"Ohne Schätzgutachten zu arbeiten, ist ein absolutes No-Go"

| Redaktion 
| 09.11.2023

Im LEADERSNET-Interview sprechen Rechtsanwältin Margot Nusime und Helmut Mojescick, Fachgruppenobmann der Wiener Versicherungsmakler, über die Tücken und Risiken bei der Versicherung von Zinshäusern und Wohnungseigentümergemeinschaften. 

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Nusime, sehr geehrter Herr Mojescick, in wirtschaftlich angespannten Zeiten orientiert sich die Immobilienbranche nach möglichst geringen Risiken. Ist dieser Trend auch bei der Versicherung von Zinshäusern und Wohnungseigentümergemeinschaften festzustellen?

Helmut Mojescick: Grundsätzlich haben Risiken nichts mit wirtschaftlich angespannten oder nicht angespannten Zeiten im ursächlichen Zusammenhang zu tun. Ein Risiko ist völlig individuell zu bewerten. Man sollte sich bei allen Dingen, die einen im Leben treffen könnten, die man wirtschaftlich nicht mehr stemmen kann, fragen, ob man diese nicht auslagert. Bei einem:r ist etwa der Verlust durch den Schaden in der Höhe von z.B. einer Million Euro wie 'ein Selbstbehalt', den:die andere:n würde es wirtschaftlich vernichten. Besitzt man etwa zwei Häuser und hat in einem davon einen Riesenschaden, kann es passieren, dass es wirtschaftlich nicht mehr schaffbar ist. Besitzt man hingegen 100 Häuser, wird anders kalkuliert.

Margot Nusime: Klassische österreichische Zinshäuser wurden vor 1945 erbaut. Es sind damit Gebäude gemeint, die den Schutzbestimmungen des Mietrechts unterliegen und zum Zwecke der Erwirtschaftung von Mieterträgen errichtet wurden. Vornehmlich handelte es sich bei den Mietverhältnissen in einem Zinshaus um unbefristete Hauptmietverhältnisse, heute sind in vielen Fällen befristete Mietverhältnisse an ihre Stelle getreten. Ältere Zinshäuser aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg hatten bis zur Reform des Mietrechtsgesetzes im Jahr 1994 durch das Richtwertgesetz sehr strikte Zinsregelungen, die sogenannten Friedenszinsregelungen. Das klassische Zinshaus steht im Eigentum eines oder weniger Eigentümer:innen. Es ist kein Wohnungseigentum begründet, sondern es besteht schlichtes Miteigentum. Eine Wohnungseigentümergemeinschaft definiert sich nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) als die Gesamtheit aller Teil- und Wohnungseigentümer:innen an einer Wohnungseigentumsanlage. Bei einem Gebäude im Eigentum einer Miteigentümergemeinschaft ist Wohnungseigentum gemäß WEG begründet. Das WEG findet Anwendung.

Konkret zur Frage der möglichst geringen Risiken: Grundsätzlich sind Transaktionsvolumen und -anzahl auf dem Zinshausmarkt rückgängig. Von 2020 auf 2021 war noch ein Anstieg von 35 Prozent zu verzeichnen, nun ist es rückläufig. Einen Trend in der Gebäudeversicherung von Zinshäusern und Wohnungseigentümergemeinschaften in Richtung möglichst geringer Risiken kann ich nicht feststellen.

LEADERSNET: Wie hat sich in den letzten Jahren die Komplexität des Versicherungswesens im Immobilienbereich verändert?

