Dr. Karl Renner Publizistikpreis: Journalistenclub-Chef präsentierte Forderungen an Bundesregierung

Verleihung wurde zum Solidaritätsakt für türkische Journalistinnen und Journalisten.

Durch ein Modell der Gefängniszelle von Deniz Yücel gelangten mehr als 200 Journalistinnen und Journalisten in den ehrwürdigen Wappensaal des Wiener Rathauses zur Verleihung des diesjährigen Dr. Karl Renner Publizistikpreises. Die Botschaft war klar: "Solange auch nur eine Journalistin oder ein Journalist im Gefängnis sitzen, geht uns das alle an." Neben den Kategorien "Print", "Radio", "Fernsehen", "Online" und "Lebenswerk" wurde der renommierte österreichische Journalistenpreis heuer erstmals als Solidaritätspreis an Deniz Yücel und Meşale Tolu vergeben.

RTR soll abgeschafft werden

In seinen Begrüßungsworten erinnerte Fred Turnheim an das 40-jährige Bestehen des Österreichischen Journalisten Clubs (ÖJC) und daran, dass sich der Beruf in dieser Zeitspanne von einem gut bezahlten, sicheren Job zu einer Arbeit in prekären Verhältnissen gewandelt habe. Er erinnerte daran, dass derzeit 314 Journalistinnen und Journalisten in Haft seien und heuer bereits 67 Medien-Mitarbeiter ermorden wurden.

An die türkis-blaue Bundesregierung richtete er den Appell, die von Schwarz-Blau I geschaffene RTR nicht wie angekündigt neu zu strukturieren, sondern abzuschaffen. "Wir stimmen einem Leistungsschutzrecht nur dann zu, wenn es kein zusätzliches Körberlgeld für die Verleger bringt", so Turnheim, der eine europäische Lösung des Urheberrechts fordert. Er forderte weiters eine Löschung aller Bestimmungen im Sicherheitspolizeigesetz, die freie Berichterstattung behindern, die Erhaltung der Netzneutralität und kündigte entschiedenen Widerstand gegen alle Versuche an, die Grund- und Freiheitsrechte zu beschränken.

So viele Einreichungen wie schon seit Langem nicht

Die Jury des Dr. Karl Renner Publizistikpreises 2017 bestand aus Susanne Ayoub, Hans Bürger, Oswald Klotz, Helmut Kletzander und Markus Schauta. Jury-Vorsitzender Fred Turnheim freute sich über "so viele Einreichungen wie schon seit Langem nicht". Landtagsabgeordneter Jörg Neumayer, der an diesem Abend Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny vertrat, freute sich über die Freilassung von Meşale Tolu und zeigte sich über die weiter andauernde Inhaftierung von Deniz Yücel besorgt.

Der Dr. Karl Renner Publizistikpreis 2017 in der Kategorie "Print" erging an Nina Strasser von News. Die ehemalige Spitzensportlerin machte mit der Reportage "Alt sollte man nicht werden – und deppert auch nicht" über ihre 92-jährige Tante das Rennen. Der Preis in der Kategorie "Radio" wurde an Christine Scheucher und Peter Waldenberger für die Ö1-"Diagonal"-Sendung über das "Silicon Valley" verliehen. Die Kategorie "Fernsehen" wurde von Nina Horowitz für ihre ORF-"Am Schauplatz"-Reportage "Voller Dreck" gewonnen, in der sie laut Laudator Fred Turnheim "auf Augenhöhe und mit dem richtigen Ton" ihren Darstellerinnen und Darstellern näherte, die oft nicht geachtet unseren Dreck wegputzen.

"Anarchist im besten Sinne des Wortes"

In der Kategorie "Online" konnte sich der ORF mit Projekt und Redaktion Teletextes durchsetzen. Laudator Oswald Klotz freute sich als selbst ehemaliger freier Mitarbeiter, dass der ORF Teletext trotz zahlreicher Unkenrufe bis heute mit mehr als zwei Millionen Leserinnen und Lesern im Monat "fröhliche Urständ" feiere. Für sein Lebenswerk erhielt Rainer Rosenberg den Dr. Karl Renner Publizistikpreis 2017. In seiner Laudatio bezeichnete Helmut Kletzander Rainer Rosenberg als "Anarchist im besten Sinne des Wortes", der die Ö1 Kummernummer erfand, Formate wie die Musikbox, das Ö3 Magazin und den Ö3 Wecker, das Format XLarge, Rudi, den rasenden Radiohund oder Radio "Nachbar in Not" mitformte und gestaltete und heute die Ö1-Sonderformate Punkt eins, Moment-Leben-Heute, Help und last but not least mit seiner Lebensgefährtin Petra Herczeg die Menschenbilder betreut.

In einer sehr emotionalen Rede bedankte sich die seit Montag unter Auflagen aus der Haft entlassene Meşale Tolu für den Solidaritätspreis im Rahmen einer Live-Schaltung aus Istanbul und rief zur Solidarität mit den anderen auf: "Ich bin eine von 159 in der Türkei inhaftierten Journalistinnen und Journalisten." Für sie nahm Baki Selcuk vom Solidaritätskreis "Freiheit für Mesale Tolu" den Preis entgegen.

Die Dankesrede von Deniz Yücel, der seit 300 Tagen ohne Anklage in Haft sitzt, wurde von seinem Welt-Kollegen Daniel-Dylan Böhmer aus Berlin verlesen. Darin bezeichnete Deniz Yücel seine Geiselnahme durch das türkische Regime "als bedeutendsten Journalistenpreis meiner beruflichen Laufbahn." Auch er nahm den Preis im Namen anderer inhaftierter Kolleginnen und Kollegen entgegen. Deniz Yücel appellierte an die europäische Gemeinschaft: "Dieses Land besteht nicht allein aus der Clique, die es beherrscht. Das darf Europa niemals vergessen." Den Preis nahm sein Anwalt Veysel Ok aus Istanbul entgegen.

Impressionen der Veranstaltungen finden Sie in unserer Fotogalerie. (red)

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