorräte zu erlangen, und zwar zusätzlich zu jenen, die wir unter Umständen weiter an die Ukraine oder vielleicht Israel liefern müssen. Dazu gehört, dass kriegswichtige Technologie, Infrastruktur und Logistik nicht in ausländische Hand dürfen. Weiters müssen Personalreserven geschaffen werden: Schon jetzt fehlen der deutschen Bundeswehr tausende aktive Soldaten. Die Streitkräfte müssen attraktiver werden. Und schließlich muss die Diskussion über einen mindestens einjährigen Wehrdienst bzw. ein verpflichtendes Dienstjahr ernsthaft wiederaufgenommen werden. In Israel existiert ein zwei- bis dreijähriger Wehrdienst. Entsprechende Strukturen für solch eine Pflichtleistung müssten allerdings schon jetzt geschaffen werden, um sie schnellstmöglich umsetzen zu können.

Innerhalb der NATO bedarf es einer neuen bzw. der Rückkehr zu einer alten Ideologie, nämlich jener der Abschreckung (deterrence), die bis zum Anfang der 90-er Jahre galt. Während meiner aktiven Zeit als Soldat stellte dies den Grundstock für alle Verteidigungslehren und Weißbücher dar. Und ich habe das Gefühl, dass wir diese wieder hervorholen müssen, denn in diesem Zeitraum erlebten wir die längste Zeit des Friedens.

Politischer und gesellschaftlicher Wille

Das Wichtigste – wie die Lehren aus dem Ukrainekrieg schon jetzt zeigen – ist aber, dass es sowohl den politischen, vor allem aber einen gesellschaftlichen Willen braucht, ebenso wie die Überzeugung bzw. die Einsicht zur Notwendigkeit von Kampf zum Schutz des Staates und unserer demokratischen Grundwerte. Deshalb darf es auch nicht bei Floskeln bleiben, sondern die genannten Ansichten müssen geübte Wirklichkeit werden. Egoismen des Selbstschutzes müssen dem Schutz des Ganzen weichen.

Dies alles muss vor dem folgenden Hintergrund realisiert werden: "Wir müssen Krieg können, um keinen Krieg zu bekommen", oder anders formuliert: Wenn wir zumindest ein ähnliches Leben wie bisher bestreiten wollen, müssen wir andere Wege gehen und Opfer bringen.

Meine Ausführungen sind sicherlich nicht abschließend, doch können sie die Grundsteine dafür bilden, was es in Hinblick auf Kriegstüchtigkeit braucht. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass vieles davon gar nicht so neu ist, sondern sich in großen Teilen bereits in dem viel zitierten Buch von Sun-Tzu "Die Kunst des Krieges" aus dem 5. Jahrhundert findet. Viele dieser Lehren hatten bzw. haben auch heute noch Gültigkeit, und zwar nicht nur für das Militär – sie werden in vielen Management-Schulen sogar als Basis für erfolgreiche Unternehmensführung herangezogen.

Lassen Sie uns in diesem Sinne anlässlich des Begriffs "kriegstüchtig" nicht erschrecken, sondern fangen wir bei uns selbst an, "kriegstüchtig" zu werden, um das, was wir an unserem Leben so schätzen, auch für uns und unsere Nachkommen sichern können.

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