Mojescick: Die Komplexität verändert sich ununterbrochen. Was man natürlich dramatisch merkt, sind die zunehmenden Naturkatastrophen. Man spürt es, dass oft alle Sachverständigen und alle Gutachter:innen völlig überlastet sind, weil sie Termine ohne Ende haben. Auf der anderen Seite habe ich die Schadenminderungspflicht. Das bedeutet, ich kann nicht mehrere Wochen warten, bis ein:e Gutachter:in kommt, sondern ich muss aktiv werden und Handlungen setzen. Dadurch werden Handwerksbetriebe beauftragt und der:die Gutachter:in kommt erst im Nachhinein. Dann gibt es oft eine Diskrepanz zwischen den Werten, die der:die Gutachter:in errechnet, und das, was der Handwerksbetrieb im Zuge meiner gesetzlichen Schadenminderungspflicht schon verrechnet hat. Hier können Diskrepanzen entstehen und der:die Versicherer:in kann eigentlich nur das Gutachten abarbeiten. Denn wenn er:sie hier überzahlen würde, hätten wir eine Schädigung der Versichertengemeinschaft und das ist auch nicht zulässig.

LEADERSNET: Wo liegen die Tücken beim professionellen Versichern von Zinshäusern und Wohnungseigentümergemeinschaften?

Mojescick: Regional gibt es große Unterschiede. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich in einer Stadt lebe, die im Zweiten Weltkrieg ziemlich stark zerbombt wurde und die Häuser nach 1945 in einem hohen Ausmaß aufgebaut wurden, oder ob ich in einer Stadt lebe mit sehr vielen historischen Gebäuden, die teilweise 200, 300 und 400 Jahre alt sind.
Zusätzlich tritt die Frage auf, ob ich eine Verbauung habe, wo Haus an Haus steht, oder ob ich mich irgendwo in der Peripherie befinde, wo viele Häuser auf der grünen Wiese stehen. In der Praxis merken wir ganz stark, dass es für sehr viele Häuser entweder kein Schätzgutachten gibt oder respektive Schätzgutachten, die 15 oder 20 Jahre alt und nicht mehr zeitgemäß sind. Sowohl für Menschen aus der Versicherungswelt, als auch für die Hausverwalter:innen ist es im Endeffekt wichtig, ein Schätzgutachten zu haben.

Nusime: Aus Sicht des:der Versicherungsvermittlers:in liegen die Tücken sicher in der Komplexität solcher Gebäude. Die Versicherung ist nicht mit der Versicherung eines Einfamilienhauses zu vergleichen. Im Wesentlichen deckt eine Zinshausversicherung dieselben Schäden wie eine Gebäudeversicherung. Vor allem der:die Versicherungsmakler:in sollte aufgrund der ihn treffenden Haftungsproblematiken Experte:in auf dem Gebiet sein. Damit das Gebäude nicht unterversichert ist, sollte eine Versicherung immer auf der Basis des Neuwertes des Hauses abgeschlossen werden.

Die Höhe der Versicherungssumme errechnet sich für gewöhnlich aus der verbauten Fläche und der Anzahl der Stockwerke. Die berechnete Summe fällt bei Zinshäusern meist entsprechend hoch aus. Aufgrund des hohen zu versichernden Wertes ist es für die Versicherung eines Zinshauses ratsam, ein offizielles Gutachten (Neubauwertgutachten) über den genauen Wert des Hauses erstellen zu lassen.

LEADERSNET: Wieviel Spielraum lässt die aktuelle Rechtslage dem Versicherer bzw. der Versicherten bei der Versicherung von Zinshäusern oder Wohnungseigentümergemeinschaften?

Mojescick: Der wesentliche Unterschied ist, ob es sich um ein Zinshaus handelt, das eine:n Eigentümer:in hat, wo lauter Mietwohnungen drinnen sind und das Ganze unter das Mietrechtsgesetz fällt, oder ob es sich um eine Wohnungseigentümergemeinschaft handelt, wo das Ganze unter das Wohnungseigentümergesetz fällt. Im Mietrechtsgesetz darf der:die Vermieter:in respektive die Hausverwaltung im Auftrag des:der Vermieters:in die Feuerversicherung, die Haftpflichtversicherung und die Leitungswasserversicherung machen. Für alle anderen Versicherungen, wie zum Beispiel die Sturmversicherung, müssten sich die Mehrheit der Hauptmieter:innen dafür aussprechen, das auch zu versichern. Im Wohnungseigentümergesetz ist es relativ einfach, da in einer Wohnungseigentümerversammlung Beschlüsse gefasst werden.

Nusime: Es gibt keine gesetzlichen Regelungen, die vorschreiben, wie Zinshauseigentümer:innen und Wohnungseigentumsgemeinschaften ihre Gebäude zu versichern haben. § 28 WEG legt fest, dass die Wahl einer angemessenen Versicherung zur ordentlichen Verwaltung gehört. Es wird kaum jemals eine Entscheidung gegen eine – zumindest Feuer/Wasserleitungs – Versicherung geben. Diese Kosten können gemäß MRG im Rahmen der Betriebskosten auf die Mieter:innen überwälzt werden. Im Detail ist in § 21 MRG geregelt, für die Prämien welcher Versicherungen das möglich ist. Die Eigentümer:innen sind im Ergebnis aus Sicht der gesetzlichen Regularien relativ frei. Eine Gebäudeversicherung inkludiert auch eine Haftpflichtversicherung.

LEADERSNET: Warum sollte man beim Versichern von Zinshäusern und Wohnungseigentümergemeinschaften auf Fachleute setzen?

Nusime: Vieles wurde schon erwähnt. Ich empfehle auch, Versicherungsverträge regelmäßig von einem:r Expert:in überprüfen zu lassen, am besten einmal pro Jahr, spätestens alle zwei Jahre. Wenn es Investitionen wie einen neuen Aufzug oder einen Dachausbau gab, muss die Versicherung angepasst werden.

LEADERSNET: Was sind die absoluten No-Gos beim Versichern von Zinshäusern und Wohnungseigentümergemeinschaften?

Mojescick: Ohne Schätzgutachten zu arbeiten und eine:n gebäudespezialisierte:n Berater:in hinzuzuziehen, sind ein absolutes No-Go. 

Nusime: Das Versichern eines Hauses gleich zu beurteilen wie wenn man hundert Häuser für einen Konzern (eine Hausverwaltung) versichert. Hier kommen sogenannte Verbundeffekte zu tragen.

LEADERSNET: In einer Kampagne der Wiener Versicherungsmakler hieß es 'Richtig versichert?'. Ist das heute so komplex, dass der:die Versicherungsmakler:in zum:r absoluten Fachmann:Fachfrau, zum:r Expert:in mutieren muss?

Mojescick: Ich würde da einen Schritt weitergehen. Der:die Berater:in in der Versicherungswelt muss sich mittlerweile entscheiden, auf welche zwei, drei Themen er oder sie sich spezialisiert, weil es so komplex ist. In unserer Kanzlei sind wir 17 Personen und wir wären fachlich nicht in der Lage, den gesamten Versicherungsmarkt abzudecken, also müssen wir in dem einen oder anderen Bereich Fachwissen zukaufen oder outsourcen.

LEADERSNET: 'Wer nicht rechtzeitig darauf schaut, dass er es hat, wenn er es braucht', gilt dies auch bei der Versicherung von Zinshäusern und Wohnungseigentümergemeinschaften?

Nusime: Grundsätzlich wird ein Zinshaus und Gebäude mit Wohnungseigentum gegen sämtliche Elementarrisken versichert sein. Extras sind immer möglich. Wichtig ist auch, die Versicherungen an das konkrete Haus anzupassen – welche Mieter:innen befinden sich im Haus? Vor allem bei gewerblichen Mieter:innen ist dies ein Thema. Daher sind Verträge regelmäßig zu überprüfen.

LEADERSNET: Haben Sie einen Tipp an alle Branchenkolleg:innen in Bezug auf Zinshausversicherungen. Wer soll sich darüber trauen und wer nicht?

Mojescick: Tipp für die Versicherungskolleg:innen: Man sollte auf dieses Thema spezialisiert sein. Spezialisierung beginnt bei einer Betreuung von circa 300 bis 400 Häusern. Mein Tipp an die Hausverwalter::innen: Immer eine:n Spezialisten:in hinzuziehen!

www.wko.at

www.mn-law.at

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